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Energie & Klima

Standpunkte Denselben Fehler nicht zweimal machen, auch beim Stromnetzausbau nicht

Tobias Goldschmidt, Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur, Schleswig-Holstein
Tobias Goldschmidt, Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur, Schleswig-Holstein Foto: MEKUN Schleswig-Holstein

Die Rückkehr zu Freileitungen beim Ausbau der Stromtrassen könnte Milliarden einsparen, so das Versprechen. Tobias Goldschmidt, Energieminister des Landes Schleswig-Holstein warnt die Koalitionsverhandler aber vor einem teuren Fehler, der die erreichte Beschleunigung beim Netzausbau zunichtemachen und genau deshalb wieder viel Geld und Akzeptanz kosten würde.

von Tobias Goldschmidt

veröffentlicht am 02.04.2025

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Schleswig-Holstein ist ein Land der Erneuerbaren Energien und des Stromnetzausbaus. Hier im Land zwischen zwei Meeren ist mit den Jahren Akzeptanz dafür gewachsen, weil Erneuerbare Energien Werte schaffen und die Wirkung des Netzausbaus greifbar ist. So hat sich die Menge des eingespeisten Stroms aus Erneuerbaren Energien in den vergangenen zwölf Jahren verdreifacht. Gleichzeitig müssen immer weniger Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein netzengpassbedingt abgeregelt werden. Der Grund dafür ist, dass circa ein Viertel der bundesweit im Zuge des Bundesbedarfsplangesetzes von den Ländern zu genehmigenden Netzkilometer in Schleswig-Holstein gebaut worden sind. Jeder Skeptiker kann bei uns im Land erleben, dass Netzausbau wirkt.

Gleichzeitig liegt auch in Schleswig-Holstein der größte Brocken beim Netzausbau noch vor uns. Als zuständiger Energieminister des Landes warne ich deshalb ausdrücklich vor einer leichtfertigen Abschaffung des Erdkabelvorrangs für die sogenannten HGÜs, die Hochspannungsgleichstromleitungen, besser bekannt als Nord-Süd-Trassen oder Stromautobahnen.

Wie so oft lohnt ein kurzer Blick in die Geschichte. Erst Anfang der 2010er Jahre setzte sich die Erkenntnis durch, dass das Stromnetz im alten, auf zentralen und fossilen Anlagen beruhenden Energiesystem neu gedacht und massiv erweitert werden muss. Mit dem Energieleitungsausbaugesetz, der Einführung einer geordneten Netzentwicklungsplanung im Energiewirtschaftsgesetz und dem Bundesbedarfsplangesetz wurde zu Beginn der 2010er Jahre die Planung des bundesweiten Netzausbau geordnet.

Der schwarz-gelbe Atomausstieg von 2011 und die wachsende Dynamik beim Ausbau der Erneuerbaren Energien führten zu immer höheren Übertragungsbedarfen. Neue Technologien, wie beispielsweise Hochtemperaturleiterseite, Temperaturmonitoring oder auch die Einführung der Gleichstromübertragung kamen zum Einsatz. Das erfolgte auch auf Druck einiger Bundesländer und starker und bundesweit aktiver Bürgerinitiativen gegen den Netzausbau.

Technologieschwenk kostete schon einmal Jahre

Gleichzeitig nahm das Einspeisemanagement zu. Immer mehr Windkraftanlagen mussten zeitweise aus dem Wind gedreht werden, weil der Netzausbau um Jahre hinterherhinkte. Statt den Netzausbau zu beschleunigen, trat die damalige Große Koalition bei den Erneuerbaren auf die Bremse und beschloss zur Akzeptanzsteigerung einen Vorrang für Erdverkabelungen bei den HGÜ-Leitungen. Durch diesen Technologieschwenk wurde der Netzausbau und mit ihm die Energiewende erneut um Jahre zurückgeworfen, weil Vorhaben wie die Nord-Süd-Stromtrasse SüdLink nun nochmal völlig neu geplant werden mussten. Die Zeche für die damals von Minister Gabriel und Seehofer verursachten Verzögerungen zahlen die Stromverbraucher bis heute in Form hoher Redispatchkosten.

Wenige Jahre später machte der Druck der Klimabewegung, das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichtes und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundene Energiekrise deutlich, dass es mit Salamitaktik und Schneckentempo beim Netzausbau so nicht weitergehen konnte. Das von der Ampelkoalition 2024 auf den Weg gebrachte Klimaneutralitätsnetz zeigte zum ersten Mal die Höchstspannungs-Netzausbaubedarfe für ein vollständig dekarbonisiertes Stromsystem. 6200 Kilometer (km) neue Leitungen müssen allein im Übertragungsnetz gebaut werden, größtenteils schon bis 2037. Hinzu kommen auf circa 6000 km Verstärkungsmaßnahmen an bestehenden Leitungen.

