Die Realität könnte mittlerweile eigentlich gut ohne Thriller auskommen, denn sie schafft ihre eigenen. Während sich in Frank Schätzings Werk „Der Schwarm“ das Meer beziehungsweise seine Bewohner gegen die Menschen erheben, können wir im Hier und Jetzt etwas ganz Ähnliches beobachten, ohne die Nase in ein Buch zu vergraben. Nur läuft es andersherum: Der Mensch greift das Meer an, bringt empfindliche Ökosysteme aus dem Gleichgewicht und schadet damit in erster Linie sich selbst.
Der neue Sonderbericht des Weltklimarats zeigt genau das. Über Jahre haben sich dafür renommierte Wissenschaftler*innen aus aller Welt mit der Wechselwirkung zwischen der Klimakrise und dem Zustand unserer Ozeane und Kryosphäre auseinandergesetzt, also den Eisflächen und -mengen der Erde. Das so wenig überraschende und dennoch erschreckende Ergebnis: Mit fortlaufender Erderhitzung werden Schlagworte wie Meeresspiegelanstieg, Fischsterben und Korallenbleiche Alltag statt Dystopie.
Stichwort Meeresspiegelanstieg: Wähnen wir die Arktis von Deutschland in sicherer Distanz, werden wir die Folgen ihrer Erhitzung unmittelbar auch hierzulande spüren. Denn ohne umfassenden Klimaschutz wird das Polareis schmelzen. Damit geht nicht nur der Lebensraum rund um den Polarkreis verloren und damit die Lebensgrundlage für die vornehmlich indigenen Gemeinden der Arktis. Auch das Wattenmeer bei uns vor der Haustür, die Halligen, die deutschen Küsten, sind für einen Anstieg des Meeresspiegels um bis zu einem Meter nicht gewappnet. Weltweit sind Millionen Menschen an den Küsten von einem Meeresspiegelanstieg betroffen und könnten ihre Heimat verlieren. Was in der Arktis passiert, bleibt eben nicht in der Arktis.
Bis zu 90 Prozent der Riffe könnten absterben
Ähnlich dramatisch sieht es bei den Fischbeständen aus. Da die Klimakrise die Meere aufheizt (und das immer schneller: Seit 1993 hat sich das Tempo bereits verdoppelt) und Strömungen beeinflusst, werden Fischbestände wie etwa der Thunfisch in kühlere Gewässer abwandern. Aber gerade die Küstengemeinden rund um den Äquator sind auf Fischerei angewiesen, sowohl für ihre Ernährung als auch für die Sicherung ihres Einkommens. Und gemeinsam mit dem bösen Zwilling der Erhitzung, der Versauerung, werden alle Korallenriffe bei jedem der verschiedenen Erhitzungsszenarios leiden. Bis zu 90 Prozent der Riffe könnten absterben – ein einzigartiger Lebensraum unzähliger Fischarten und essenzielle Einnahmequelle für den Tourismus in den Regionen wäre verloren.
Doch wir müssen den Blick gar nicht auf tropische Gewässer in der Ferne richten. Die Klimakrise bedroht auch den östlichen Ostseedorsch massiv. Die toxische Kombination aus landwirtschaftlicher Überdüngung und Meereserwärmung sorgt dafür, dass den Dorschen die Luft ausgeht. Gleichzeitig verschiebt sich wegen der Temperaturhöhung das Nahrungsvorkommen für die Fischlarven. Entsprechend schrumpft der östliche Dorschbestand so stark, dass eine Fischerei in Zukunft schwer möglich sein wird.
Aber halt, noch können wir dem Thriller ein Happy End schreiben, zumindest teilweise. Denn machen wir beim Klimaschutz endlich ernst und das jetzt, lässt sich das Worst-Case-Szenario noch abwenden. Dazu muss jedes Land seinen Beitrag leisten, wie unter dem Pariser Klimaschutzabkommen eigentlich auch schon längst zugesagt. Doch Deutschland hinkt hinterher. Als Industrieland mit aktuell und historisch hohen Emissionen steht es in der Verantwortung, viel mehr für den Klimaschutz zu tun als bislang. In den letzten zehn Jahren ist der Treibhausgasausstoß bei uns konstant hoch geblieben. Und das vom Klimakabinett beschlossene Paket ist nicht das Paket, was es angesichts der Dringlichkeit der Situation bräuchte. Bis zur großen internationalen Klimakonferenz Ende des Jahres muss die Bundesregierung nun nachliefern.
Mit dem Klimaschutz Hand in Hand gehen muss ein besseres Fischereimanagement, um den ohnehin schon stark geschrumpften Beständen eine Atempause zu verschaffen. Dazu gehört, dass Fangmengen nach besten wissenschaftlichen Erkenntnissen festgelegt werden, damit nur so viel gefischt wird, wie nachwachsen kann. Zusätzlich sollten unsere Schutzgebiete im Meer endlich wenigstens zur Hälfte nutzungsfrei werden.
Mit umfassendem Klimaschutz und einer gesunden Fischereipolitik würden wir den einzigartigen Lebensräumen der Meere, Polarregionen und Küsten die Chance geben, sich zu erholen. So wie bei den Phoenix-Inseln in der Mitte des Pazifischen Ozeans. Bereits 2002 wurden die Korallenriffe dieser Inseln von einem ungewöhnlich heißen El Niño verwüstet. Innerhalb einer dreijährigen Hitzeperiode wurden über drei Viertel der Korallenriffe zerstört. 2006 wurde ein Schutzgebiet eingerichtet und das Riff vor jedem direkten negativen Einfluss des Menschen konsequent geschützt – die Klimakrise einmal ausgenommen. Und siehe da: 2015 hatten sich bereits über die Hälfte der Riffe erholt. Bekommt die Natur Raum und Zeit, kann sie sich zumindest manchmal erholen.
Die letzten Kapitel sind noch nicht geschrieben, noch liegt der Ausgang in unseren eigenen Händen.
Heike Vesper ist Leiterin Meeresschutz beim WWF Deutschland und war bei dem Treffen des Weltklimarats in dieser Woche vor Ort.