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Energie & Klima

Standpunkte Das Weimarer Dreieck als Motor der EU-Industriepolitik

Lukas Hermwille, Co-Leiter des Forschungsbereichs Transformative Industriepolitik am Wuppertal Institut
Lukas Hermwille, Co-Leiter des Forschungsbereichs Transformative Industriepolitik am Wuppertal Institut Foto: Quelle: Wuppertal Institut

Wie schnell der Übergang zu einer klimaneutralen Industrie gelingt, ist entscheidend dafür, ob die EU ihre Klimaschutzziele erreicht. Lukas Hermwille, Joseph Dellatte und Aleksander Śniegocki sind sich in diesem Standpunkt sicher: Dies entscheidet auch darüber, wie Europa sich im internationalen Wettbewerb behaupten kann. Deshalb brauche Europa einen Green Industrial Deal – und politische Führung, um diese Initiative voranzutreiben.

von Lukas Hermwille

veröffentlicht am 17.05.2024

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Die bevorstehende Wahl des EU-Parlaments am 9. Juni 2024 stellt die Weichen für die Europäische Union und ihre ehrgeizigen Klimaschutzziele. Mit dem Erstarken populistischer und teilweise rechtsextremer Parteien in Europa deutet sich an, dass der European Green Deal auf der politischen Agenda nach hinten rücken und kurzfristige und gegebenenfalls kurzsichtigere politische Fragen in den Vordergrund treten könnten. Dies könnte nicht nur die ambitionierten Klimaschutzziele, sondern auch die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und letztendlich den Zusammenhalt in der Union gefährden.

Doch in diesen politisch turbulenten Zeiten fehlt absehbar eine starke Führung: Sowohl das Europäische Parlament als auch die EU-Kommission sind absehbar mehr mit den Wahlen und dann damit beschäftigt, sich neu zu sortieren. Auch von der Ratspräsidentschaft Ungarns in der zweiten Hälfte dieses Jahres ist keine industriepolitische Initiative zu erwarten.

Vor diesem Hintergrund scheint eine politische Initiative des Weimarer Dreiecks – der Regierungen von Frankreich, Polen und Deutschland – der einzige Lichtblick. Zum ersten Mal seit vielen Jahren stehen alle drei Länder unter klar pro-europäischer Führung. Daraus ergibt sich eine einzigartige Gelegenheit, eine mutige, neue Industriepolitik auf den Weg zu bringen, die den ökologischen Wandel priorisiert.

Gemeinsame Initiative könnte auch innenpolitisch helfen

Die drei Regierungen stehen vor erheblichen innenpolitischen Herausforderungen, die ihre politische Handlungsfähigkeit in puncto grüne Transformation im eigenen Land einschränken. In Deutschland scheint die Ampelkoalition nach der weiteren Verschärfung der Haushaltszwänge durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahr ihre Gestaltungsspielräume ausgeschöpft zu haben.

In Frankreich sieht sich Macron mit starker innerer Opposition, insbesondere vom rechten Rand, konfrontiert. Und die neue polnische Regierung stützt sich auf eine breite, aber fragile Koalition und kämpft immer noch mit dem Erbe der vorherigen PiS-Regierung, die viele polnische Institutionen demontiert hat. Konzentrieren sich alle drei Regierungen auf die EU-Ebene, könnte dies ein geeigneter Weg sein, um politische Blockaden im eigenen Land zu umgehen.

Natürlich müssten dafür Macron und Scholz ihre jüngsten Differenzen überwinden. Hier könnte Donald Tusk genau der Richtige sein, um die deutsch-französischen Spannungen abzubauen. Er könnte eine Koalition schmieden, die sich auf Frankreichs Engagement für die grüne Reindustrialisierung, Deutschlands Führungsrolle in der Wirtschafts- und Klimapolitik und Tusks eigener Kompetenz im Management der europäischen Politik stützt.

Drei Prinzipien für eine erfolgreiche europäische Industriepolitik

Der Erfolg der Zusammenarbeit des Weimarer Dreiecks hängt nicht nur vom politischen Willen dieser drei Regierungen ab, sondern auch von den Prinzipien, die ihren Ansatz für die EU-Industriepolitik definieren: Erstens sollte die europäische Industriepolitik transformativ sein und mit den ehrgeizigen langfristigen Klimazielen Europas übereinstimmen. Das bedeutet, Innovationen in grünen Technologien zu fördern, nicht nachhaltige Technologien bewusst auslaufen zu lassen und einen gerechten Übergang für Beschäftigte und besonders betroffene Regionen zu gewährleisten.

Zweitens sollte die EU-Industriepolitik die Einheit, Wettbewerbsfähigkeit und den Binnenmarkt Europas stärken. Industriepolitik darf kein Nullsummenspiel zwischen den Mitgliedstaaten sein. Der Schwerpunkt sollte auf Zusammenarbeit, der Nutzung der Stärken jedes Landes und der Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt liegen.

Drittens sollte die EU-Industriepolitik auf globale Zusammenarbeit statt auf Rivalität setzen. Die EU muss ihre eigenen Investitionskapazitäten stärken, und zwar nicht nur, um sich im technologischen Wettbewerb, insbesondere mit China und den USA, zu behaupten, sondern auch, um darüber hinaus offene, regelbasierte Zusammenarbeit mit globalen Partnern zu fördern. Eine gleichmäßigere globale Verteilung grüner Industrien ist für die Erreichung der globalen Klimaschutzziele notwendig und erhöht letztlich auch die wirtschaftliche Sicherheit Europas.

Ohne gezielte und substanzielle industriepolitische Unterstützung kann die keimende grüne Industrie in der EU nicht gedeihen. Aber unter den richtigen Bedingungen und mit der richtigen Führung kann sie heranwachsen und sich langfristig im internationalen Wettbewerb beweisen. Das Weimarer Dreieck hat eine historische Chance, dafür zu sorgen, dass Europa keine entscheidende Zeit bei der Umsetzung des European Green Deals verliert. Ergänzend zu den bisherigen Instrumenten benötigt Europa einen umfassenden Green Industrial Deal. Davon hängt der künftige wirtschaftliche Wohlstand Europas ab.

Aber es ist nicht nur eine Chance, sondern auch eine Verantwortung. Angesichts der bevorstehenden Wahlen und der damit verbundenen Herausforderungen könnte ein verlorenes Jahr in Sachen Klimaschutz und grüner Transformation sonst zu einem verlorenen Jahrzehnt für die wirtschaftliche und ökologische Zukunft Europas werden.

Dr. Lukas Hermwille ist Co-Leiter des Forschungsbereichs Transformative Industriepolitik am Wuppertal Institut.

Dr. Joseph Dellatte ist Resident Fellow für Klima, Energie und Umwelt am Institut Montaigne, einer führenden französischen Denkfabrik für öffentliche Politik.

Aleksander Śniegocki ist Chief Executive Officer des Instytut Reform, einer polnischen Denkfabrik für Wirtschafts-, Energie- und Klimapolitik. 

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