Bedarf für Leitungsausbau bleibt

Auch wenn die E-Mobilität etwas langsamer hochläuft als erforderlich – ich warne vor der Annahme, wir könnten auch mit deutlich weniger Leitungen auskommen. Eine Wiederholung der Geschichte, wegen fehlender Verbindungen in einigen Jahren wieder die Elektrifizierung auszubremsen können wir uns weder klima- noch industriepolitisch leisten! Auf dem Weg zur Klimaneutralität brauchen wir beides: den Ausbau des Drehstrom-Übertragungsnetzes, weitgehend mit neuen Freileitungen, und zusätzliche Hochspannungs-Gleichstrom-Erdkabel für lange Strecken. Das Klimaneutralitätsnetz ist Grundlage für wegweisende Beschleunigungsanstrengungen im Netzausbau, in der Politik, aber auch bei den Netzbetreibern und in der Zulieferbranche.

Während über 20 Jahre hinweg Ordnung, Akzeptanz, Technologieentwicklung, Klimaschutz, Beschleunigung und Energiesicherheit die prägenden Prämissen beim Stromnetzausbau waren, geht es in der aktuellen Diskussion erstmals so richtig um Kosteneffizienz. Das ist grundsätzlich richtig und wichtig, denn nur wenn wir Energie zu halbwegs wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung stellen können, wird Deutschland ein starker Wirtschaftsstandort bleiben, und nur dann haben Zukunftsindustrien und Wasserstoffwirtschaft hier eine Chance.

Wir sollten aber aus Fehlern lernen und nicht jeden Vorschlag zur Kostensenkung reflexartig richtig finden, egal was an Folgewirkungen angerichtet wird. Es gibt andere Einsparmöglichkeiten, zum Beispiel die Optimierung der Offshore-Windkraftplanung auf Energieertrag statt auf möglichst hohe installierte Leistung, die Einführung von nach Systemdienlichkeit gestaffelten Baukostenzuschüssen, Flexibilitätsanreize bei den Industrienetzentgelten, die Überbauung von Netzverknüpfungspunkten, mehr Kooperation zwischen Übertragungsnetzbetreibern oder auch Reformen im Marktdesign. Die pauschale Umstellung der neuen Gleichstrom-Erdkabelprojekte mag verlockend klingen, wäre aber ein teurer Fehler.

Es ist jetzt schon schwierig genug, einer Gemeindevertretung zu vermitteln, dass demnächst eine neue Drehstromfreileitung am Neubaugebiet vorbeiführen wird, während zusätzlich ein Stück weiter eine HGÜ-Erdkabelbaustelle läuft. Aber dafür gibt es immerhin gute und verständliche Sachgründe, denn im Drehstrombereich hat sich die Kabeltechnik nicht bewährt.

Der schlechteste Kompromiss wäre Technologieoffenheit

Wenn aber künftig die seit langem geplanten HGÜ-Leitungen als Erdkabel gebaut werden, die neuen zusätzlich nötigen HGÜ-Leitungen aber als Freileitung, wird in den Netzausbauregionen Unfrieden herrschen, weil mit mehrerlei Maß gemessen wird. Wer die mühsam erarbeitete Akzeptanz für den Netzausbau einerseits und die Fortschritte bei der Beschleunigung kaputt machen will, der möge so vorgehen. Nichts wiegt schwerer als der Vorwurf der Ungleichbehandlung, gerade bei den Betroffenen.

Die Diskussion über einen möglichen Technologiewechsel lässt außen vor, dass bereits Erdkabelkorridore in der Realisierung sind. An der deutschen Nordseeküste kommen zahlreiche Offshore-Anbindungsleitungen an, die über Korridore die deutschen Verbrauchszentren versorgen. Es käme einem Schildbürgerstreich gleich, genau diese Korridore künftig nicht für weitere Kabel zu nutzen, sondern neue Freileitungsmasten in Sichtweite zu bauen.

Der schlechteste Kompromiss wäre Technologieoffenheit. Sie würde zu den größten Verzögerungen bei der Planung führen, denn ohne eine klare Technologievorgabe werden Netzbetreiber im Genehmigungsverfahren ermessensfehlerfrei abwägen müssen, ob ein Projekt auf Trasse X als Freileitung gebaut werden soll oder auf Trasse Y als Freileitung oder gar als Mischvariante. Das wäre ein Konjunkturprogramm für Gutachter und ein Einfallstor für langwierige juristische Auseinandersetzungen. Die Einzelfallabwägung ist der Hauptgegner aller Beschleunigungsanstrengungen.

Ein sprunghafter Rückschwenk zur Freileitungstechnik würde die erreichte Beschleunigung zunichtemachen und genau deshalb wieder viel Geld und Akzeptanz kosten. Derselbe Fehler sollte nie zweimal gemacht werden. Die Koalitionsverhandler wären gut beraten, Netzbetreiber, Zulieferer, Planungsbüros und Genehmigungsbehörden nicht „zurück auf Los“ zu schicken.

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