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Digitalisierung & KI

Standpunkte Transfettsäuren sind nicht gut! – Jugendschutzregulierung im Digitalzeitalter

Foto: HTWK Leipzig (Marc Liesching)

Bei dem Diskussionsentwurf zu einem neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag handelt es sich um eine Scheinnovelle, meint Marc Liesching. Längst überfällige Lösungen etwa für die Gleichbehandlung von Online- und Offlineangeboten fehlten.

von Marc Liesching

veröffentlicht am 21.08.2019

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Werbung für schädliche Lebensmittel durch einen vagen und ordnungsrechtlich nicht durchsetzbaren Programmsatz zu missbilligen, ist noch der vergleichsweise gehaltvollste Regelungsvorschlag des aktuell vorgestellten „Diskussionsentwurfs“ zur nächsten Scheinnovelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV). Der Vertrag bezweckt den einheitlichen Schutz von Kindern und Jugendlichen in Rundfunk- und Telemedien. Dazu gehören heute neben Videos auch Chats, Onlineforen und Computerspiele. Längst überfällige Lösungen aber finden sich in dem Entwurf bislang nicht.

Was ist eigentlich ein Kind? Was ist ein Jugendlicher?

Kinder sind Personen, die noch nicht 14 Jahre alt sind und Jugendliche sind Personen, die 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind. Das konnte man schon immer im Jugendschutzgesetz nachlesen. Eine identische Formulierung gibt es im Strafgesetzbuch und im Sozialgesetzbuch. Dennoch hielt es die Rundfunkkommission für erforderlich, es im aktuellen Entwurf des JMStV noch einmal zu erläutern.

Die Definition stand beim Inkrafttreten des JMStV im Jahr 2003 schon einmal an derselben Stelle - mit identischem Wortlaut. Dann hat man die Regelung bei der letzten Scheinnovelle vor drei Jahren zu Recht als überflüssig identifiziert, da die Definition von „Kind“ und „Jugendlicher“ ja „wortgleich mit den Begriffsbestimmungen des Jugendschutzgesetzes“ sei. Jetzt soll sie wieder hinein.

Gibt es in dem Entwurf eigentlich auch substanzielle Vorschriften, die der längst vollzogenen Medienkonvergenz in Folge der Digitalisierung Rechnung tragen?

Geltungserstreckung auf Anbieter im EU-Ausland

Eine Neuerung ist, dass sich die Regelungen des JMStV zukünftig auch auf Anbieter aus dem EU-Ausland erstrecken sollen. Dies soll der Fall sein, wenn Inhalte „insbesondere durch die verwendete Sprache, die angebotenen Inhalte oder Marketingaktivitäten“ an Nutzer in Deutschland adressiert sind oder die Anbieter hier einen wesentlichen Teil des Umsatzes erzielen.

Dies erscheint mit den Prinzipien der Empfangsfreiheit und der Geltung des nationalen Rechts des Sitzlandes nicht vereinbar. Auch für die Anwendung strengerer inländischer Normen gelten erhebliche Grenzen, die keine Rechtshoheitserstreckung eo ipso vorsehen, sondern Konsultationen zwischen Sendeland und Empfangsland.

Maßnahmen gegen Anbieter im EU-Ausland aufgrund strengerer JMStV-Regelungen sind allenfalls dann möglich, wenn belegt werden kann, dass die Sitzlandwahl gerade durch eine Umgehung der strengeren JMStV-Vorschriften motiviert war. Die Annahme, dass ein Diensteanbieter gerade wegen des JMStV eine Niederlassung in einem anderen EU-Mitgliedstaat wählt, ist realitätsfern. Die meisten Diensteanbieter in Frankreich, Schweden, Italien und Spanien dürften den JMStV im Detail gar nicht kennen, selbst wenn sie ihre Inhalte auch in deutscher Sprache anbieten.

