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Standpunkte Ressourcenfresser Digitalisierung

Sabine Langkau (Foto: Fotostudio Eidens-Holl Karlsruhe), Sven Hilbig (Foto: Hermann Bredehorst, „Brot für die Welt")
Sabine Langkau (Foto: Fotostudio Eidens-Holl Karlsruhe), Sven Hilbig (Foto: Hermann Bredehorst, „Brot für die Welt") Foto: Fotostudio Eidens-Holl Karlsruhe (Sabine Langkau); Hermann Bredehorst/Brot für die Welt (Sven Hilbig)

Die negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen der Digitalisierung sind enorm, sagen Sabine Langkau und Sven Hilbig. In ihrem Gastbeitrag fordern sie von Unternehmen, Verantwortung für den Ressourcenverbrauch zu übernehmen.

von Sabine Langkau und Sven Hilbig

veröffentlicht am 04.07.2019

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Von der Digitalisierung erhoffen sich viele Menschen die Lösung dringender sozialer und ökologischer Herausforderungen. So soll sie zur Entmaterialisierung der Produktions- und Konsummuster beitragen und somit unseren ökologischen Fußabdruck verringern. Wird mit der Digitalisierung alles besser? Grundsätzlich ist es in einigen Produktions- und Konsumbereichen durchaus möglich, mithilfe der Digitalisierung den Ressourcenverbrauch zu senken. Insgesamt wird aber keine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch beobachtet. Und sie wird auch nicht für die Zukunft erwartet. 

Im Gegenteil: Die negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen der Digitalisierung treten immer deutlicher zutage. Etwa 33 Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Jahr werden durch den Betrieb des Internets und internetfähiger Geräte in Deutschland verursacht – so viel wie durch den innerdeutschen Flugverkehr. Global wird der Anteil des Internets am gesamten Elektrizitätsbedarf auf zehn Prozent geschätzt. Aufgrund des exponentiell wachsenden Datenvolumens wird die Nachfrage nach Energie in den kommenden Jahren ebenfalls drastisch steigen. 

Umweltsünder E-Mobilität

Hauptursache für diese zukünftige Entwicklung ist der massive Ausbau des „Internet der Dinge“ (Industrie 4.0, Smart Cities, Smart Home, Smart Everything). Die stoffliche Basis der Digitalisierung fußt aber nicht nur auf Energie und Strom, sondern auch auf mineralischen Rohstoffen. Für die Zukunftstechnologien stammen diese zu einem großen Teil aus Ländern des Globalen Südens, wo sie oftmals unter Bedingungen abgebaut werden, die die Menschenrechte der Arbeitenden verletzen. 

Und sie verursachen ökologische Schäden, wie das Beispiel der E-Mobilität verdeutlicht. Der Umstieg von fossilem Treibstoff auf Elektroenergie wird von der Automobilindustrie gegenwärtig stark vorangetrieben. Der Ressourcenverbrauch von Autos ist grundsätzlich hoch, ungeachtet der Antriebstechnik. Für die Produktion von Akkus für Elektrofahrzeuge werden obendrein zusätzliche Rohstoffe benötigt, wie Nickel, Grafit und Seltene Erden. Der Verbrauch von Kobalt und Lithium steigt bei einem weltweiten Umstieg auf Elektroautos sogar dramatisch an: um den Faktor 19 bei Kobalt und um den Faktor 29 bei Lithium.

Bereits ab 2030 könnte pro Jahr viermal so viel Lithium in Elektroautos verbaut werden, wie gegenwärtig weltweit abgebaut wird. Aufgrund dieser Prognosen werden in vielen Ländern des globalen Südens neue Lizenzen für den Abbau vergeben. Im sogenannten Lithiumdreieck (Argentinien, Bolivien, Chile) lagern 70 Prozent des weltweiten Lithiumvorkommens in Salzseen inmitten hochandiner Steppenregionen, die durch extrem hohe Sonneneinstrahlung und Trockenheit gekennzeichnet sind. Diese Landschaft ist die Heimat zahlreicher indigener Gemeinden, die dort seit Jahrhunderten leben und Viehzucht und Landwirtschaft betreiben. Aufgrund seines sehr hohen Wasserverbrauchs stellt die Lithiumproduktion im südlichen Lateinamerika eine Bedrohung für Menschen, Tiere und Pflanzen dar: Für eine Tonne Lithium werden 20 Millionen Liter Wasser benötigt. Damit wird auch ein wertvolles Ökosystem unwiederbringlich zerstört.

