Groß sind die Erwartungen, nachdem sowohl die EU als auch China mit wichtigen Vorstößen in den vergangenen Wochen eine neue Dynamik in der internationalen Klimapolitik ausgelöst haben. Die EU-Kommission will das EU-Klimaziel 2030 auf mindestens 55 Prozent weniger CO2 im Vergleich zu 1990 anheben und das EU-Parlament sogar auf 60 Prozent, während sich China erstmals CO2-Neutralität vor 2060 zum Ziel gesetzt hat.
Während beim chinesischen Vorstoß noch viele wichtige Details offen sind, sind die Verhandlungen in der EU bereits im vollen Gange. Diese Woche stimmte zum Beispiel das EU-Parlament über das Klimaziel und das EU-Klimaschutzgesetz ab. Mit dem Gesetz werden das 2030-Ziel als auch das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erstmals gesetzlich verbindlich geregelt.
Die Debatte in der Öffentlichkeit dreht sich dabei vor allem um zwei Fragen. Zum einen, ob 55, 60 oder gar 65 Prozent angemessen sind. Zum anderen, ob die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag unter Einbeziehung von CO2-Senken, wie beispielsweise der Aufforstung von Wäldern, tatsächlich 55, 53 oder doch nur 50 Prozent erreicht. Die ebenso wichtige Frage der konkreten Ausgestaltung des Klimaschutzgesetzes spielte in der öffentlichen Wahrnehmung bisher fatalerweise keine Rolle.
Governance – die Umsetzung entscheidet
Dabei hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, dass es in der Klimapolitik oftmals nicht an ehrgeizigen Zielen haperte, sondern an deren Umsetzung. Unter dem Stichwort „Governance“ geht es dabei zum Beispiel darum, ob es ein wissenschaftliches Monitoring der Fortschritte etwa durch einen unabhängigen Klimarat gibt oder wie und ob Klimaziele anhand neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse angepasst werden. All das gibt der Klimapolitik einen glaubhaften Unterbau. Es sichert auch Kontinuität und erleichtert so die Umsetzung langfristiger Ziele.
Ohne diesen Unterbau droht Klimapolitik zu einer unverbindlichen Angelegenheit zu geraten, zumal sich neue Regierungen bisher den Vorgaben ihrer Vorgänger immer entziehen konnten. Klimapolitik ohne ausreichende Governance ist wie ein Klempner ohne Werkzeugkasten, ohne Governance steht man schlicht mit leeren Händen da.
In zahlreichen EU-Mitgliedsländern hat man das erkannt und deshalb in den vergangenen Jahren verbindliche Klimaschutzgesetze verabschiedet. In Deutschland etwa ist das Ziel der Klimaneutralität bis spätestens 2050 mittlerweile gesetzlich verbindlich geregelt. Zusätzlich gibt es ein klares Regelwerk für den Fall, dass die Ziele verfehlt werden sollten. Eine zentrale Rolle kommt dabei einem unabhängigen Expertenrat zu, der die Einhaltung der Klimaziele überprüft und bei drohender Verfehlung Maßnahmen vorschlagen kann.
EU-Klimaschutzgesetz droht zum Papiertiger zu werden
Umso mehr verwundert es, dass sich EU-Kommission und deutsche EU-Ratspräsidentschaft jetzt für ein EU-Klimaschutzgesetz „light“ einsetzen und auf eine möglichst konkrete Governance verzichten wollen. Das EU-Parlament hingegen hat erkannt, dass die EU ein ebenso fundiertes Klimaschutz-gesetz braucht, wie es in zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten bereits existiert. Es fordert neben einer Erhöhung des Ziels für 2030 zum Beispiel einen Klimarat auch auf europäischer Ebene. Außerdem setzt sich es dafür ein, dass alle Subventionen für fossile Energien gestrichen werden und ein Zwischenziel für 2040 festgelegt wird.
Das Parlament hat damit nur nicht einen Meilenstein in der europäischen Klimapolitik verabschiedet, sondern der Bundesregierung eigentlich eine Steilvorlage für ein fundiertes EU-Klimaschutzgesetz geliefert. Die Bundesregierung koordiniert nun die weiteren Verhandlungen mit den EU-Mitgliedsländern, die dem Vorschlag des Parlaments noch zustimmen müssen.
Anstatt diese Vorlage zu verwandeln, droht Deutschland aber hinter seine eigenen Standards zurückzufallen und seine Glaubwürdigkeit in der Klimapolitik aufs Spiel zu setzen. Als EU-Ratspräsidentschaft kommt der Bundesregierung nicht nur eine Vermittlerrolle, sondern auch eine Vorbildrolle zu. Während man zu Hause eine überzeugende Governance geschaffen hat, scheint das auf europäischer Ebene kein wichtiges Anliegen mehr zu sein.
Gerade
SPD-Umweltministerin Svenja Schulze
und der sich beim Klimaschutz langsam vom Saulus zum Paulus wandelnde CDU-Wirtschaftsminister
Peter Altmaier müssen jetzt dringend
einschreiten. Sie müssen den Vorstoß des EU-Parlaments unterstützen und die
notwendige Zustimmung der EU-Mitgliedsländer sichern. Ansonsten droht das
EU-Klimaschutzgesetz zum Papiertiger
zu werden. Die Bundesregierung muss sich die Frage gefallen lassen: Wie will
man als Vorreiter beim Klimaschutz wahrgenommen werden, wenn man nicht einmal
die Umsetzung der eigenen Standards auf europäischer Ebene unterstützt?