Deutschland steuert auf Neuwahlen zu. Der Stein, der die Ampel letztlich zu Fall brachte, waren Grundsatz-Differenzen in der Wirtschaftspolitik. Soll der Staat aktiv Industriepolitik betreiben und in die ökologische Transformation investieren? Oder sollen Investitionen Privatsache sein? Diese Diskussion ist wichtig und mit dem Ende der Ampel keineswegs gelöst. Einen lähmenden Grundsatzstreit kann sich Deutschland jedoch nicht leisten.
Im parlamentarischen Verfahren sind wichtige Gesetzentwürfe wie das Kohlendioxid-Speicher- & Transportgesetz (KSpTG), die noch vor der Auflösung des Bundestags auf ihren Abschluss warten. Sonst sind die Entwürfe wegen des Diskontinuitätsprinzips hinfällig – und nach einer Neuwahl müsste es von vorne losgehen. Damit noch Mehrheiten möglich sind, kommt es auf die Zusammenarbeit zwischen Akteuren aus unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Lagern an. Eine Situation, an der sich im Übrigen auch durch vorgezogene Neuwahlen aller Voraussicht nach nichts ändern wird. Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat benötigen Kooperation und Kompromisse statt wirtschaftspolitischer Grundsatzkonflikte.
Rahmenbedingungen kosten den Staat nichts
Besonders unnötig wären Verzögerungen dort, wo es inhaltlich parteiübergreifend großen Konsens gibt, industrielle Transformation möglich gemacht wird und nicht einmal Kosten entstehen: etwa beim KSpTG. Dieses schafft die rechtliche Grundlage, die die deutsche Industrie braucht, um unvermeidbare Kohlendioxid-Emissionen überhaupt aktiv managen zu dürfen. Denn bisher ist der Transport des Klimagases nicht zulässig. Der Transport aber ist notwendig, damit die Industrie Konzepte entwickeln kann, CO2 abzuscheiden und anschließend als Rohstoff zu nutzen (CCU) oder dauerhaft zu speichern (CCS). Auch Planung, Genehmigung und Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur für den CO2-Transport sind ein Mammutprojekt. Ohne KSpTG fehlt all dem die Grundlage.
Keine Rolle spielt dagegen die Finanzierung im Gesetzentwurf, der im September bereits in erster Lesung im Bundestag behandelt wurde. Es geht nur um den rechtlichen Rahmen, den der Staat der Industrie setzt. Sie braucht ihn, um sicher in die Zukunft investieren zu können. Wenn das Gesetzgebungsverfahren in einem neu konstituierten Bundestag von Grund auf neu gestartet werden muss, dürfte das einen vermeidbaren Zeitverzug von mindestens einem Jahr bedeuten, ohne dass der Bund Ausgaben spart.
Anschubfinanzierung für Technologien von morgen
Bei den innovativen Technologien, die erst durch Rahmenbedingungen wie das KSpTG möglich gemacht werden, sind die Aufwände für Forschung, Entwicklung und Realisierung dagegen besonders groß, und damit auch die ökonomischen Risiken für private Investoren. Anschubfinanzierungen für die Wachstumstechnologien von morgen sind deshalb eine sinnvolle und notwendige Investition der öffentlichen Hand. Diese sichern langfristig unseren Wohlstand.
Die grüne Transformation der Zementproduktion beispielsweise erfordert große Investitionen in neue Technologien. Diese sorgen dafür, dass klimaneutraler Zement gegenüber konventionell und damit CO2-intensiv hergestellten Produkten wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig sein kann. Gleichzeitig gibt es weltweit rund 3000 Zementwerke und damit ein enormes langfristiges Marktpotenzial für Technologien zur klimaneutralen Zementherstellung.
Green Tech boomt. Die Unternehmensberatung Roland Berger schätzt, dass sich das globale Marktvolumen bis 2030 mehr als verdoppeln wird, auf zwölf Billionen Euro pro Jahr. Das ist ungefähr dreimal so viel wie das aktuelle BIP in Deutschland. Die Welt will grüne Technologie – und wenn wir davon profitieren wollen, müssen wir sie liefern können. Wenn hier Investitionen gekürzt werden, sparen wir uns um die Zukunft.
Wirkt der „Geist von Brunsbüttel“ auch im Bund?
Am Freitag vergangener Woche, nur zwei Tage nach dem Ampel-Aus, hat die Konferenz der 16 Energieminister:innen der Länder in Brunsbüttel getagt - in der aktuellen Planung ein wichtiger Standort als CO2-Hub. Die 16 Minister:innen haben sich unabhängig von parteipolitischer Couleur auf eine einstimmige Erklärung verständigt.
Darin sprechen sie sich dafür aus, den Transformationsprozess hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft weiter entschieden zu verfolgen und Impulse zu setzen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu sichern. Sie appellieren an den Bund, entsprechend zu handeln. Dieser „Geist von Brunsbüttel“ wirkt hoffentlich auch im Bund, damit Deutschland zu schnellen Entscheidungen für Investitionen und Innovationen kommt. Bis zur Neuwahl und darüber hinaus.