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Digitalisierung & KI

Standpunkte X wird zum modernen Volksempfänger

Alexandra Geese, Europaabgeordnete (Grüne/Deutschland)
Alexandra Geese, Europaabgeordnete (Grüne/Deutschland)

Elon Musk nutzt X, um Demokratie in Europa zu bekämpfen. Die offene Unterstützung der in Teilen verfassungswidrigen AfD, die geheime Manipulation der Empfehlungsmechanismen zur Stärkung rechtsextremer Accounts, algorithmisch verstärkte Propaganda im Minutentakt – das ist eine gefährliche Verzerrung der Realität, die Europa mit dem Digital Services Act bekämpfen muss.

von Alexandra Geese

veröffentlicht am 07.01.2025

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Bundeskanzler Scholz reagiert gelassen auf Beleidigungen durch Elon Musk. „Die SPD sei Angriffe von Medienunternehmern gewohnt.“ Die Aussage zeigt, wie wenig die Gefahr der Manipulation der öffentlichen Meinung durch soziale Netzwerke verstanden wird. Musk ist eben nicht irgendein Medienunternehmer, der sich persönlich äußert. Das wäre Meinungsfreiheit.

Musk kontrolliert ein globales Kommunikationsnetzwerk, das aggressives Agenda-Setting für Medien und Politik in Deutschland betreibt. Wenn Millionen von Deutschen seit Monaten Tweets rechtsextremer und Putin-freundlicher Meinungsführer in die Timelines gespült werden und progressive Accounts untergehen, dann ist das nicht Meinungsfreiheit, sondern eine Manipulation des öffentlichen Diskurses, die den Weg in die Diktatur bereitet.

Abweichende Meinungen werden algorithmisch erstickt

Moderne Propagandamaschinen haben es nicht mehr nötig, andere Stimmen zu verbieten. Es reicht, Fakten in einem Meer aus Lügen und Hetze zu ertränken. Natürlich sind abweichende Meinungen noch möglich, doch sie werden algorithmisch erstickt. Bereits 2018 – vor Musk’s Übernahme – erreichten Falschinformationen auf Twitter Menschen sechsmal schneller als Informationen.

Seitdem hat Musk X in eine hasserfüllte Propagandamaschine verwandelt. Seit seinem Einstieg in den Wahlkampf an der Seite von Trump verdoppelte sich erst seine persönliche Reichweite und im zweiten Schritt die republikanischer Accounts allgemein. Allein die Lüge, die Demokraten importierten Migranten als Wähler, wurde laut einer Studie des Center for Countering Digital Hate 1,3 Milliarden Mal gelesen, also etwa acht Mal pro Wähler. Sein Account mit 210 Millionen Followern nutzt er auch im deutschen Wahlkampf, um Propaganda und Lügen eine Reichweite zu verschaffen, die sie allein nie erreichen würden.

Jetzt schlägt die Stunde Europas

Im Gegensatz zu den USA ist Europa in der glücklichen Lage, bereits 2022 ein Gesetz verabschiedet zu haben, das autoritäre Einflussnahme durch soziale Netzwerke stoppen kann. Der Digital Services Act gibt der europäischen Kommission die Möglichkeit einzuschreiten, wenn digitale Plattformen mit über 45 Millionen Nutzer:innen in Europa Wahlen gefährden. Dieser Beweis ist längst erbracht. In Rumänien muss die Präsidentschaftswahl wiederholt werden, weil Tiktok systematisch einem rechtsextremen Kandidaten mehr Sichtbarkeit als allen anderen verschafft hat. Dabei spielte eine vermutlich russische Einflussnahmekampagne mit zahlreichen Bot-Accounts eine entscheidende Rolle.

Im Fall von X ist es der Inhaber des sozialen Netzwerks selbst, der aktiv in den deutschen Wahlkampf zu Gunsten einer in Teilen als verfassungsfeindlich eingestuften Partei eingreift. Dazu kommt seine Rolle als vermutlich einflussreichstes Mitglied der zukünftigen US-Regierung. X wird damit zu einer Sonderform des Staatsmediums und einem machtvollen Instrument ausländischer Einflussnahme. Aber während verbotene russische Medien wie RT oder Sputnik nur einzelne Emittenten sind, steuert Musk das gesamte Netzwerk. Die Gefahr für die Demokratie liegt auf der Hand.

Bundestagswahl schützen

Auf der Grundlage von Artikel 34 und 35 des Digital Services Acts muss die Europäische Kommission die folgenden möglichen Sofortmaßnahmen zum Schutz der Bundestagswahl treffen. Alle Maßnahmen sind inhaltsneutral und beeinträchtigen damit in keiner Form die Meinungsfreiheit, sondern schützen sie vor der künstlich erzeugten Dominanz irreführender Propaganda. Diese Schritte sollten für alle sehr großen Online-Plattformen gelten. Die Durchsetzung muss selbstverständlich dort besonders konsequent erfolgen, wo Verletzungen bereits jetzt offensichtlich sind und wie bei X mit klarer politischer Absicht der Wahlbeeinflussung begangen werden.