Im Digitalzeitalter ist es eher normal, dass Medien länderübergreifend und empfangslandspezifisch sein können. In der Regel erzielen Anbieter einen Teil ihrer Refinanzierung, indem sie ihre Inhalte in allen EU-Empfangsstaaten in der jeweiligen Landessprache vertreiben.

Im Bewusstsein dieser Medienrealitäten hat sich der EU-Gesetzgeber in beiden maßgeblichen Richtlinien deutlich gegen ein Marktortprinzip und für ein Sitzlandprinzip entschieden. Die sehr engen Ausnahmen für (vorübergehende) Maßnahmen im Empfangsland geben grundsätzlich keinen Interpretationsspielraum für die Expansion deutscher Jugendschutzbestimmungen, nur weil ein Angebot in einer spezifischen Fassung auch auf ein bestimmtes Empfangsland ausgerichtet ist.

Bestrebungen der Länder, den Bund für die landesgesetzliche Umgehung des Herkunftslandprinzips durch eine so genannte „Öffnungsklausel“ im Telemediengesetz (TMG) mit ins Boot zu drängen, sind bereits in den Bund-Länder-Gesprächen dem Vernehmen nach auf Bedenken hinsichtlich der rechtlichen Machbarkeit gestoßen.

Werbung für „Fett, Transfettsäuren, Salz, Natrium, Zucker“

Anschauungslehre in Sachen „Scheinregulierung“ bietet auch der eingangs erwähnte Programmsatz zur Werbung für bestimmte ungesunde Lebensmittel. Er lautet: „Die Anbieter treffen geeignete Maßnahmen, um die Einwirkung von Werbung für Lebensmittel, die Nährstoffe und Substanzen mit ernährungsbezogener oder physiologischer Wirkung enthalten, insbesondere Fett, Transfettsäuren, Salz, Natrium, Zucker, deren übermäßige Aufnahme im Rahmen der Gesamternährung nicht empfohlen wird, auf Kinder und Jugendliche wirkungsvoll zu verringern“.

Unternehmen müssen ihre Werbung also nicht verändern, sondern nur die „Einwirkung“. Auch soll die Einwirkung gar nicht unterbunden, sondern nur „verringert“ werden – freilich „wirkungsvoll“. Und durchsetzen lässt sich der Programmsatz im Grunde auch nicht. Denn Anbieter müssen nur Maßnahmen treffen, die abstrakt „geeignet“ sind. Sie müssen nicht den Effekt einer „Einwirkungsverringerung“ erzielen, der ohnehin gar nicht messbar wäre. Auch ein Bußgeldtatbestand fehlt.

Wann kommt eine medienkonvergente Regulierung?

Ein wichtiger Aspekt spielt in den konkreten Novellen des JMStV bis heute kaum eine Rolle: Die Medienkonvergenz. Auch der neue Entwurf der Rundfunkkommission enthält abermals (noch) keinen tauglichen Vorschlag zur Konsolidierung. Das bedeutet: Auch weiterhin werden Online und Offline unterschiedliche Jugendschutzbestimmungen gelten.

Macht es oder lasst es!

Ausgeschlossen ist jedoch nicht, dass die Länder nach der Anhörung zum aktuellen „Diskussionsentwurf“ nochmal diskutieren und mit guten, zeitgemäßen Regelungen aufwarten, die in Verzahnung mit einem neuen JuSchG des Bundes einen Schritt hin zu einem medienkonvergenten Jugendschutz machen.

Dies wäre im Übrigen auch im Interesse der Länder selbst. Das abermalige Scheitern einer zeitgemäßen Jugendschutzregulierung auf Landesebene nähme den Bund in die Pflicht, Jugendschutz vollumfänglich in die Hand zu nehmen und ein einheitliches, der Medienkonvergenz Rechnung tragendes Bundesgesetz auf den Weg zu bringen.

Marc Liesching ist Professor für Medienrecht und Medientheorie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift MultiMedia und Recht (MMR) und einer von zwei Autoren des Standardkommentars zum Jugendschutzrecht. 

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