Vor zwei Jahren haben sich die Niederlande dazu entschieden, der Kohleverstromung ein Ende zu setzen. Ab 2030 soll Schluss sein mit besonders schmutziger fossiler Erzeugung. Ein dringend notwendiger Schritt, um die Klimakrise zu bekämpfen. Die Erde wird es den Niederlanden danken. Doch statt Dank kassiert das Land erstmal eine Klage. Der deutsche Energieriese RWE will 1,4 Milliarden Euro als Entschädigung für den niederländischen Kohleausstieg. Möglicherweise bleibt es nicht dabei, denn auch der Düsseldorfer Konzern Uniper hat den Niederlanden schon mit einer Klage gedroht.
Wie kann das sein? Man sollte schließlich meinen, dass es sich beim Kohleausstieg um einen ganz normalen politischen Vorgang handelt. Ein Parlament erkennt die existenzbedrohende Gefahr der Klimakrise und entscheidet sich für einen Wandel der Politik. So weit, so gut. Für solche Entscheidungen werden wir Politiker*innen gewählt.
Doch es gibt ein Abkommen, das der Sache in die Quere kommt: Der Energiecharta-Vertrag, kurz ECT. Ein Investitionsschutzvertrag, von dem viele wohl noch nie etwas gehört haben. Er erlaubt es privaten Investoren, die im Ausland im Energiebereich aktiv sind, vor privaten Schiedsgerichten Staaten zu verklagen, wenn die ihre Gesetzgebung zum Nachteil des Unternehmens verändern.
136 Klagen auf Basis der Energiecharta
Solche Klageprivilegien für Konzerne waren schon in den Debatten um TTIP und CETA, den Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada, in aller Munde. Doch kein Vertrag auf der Welt hat so viele Schiedsgerichtsklagen nach sich gezogen wie der Energiecharta-Vertrag: 136 Mal haben Investoren bereits Staaten unter diesem Vertrag verklagt. In zwei Drittel der Fälle kommen sowohl Investor als auch Staat aus der Europäischen Union.
Das musste Deutschland schon am eigenen Leibe erfahren. Fast neun Jahre prozessierte der schwedische Energiekonzern Vattenfall vor einem Schiedsgericht in Washington gegen die Bundesregierung. Vattenfall verlangte bis zu sieben Milliarden Euro Entschädigung für den deutschen Atomausstieg. Auch wenn es jetzt zu einer außergerichtlichen Einigung über eine Entschädigungssumme von 1,4 Milliarden Euro kam, ist klar, dass bei der Höhe der Einigung neben einem Verfassungsgerichtsurteil der drohende Schiedsspruch eine Rolle gespielt hat.
Dass alleine die Androhung oder gar die Möglichkeit einer Schiedsklage schon konkrete Auswirkungen haben können, ist nichts Neues. Auch die Entschädigungen für den Ausstieg aus der Braunkohle in Deutschland wurden durch den Energiecharta-Vertrag verteuert. Die Kohleunternehmen verzichteten in einem Vertrag unter anderem auf Klagen unter der Energiecharta und erhielten im Gegenzug eine höhere Entschädigung vom deutschen Staat, wie das Bundeswirtschaftsministerium kürzlich zugab. Diese Fälle zeigen: Auch ohne Schiedssprüche in Milliardenhöhe kann der Energiecharta-Vertrag die Kosten für das Ende des fossil-nuklearen Zeitalters massiv in die Höhe treiben.
Die Reform-Entwürfe der EU-Kommission enttäuschen
Der Energiecharta-Vertrag bremst die Energiewende aus und torpediert den Kampf gegen die Klimakrise. Er schränkt die Handlungsfreiheit von Regierungen ein und belastet öffentliche Haushalte. Das Abkommen bietet Konzernen einen zusätzlichen Rechtsweg gegen demokratisch getroffene Entscheidungen vor oft undurchsichtigen privaten Schiedsgerichten, der nicht gerechtfertigt ist.
Inzwischen hat das auch die EU-Kommission erreicht. Der Vertrag soll reformiert werden und zumindest für fossile Energieträger langfristig nicht mehr bestehen. Doch nach mehreren Verhandlungsrunden sind kaum Fortschritte zu erkennen. Die bisherigen Reform-Entwürfe sind enttäuschend und sehen jahrelange Übergangsfristen zum Schutz der fossilen Energien vor – Zeit, die wir nicht mehr haben. Hinzu kommt ein weiteres großes Problem: Für eine Modernisierung des Energiecharta-Vertrags braucht es Einstimmigkeit der über 50 Mitgliedsstaaten der Energiecharta. Ein nahezu aussichtsloses Unterfangen.
Wenn sich in den Verhandlungen nicht bald eine Lösung abzeichnet, bleibt für die EU nur noch der Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag. Alles andere wäre ein Angriff auf das Pariser Klimaabkommen und den Green Deal.
Lange Übergangszeiten – und dennoch lohnend
Doch leichter gesagt als getan. Der Vertrag enthält eine sogenannte Sunset Clause, die dafür sorgt, dass die Bedingungen der ECT ab dem Zeitpunkt des Austritts noch für 20 weitere Jahre gelten. 20 Jahre, die den Kampf gegen die Klimakrise weiter bremsen. Diese Klausel sollte jedoch kein Grund zum Zögern sein, sondern vielmehr Ansporn, schnell zu handeln. Zumindest die EU-Mitgliedsstaaten, unter denen die meisten Klagen anfallen, könnten untereinander vereinbaren, dass die Bedingungen nicht mehr gelten. Damit wäre ein großer Schritt getan.
Viele Länder in der EU werden hoffentlich dem niederländischen und deutschen Vorbild folgen und aus der Kohle aussteigen. Und auch bei uns muss der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen noch deutlich schneller werden. Das bedeutet aber auch, dass die RWE-Klage kein Einzelfall bleiben wird und weitere Konzerne gegen Klimaschutzmaßnahmen vor Schiedsgerichte ziehen werden. Wir werden weitere Klagen sehen, die die Energiewende verzögern, verteuern oder gar verhindern können. Wir sind deshalb überzeugt: Wenn wir die Klimakrise bekämpfen wollen und wenn die EU die Klimaziele ernst meint, dann muss sie sich aus dem Energiecharta-Vertrag verabschieden.
Katharina
Dröge ist Sprecherin für Wirtschaftspolitik der Bundestagsfraktion Bündnis
90/Die Grünen. Tom van der Lee ist Sprecher für Klima- und Energiepolitik der
niederländischen Grünen (GroenLinks).