Inhalte von Accounts, denen Nutzer nicht aktiv folgen, sollten nicht mehr angezeigt werden. Interaktionsbasiertem Ranking, einem Hauptfaktor zur Verstärkung von Desinformation und Hass, muss ein Ende gesetzt werden. Mehrere Studien beweisen, dass bereits vor der Übernahme von Twitter durch Musk Posts, die Wut und Empörung auslösen, stärker ausgespielt wurden als andere und insbesondere im politischen Bereich die von Nutzern angegebene Wünsche dabei missachtet wurden.

Die zusätzliche Verstärkung von sogenannten Super-Usern, die durch hohe Posting-Frequenz auffallen und häufig Desinformation oder diskriminierende Inhalte verbreiten, ist zu stoppen. Davon wäre auch Elon Musks eigener Account betroffen. Idealerweise sollten Empfehlungssysteme bis zur Bundestagswahl vollständig abgeschaltet werden, damit Nutzer selbst entscheiden können, was sie lesen wollen. Langfristig sind diese Systeme durch nutzerdefinierte Kriterien oder neue Empfehlungsmechanismen zu ersetzen, die Vielfalt und Glaubwürdigkeit fördern.

Lukratives Werbegeschäft mit Desinformation beenden

Die Monetarisierung von Desinformations- und Propaganda-Accounts muss aufhören. Werbetreibende müssen in die Lage versetzt werden, die Platzierung ihrer Werbung auf diesen Seiten effektiv zu verhindern. Zudem ist die provisorische Umsetzung der beschlossenen Verordnung zu Targeting und Transparenz politischer Werbung umgehend erforderlich.

Der blaue Haken bei Twitter muss als irreführendes Instrument, das rechte Propagandisten an den Werbeeinnahmen beteiligt und Nutzern falsche Seriösität vorgaukelt, umgehend reformiert werden. Die EU-Kommission hat eine entsprechende Ermittlung bereits abgeschlossen und muss jetzt sofort Maßnahmen ergreifen, um diesen Missbrauch zu unterbinden.

Unsichtbare Bedrohung durch Bots

Plattformen müssen strenge Maßnahmen gegen Botnetze ergreifen, um die Integrität des digitalen Raums zu schützen. Laut einer Studie des Cybersichterheits-Unternehmens Imperva stammt nur noch ein Viertel des deutschen Internet-Traffics von echten Menschen. Botnetze gaukeln eine völlig falsche Realität vor und sind ein Instrument der Propaganda. Soziale Netzwerke müssen eine große Anzahl gut ausgebildeter Moderator:innen einsetzen, um illegale Inhalte zuverlässig zu entfernen. Besondere Aufmerksamkeit muss der Kombination aus illegalen Hassposts und Desinformation, die sich gegen Frauen oder Minderheiten richtet, gewidmet werden.

Die klare Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten und deren sorgfältige Moderation sind entscheidend, um der Verbreitung falscher Informationen entgegenzuwirken, insbesondere wenn Politiker:innen fälschlicherweise Aussagen zugeschrieben werden. Eine regelmäßige Koordinierung mit Behörden wie der EU-Kommission, der Bundesnetzagentur und der Zivilgesellschaft ist notwendig, um Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und inhaltsneutrale Maßnahmen zu besprechen.

Desinformation langfristig stoppen

Die Kommission muss Ermittlungen einleiten, die fundiert beweisen, welche Mechanismen systematisch dazu führen, dass Desinformation systematisch schneller zirkuliert als Information. Diese Mechanismen müssen durch nutzerbestimmte Auswahlverfahren von Inhalten ersetzt werden und Möglichkeiten bieten, nach unabhängigen Kriterien geprüfte faktische Information höher zu ranken als andere Inhalte. Auch konsensfördernde anstatt polarisierende Ranking-Systeme wie Bridging sollten als Alternativen in Betracht gezogen werden. Sobald die Blackbox der Empfehlungssysteme aufgebrochen wird, werden manipulationsfreie und demokratische soziale Netzwerke wieder möglich.

Die demokratischen Parteien Deutschlands sollten die EU-Kommission und die in Deutschland zuständige Bundesnetzagentur dringend auffordern, die oben aufgeführten Maßnahmen anzuordnen. Sollten Plattformen diese Maßnahmen nach Beachtung der im DSA vorgeschriebenen Verfahren langfristig verweigern und damit europäisches Recht brechen, gibt es keinen Grund, die härteste Keule des Gesetzes nicht zu schwingen: die temporäre Aussetzung. Auf Deutsch: X abschalten.

Alexandra Geese sitzt für die deutschen Grünen im Europaparlament. Dort verhandelte sie mit am Digital Services Act.

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