Bei kaum einem anderen Thema gibt es in der politischen Diskussion im Grundsatz so viel Konsens – und doch so wenig Fortschritt: Es geht um Bürokratieabbau.
Im Sommer 2023 attestierte Bundesjustizminister Marco Buschmann der deutschen Wirtschaft einen „Bürokratie-Burn-out“. Mit dem sogenannten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG) IV, das gestern das Kabinett passierte, stellt er jetzt Besserung in Aussicht.
Um im Bild zu bleiben: Der Patient schwächelt; auch aus anderen Gründen. Gestiegene Zinsen, Konsumzurückhaltung und geostrategische Unsicherheiten ziehen auch an deutschen Start-ups und Scale-ups nicht ohne Spuren vorbei. Der dramatische Anstieg von Start-up-Insolvenzen einerseits und andererseits der signifikante Rückgang bei Start-up-Neugründungen und Venture-Capital-Investitionen verdeutlichen die Diagnose.
Gerade angesichts der stark eingeschränkten haushälterischen Handlungsspielräume kommt dem Bürokratieabbau eine wichtige Wirkung zu. Wenn schon die Kraft fehlt, die Wirtschaft mit strukturellen Reformen zu stimulieren und nach vorne zu bringen, sollten wenigstens die staatlichen Vorgaben und bürokratischen Anforderungen reduziert werden.
Was ist von dem „Anti-Bürokratie-Burnout“-Gesetz also zu erwarten? Das BEG IV sieht Änderungen in mehr als 60 Einzelgesetzen vor. Ein wichtiger Ansatz des BEG IV ist dabei, die sogenannten Schriftformerfordernisse zu reduzieren. Nach Auskunft des koordinierenden Bundesjustizministeriums sollen diese „soweit möglich […] komplett abgeschafft werden”, ansonsten sollen sie auf die Textform (zum Beispiel E-Mail) „herabgestuft“ werden.
Diese Zielsetzung ist zu begrüßen. Denn mittlerweile ist die Essensbestellung ebenso schnell, digital und unkompliziert durchzuführen wie die Urlaubsbuchung oder der Autokauf. Niedrige oder gar der Verzicht von Formerfordernissen entlasten am Ende nicht nur die betroffenen Unternehmen, sondern alle Beteiligten. Vor allem werden dadurch digitale Prozesse oft erst ermöglicht.
Doch ganz so einfach wie es klingt, ist es offenbar nicht. Denn was an Formerleichterungen „möglich“ ist, und was nicht, dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen; auch innerhalb der Bundesregierung. Das zeigt sich beim sogenannten Nachweisgesetz, das im Zuge des BEG IV auch vereinfacht werden soll. Worum geht’s dabei?
Unnötige Bürokratie durch qualifiziert elektronische Signatur
Grundsätzlich können in Deutschland unbefristete Arbeitsverträge formfrei, das heißt sogar mündlich, wirksam geschlossen werden. Was anderes gilt jedoch für die wesentlichen Vertragsbedingungen, zu denen unter anderem Name und Anschrift der Vertragsparteien, Arbeitsort, Beschreibung der Tätigkeit, Urlaub und Fortbildungsmöglichkeiten gehören. Diese sind dem Arbeitnehmer laut Nachweisgesetz schriftlich nachzuweisen.
Vor zwei Jahren hat die Ampel-Koalition selbst die Anforderungen des Nachweises noch verschärft. Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsvertrages in Schriftform nachzuweisen. Verstöße dagegen werden als Ordnungswidrigkeit gewertet und sind mit Geldbußen von bis zu 2000 Euro belegt. Der Nachweis „in elektronischer Form“ wurde explizit ausgeschlossen. In der Praxis bedeutet das ein Digitalverbot im 21. Jahrhundert.