Ökologischer Rucksack zeigt versteckte Energiefresser

Wie schlimm sind nun aber die ökologischen und sozialen Auswirkungen der digitalen Welt im Vergleich zu anderen Lebens- und Wirtschaftsbereichen? Und welche Konsequenzen müssen am dringendsten vermieden oder zumindest abgemildert werden? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir uns alles anschauen, was zur Bereitstellung digitaler Produkte und Dienstleistungen erforderlich ist: den Abbau von Rohstoffen für Strom und Produkte der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), die Herstellung von Komponenten und Produkten, die eigentliche Nutzung und schließlich die Entsorgung oder Verwertung aller Komponenten. 

Eine Möglichkeit, diese Auswirkungen gebündelt zu betrachten, ist der ökologische Rucksack. Er beinhaltet alle Rohstoffe, die für ein Produkt über seinen ganzen Lebensweg hinweg aufgewendet werden müssen. Bei einem Mobiltelefon sind die benötigten Rohstoffe beispielsweise rund 75 Kilogramm. So werden die versteckten Dimensionen begreifbar. 

Digitale Transformation: Problem und Lösung? 

Ökologische und soziale Perspektiven zeigen: Die Digitalisierung macht die Welt nicht automatisch nachhaltiger. Wir können allerdings versuchen, die digitale Transformation so ökologisch und sozial wie möglich zu gestalten. Bloß wie? Bei vielen Umweltproblemen haben technische Lösungen die Situation stark verbessert, so hat zum Beispiel die Kühltechnik ohne Fluorchlorkohlenwasserstoffe die Problematik des Ozonlochs entschärft. Auch die neuen digitalen Technologien bieten Verbesserungspotenziale. Wenn eine Videokonferenz eine Flugreise ersetzt, können CO2-Emissionen reduziert werden. 

Einsparungen durch eine höhere Effizienz fallen in der Praxis allerdings oft geringer aus, als ihr technisches Potenzial verspricht. Insbesondere in der IKT haben Effizienzsteigerungen vor allem Leistungserweiterungen und eine zunehmende Verbreitung begünstigt. Im Gesamttrend konnte somit nie eine Verringerung der Umweltauswirkungen der IKT-Branche erreicht werden – im Gegenteil, die Umweltschäden steigen.

Ohne Änderungen im Konsumverhalten werden die mit der Digitalisierung verbundenen sozialen und ökologischen Probleme nicht gelöst werden können. Das gilt auch in anderen Bereichen, nur wachsen IKT und digitale Medien neben der Mobilität zu einer wesentlichen Stellschraube heran. Es bedarf einer drastischen Senkung des Ressourcenverbrauchs in Deutschland und anderen Industrienationen auf ein global gerechtes und ökologisch verträgliches Niveau. 

Ohne Industrie kein wirksamer Umweltschutz

Ein wichtiger Ansatzpunkt ist eine Mobilitätswende, in deren Mittelpunkt eine Reduzierung der Autoflotte sowie die Herstellung von kleineren und leichteren Autos stehen. Auch bei digitalen Medien und IKT müssen wir uns als Konsumenten und Konsumentinnen und auch als Gesellschaft fragen, wie viel wir tatsächlich brauchen und verantworten können. Wenn wir weniger Zeit und Geld in Dinge investieren, die unser Leben eigentlich nicht besser machen, und dafür mehr in Dinge, die die Welt für uns und andere tatsächlich verbessern, sind wir auf dem richtigen Weg. 

Die Konsumenten und Konsumentinnen allein können aber nicht die Umwelt- und Sozialprobleme der digitalen Welt lösen. Die globalen Wertschöpfungsketten von IKT-Produkten sind zu komplex, um von jedem Einzelnen überblickt zu werden. Unternehmen müssen die Verantwortung für die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Produkte übernehmen, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Sabine Langkau arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI im Kompetenzzentrum „Nachhaltigkeit und Infrastruktursysteme“. Sven Hilbig ist als Referent bei „Brot für die Welt" für die Themen Welthandel und globale Umweltpolitik verantwortlich. Dieser Gastbeitrag ist eine gekürzte Version des Textes „Auf Kosten des globalen Südens“ , der heute in dem Buch „Was Bits & Bäume verbindet“ (144 Seiten, Oekom-Verlag) erscheint

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