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Digitalisierung & KI

Standpunkte Wild-West im Netz oder ein starkes Europa?

Albrecht von Sonntag, Mitgründer von Idealo
Albrecht von Sonntag, Mitgründer von Idealo

Die Entwicklung des Internets bereitet mir Sorgen – mit Blick auf das Nutzer:innenverhalten meiner Kinder, der Demokratie und der Wirtschaft. Der DMA stärkt endlich den Wettbewerb und schützt so Wirtschaft und Verbraucher vor Tech-Giganten. Doch das reicht nicht aus.

von Albrecht von Sonntag

veröffentlicht am 11.03.2025

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Die Digitalwirtschaft ist längst ein zentraler Motor der europäischen Wirtschaft. Ihr Wert könnte bis 2030 auf 829 Milliarden Euro steigen und läge damit weit über dem Wert der heutigen Industriegrößen. 70 Prozent der Europäer kaufen regelmäßig online ein, und Prognosen sehen den Onlinehandel als eine der wichtigsten digitalen Technologien bis 2030.

Wie der traditionelle Handel darf auch der Onlinehandel kein rechtsfreier Raum sein. Verbraucherrechte und fairer Wettbewerb sind besonders online stark bedroht und ihr Schutz ist essenziell. Derzeit dominieren wenige große Tech-Konzerne den Onlinemarkt. Im letzten September hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgestellt, („Google Shopping Case“: Verfahren C-48/22 P), dass sie imstande sind, mit vorsätzlichem Rechtsbruch ihre eigenen Produkte zu bevorzugen und die Konkurrenz zu Lasten der Verbraucher zu verdrängen.

Dafür muss Google jetzt eine Rekordstrafe von 2,43 Milliarden Euro zahlen – Kleingeld im Verhältnis zu den Gewinnen, die sie mit ihrem andauernden Rechtsbruch verdienen. Weitere Konsequenzen scheint das Unternehmen bislang nicht ernsthaft zu befürchten, man macht einfach weiter.

Digitalwirtschaft als Wirtschaftsfaktor

Das heißt: Andere, vor allem europäische Unternehmen, wird es bald nicht mehr geben; die Verbraucherpreise werden durch Monopolrenditen der Tech-Konzerne immer weiter steigen; und weder Gewinne noch Steuern werden in Europa realisiert. Unser Kontinent wird zu einer digitalen Kolonie von Übersee.

Das müssen die Bundesregierung und die Europäische Kommission verstehen und angehen: Die originäre Digitalwirtschaft Europas ist kurz vor der kompletten Übernahme und damit auch die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Europa.

Das Inkrafttreten des Digital Market Acts vor einem Jahr war ein wichtiger Meilenstein. Seinen Ursprung hat das Gesetz in unserem jahrzehntelangen Kampf gegen die Selbstbevorzugung des Google-hauseigenen Preisvergleichs in den Ergebnissen der Suchmaschine. Doch obwohl der EuGH im Google-Shopping-Case der Europäischen Kommission in allen Punkten recht gegeben hat, zögert sie mit der konsequenten Durchsetzung. Warum, ist unklar. Angst vor der eigenen Courage? Zu wenig personelle Ressourcen? Oder ist es die professionelle und rechtssichere Aufarbeitung der Fälle?

Rechtsstaat nicht zum Spielball der Geopolitik machen

Die E-Commerce-Mitteilung der EU-Kommission, der Draghi-Report und andere Berichte machen deutlich: Europa braucht eine ambitionierte digitale Wirtschaftspolitik. Die Durchsetzung eines fairen Wettbewerbs ist dabei zentral. Zugleich darf die Zukunft unseres digitalen Wirtschaftsstandortes nicht zum Spielball der Geopolitik werden oder gar zur Verhandlung stehen. Europa braucht engagierte Kräfte, die sich ernsthaft zur europäischen Digitalwirtschaft bekennen und muss seine digitale Zukunft endlich aktiv gestalten. Dieser Appell gilt parlamentarischen Kräften, Behörden und Gerichten ebenso wie Forschenden und Unternehmern.

Denn die aktuelle Entwicklung im digitalen Sektor betrifft nicht nur die Wirtschaft und den Verbraucherschutz, sondern auch unsere Demokratie. Digitale Plattformen können durch Algorithmen entscheiden, welche Inhalte sichtbar sind und welche nicht. Und selbst wenn die Algorithmen keiner politischen Agenda der Plattformeigentümer folgen würden: alleine die unregulierte, rein gewinnmaximierte Ausrichtung sorgt dafür, dass einerseits toxische, auf starke Nutzerreaktion ausgerichtete Inhalte überproportional ausgespielt werden und andererseits bezahlte Inhalte einen immer größeren Anteil einnehmen. Die Folgen: Polarisierung, Desinformation und eine zunehmend intransparente sowie manipulierte öffentliche Meinungsbildung.

Moderne Massenmedien wie Fernsehen regulieren

Regulierungen müssen sicherstellen, dass digitale Plattformen unsere europäischen Werte respektieren. Das traditionelle Massenmedium Fernsehen wird seit 2010 durch die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste zum Schutz der Demokratie, der freien Meinungsbildung und Jugend erfolgreich reguliert. Die ausnahmslose Erstreckung dieser Regeln auf die modernen Massenmedien ist längst überfällig.

So wie Fernsehen und Presse mit großer Selbstverständlichkeit diese Regeln befolgen, müssen auch deren digitale Nachfolger denselben Regeln unterworfen werden. Das gilt insbesondere für die Menge und Arten von Werbung. Derzeit erleben wir bei den digitalen Plattformen Manipulationen, die Menschen süchtig machen, die Verbraucher:innen täuschen und die unsere Demokratie tiefgreifend gefährden.

Die gute Nachricht ist, dass Europa und Deutschland bereits hervorragende Gesetze haben. Es bleibt die drängende Aufgabe, diese nun auch ausnahmslos auf die digitale Welt zu erstrecken und sie entschlossen durchzusetzen. Die Zeit für Privilegien für den digitalen Sektor ist vorbei.

Vor 25 Jahren hat Albrecht von Sonntag den Preisvergleichsdienst Idealo mitgegründet. Seit über 15 Jahren setzt sich der Unternehmer und Jurist für fairen Wettbewerb und gegen Marktmissbrauch auf dem digitalen Markt ein.

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