Statt die eigenen Verschärfungen zurückzunehmen und beim Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen die Textform ausreichen zu lassen, sieht der verabschiedete Regierungsentwurf des BEG IV neben der fortbestehenden Schriftform aber lediglich die „qualifiziert elektronische Signatur“ vor, die der Schriftform rechtlich gleichgestellt ist. Das kann als Fortschritt gewertet werden, weil damit immerhin digitale Lösungsansätze ermöglicht werden. Eine einfache und bürokratiearme Regelung ist das aber nicht. Bereits Anfang des Jahres hatten sich mehrere hundert Gründerinnen und Gründer unter der Initiative #signsmart vereint und die Textform eingefordert. Doch die Forderungen blieben bei der Bundesregierung ungehört.
Nur die Anbieter der „qualifiziert elektronischen Signatur“ reiben sich in Aussicht auf neue Anwendungsfälle erwartungsfroh die Hände. Doch das Ziel von Bürokratieentlastung sollte die Entlastung möglichst vieler sein, nicht die Förderung einzelner. Denn angesichts der vergleichsweisen hohen Anforderungen, die an die qualifiziert elektronische Signatur gestellt werden, ist dieses Formerfordernis für den bloßen Nachweis von Vertragsinhalten nicht angemessen. Ohne Frage: Gerade Start-ups bieten im Bereich der qualifiziert elektronischen Signatur mittlerweile überzeugende Lösungen. Sie sind auch um ein Vielfaches fälschungssicherer als die eigenhändige Unterschrift. Doch bei der hier infrage stehenden Konstellation geht es ja gerade nicht darum, die Identität der unterzeichnenden Person zu gewährleisten, sondern um den bloßen Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen.
Elektronische Signatur für Interessensausgleich kein Muss
Als Argument gegen die Textform wird teilweise vorgebracht, dass nur die Nachweise in Schriftform aufgrund ihrer Urkundsfunktion im Falle von zivilgerichtlichen Streitigkeiten die nötige Beweisfunktion entfalten. Doch nach den zivilprozessrechtlichen Vorgaben obliegt es der Richterin oder dem Richter, alle vorgebrachten Beweise frei zu würdigen, es stehen neben Urkunden unter anderem auch Zeugen und Parteivernehmung zur Beweisführung zur Verfügung. Und selbst wenn man zivilprozessrechtliche Schwierigkeiten annehmen sollte, wäre das eher ein Grund, diese in Angriff zu nehmen, als im Nachweisgesetz auf die Schriftform zu pochen.
Wie der Regierungsentwurf zeigt, konnte innerhalb der Bundesregierung dazu leider keine Lösung gefunden werden, die den Anforderungen einer digitalen Arbeitswelt Rechnung trägt. Es liegt nun bei den Regierungsfraktionen im parlamentarischen Verfahren, den postulierten „digitalen Aufbruch“ der Ampel-Koalition in ein Gesetz zu gießen.
Eine Möglichkeit des Interessenausgleichs könnte etwa sein, den Mitarbeitenden einen Anspruch auf einen schriftlichen Nachweis zu gewähren, vom Grundsatz her aber die Textform ausreichen zu lassen. Damit würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Einerseits hätten Mitarbeitende, gerade in einem prekären Beschäftigungsumfeld, mit dem gesetzlichen Anspruch ein „scharfes Schwert“ gegenüber dem Arbeitgeber in der Hand. Andererseits würde in den übrigen, ganz überwiegenden Fällen auf Papier oder die „qualifiziert elektronische Signatur“ verzichtet werden können.
Sofern hierüber Konsens erzielt wird, könnte – zumindest im Bereich des Nachweisgesetzes – mit dem BEG IV in der Praxis tatsächlich einmal ein Fortschritt erreicht und Bürokratie abgebaut werden. Das würde die Stimmung im diagnostizierten Bürokratie-Burnout aufhellen.
Christoph J. Stresing bildet zusammen mit Franziska Teubert das Geschäftsführungsteam beim Start-up-Verband. Er ist dort für das Thema Politik zuständig.