Beim Klimapaket wird zurecht kritisiert, dass die Politik nicht hinreichend dem Einfluss eines Preissignals traut. Wie wirksam Preise strukturelle Veränderungen unterstützen können, zeigt das Beispiel Großbritanniens. Großbritannien hat neben anderen Maßnahmen 2013 einen CO2-Mindestpreis („Carbon Price Floor“) eingeführt, um die nationalen Klimaziele zu erreichen.
Britische Unternehmen müssen eine zusätzliche CO2-Steuer in Höhe der Differenz zwischen dem Preis für EU-Emissionszertifikate und dem Mindestpreis entrichten, wenn der Zertifikatpreis unter den Mindestpreis fällt. Der „Carbon Price Floor“ wurde 2013 mit einem Satz von 16 Pfund (18,05 Euro) pro Tonne Kohlendioxid-Äquivalent (tCO2e) eingeführt und sollte ursprünglich bis 2020 auf 30 Pfund (33,85 Euro) steigen. Die Regierung hat jedoch im Jahr 2018 beschlossen, den „Carbon Price Floor“ bis 2021 auf 18,08 Pfund (20,40 Euro) zu begrenzen.
In Großbritannien wirkt der CO2-Mindestpreis
Noch 2011 lag der Anteil der Steinkohlestromerzeugung in Großbritannien bei 40 Prozent. Im Jahr 2017 sank er bereits auf 7 Prozent und in der ersten Jahreshälfte 2019 auf 3 Prozent. Im Zeitraum von 2011 bis 2018 hat Großbritannien gleichzeitig die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien massiv vorangetrieben (die mittlerweile etwa die Hälfte des Bedarfs decken), während die Nachfrage nach Strom leicht zurückging.
Trotzdem zeigen Studien,
dass der CO2-Mindestpreis entscheidend dazu beigetragen hat, die Steinkohlestromerzeugung zu reduzieren.
Durch den CO2-Mindestpreis sind Gaskraftwerke deutlich attraktiver
im Vergleich zu Kohlekraftwerken. Der mittlerweile von Großbritannien
beschlossene Kohleausstieg bis 2025 ist auf diese Weise mit deutlich weniger
Störgeräuschen und vor allem Kompensationszahlungen verbunden als der deutsche
dirigistische Weg.
Unabhängig von der Frage, was der „richtige“ Einstiegspreis für die Bepreisung von CO2-Emissionen im Gebäude- und Verkehrssektor in Deutschland wäre, überrascht es, dass sich in der großen Koalition kein Konsens darüber finden ließ, sich am derzeitigen Preisniveau im Europäischen Emissionshandelssystem zu orientieren. Nichtsdestotrotz wird mit dem festgeschriebenen Preiskorridor bis 2025 sowie dem Übergang in ein nationales Emissionshandelssystem im Anschluss ein langfristiges CO2-Preissignal gesetzt, dass bei Entscheidungen über (langlebige) Konsum- und Investitionsgüter entsprechend Berücksichtigung finden wird.
Nicht-ETS-Emissionszertifikate werden teuer
Wie wirksam dieser Preiskorridor ist,
wird sich spätestens dann zeigen, wenn ab 2026 auf eine Mengensteuerung umgestellt
wird – zwar anfangs noch mit klaren Leitplanken für den Preis (2026), aber ob
und mit welchen Preisgrenzen der Korridor in den nachfolgenden Jahren weiterbestehen
soll, ist unklar.
Im Eckpunktepapier für das Klimaschutzprogramm 2030 wird darauf hingewiesen, dass Zertifikate aus anderen Mitgliedsstaaten zugekauft werden, wenn mehr Zertifikate im Rahmen des nationalen Emissionshandelssystems ausgegeben werden als es den Emissionszuweisungen für Deutschland entspricht. Allerdings schätzt die Europäische Umweltagentur, dass nur sechs von 28 Staaten ihre Zielvorgaben für 2030 (basierend auf den existierenden Maßnahmen) erreichen würden.
Das deutet darauf hin, dass mit dem Erwerb von Nicht-ETS-Emissionszertifikaten erhebliche Kosten verbunden sein können und es erscheint wenig plausibel, dass ein Höchstpreis für das nationale Emissionshandelssystem gewählt wird, der deutlich unter dem Zertifikatepreis für den zwischenstaatlichen Handel liegt. Entsprechend gibt es berechtigte Hoffnung, dass Deutschland mit dem vorgelegten Plan (inklusive der jährlichen Überprüfung und Anpassung) seine Reduktionsziele 2030, wenn auch nicht kosteneffizient,aber immerhin erreichen wird.
Enttäuschend im internationalen Vergleich
In den negativen Reaktionen auf das Maßnahmenpaket schwingt aber vor allem mit, dass keine Emissionsreduktionen anvisiert wurden, die über die derzeitigen Ziele hinausgehen. Diese Enttäuschung ist verständlich, wenn man zum Beispiel nach Großbritannien schaut, das sich verbindlich darauf festgelegt hat, seine Emissionen bis 2050 auf netto null zu senken. Oder wenn man auf die Schweiz schaut, die in ihrer Debatte über die Revision ihres CO2-Gesetzes sehr klar die Bedeutung von negativen Emissionen betont um zum Beispiel Residualemissionen aus der Zementproduktion zu kompensieren.
Tatsächlich bleibt das deutsche Klimaschutzpaket bei dieser Frage sehr vage – im Hinblick auf das derzeit in Deutschland nahezu verbotene CCS-Verfahren (Carbon Capture and Storage) kündigt das Eckpunktepapier lediglich an, dass die Bundesregierung mit den relevanten Stakeholdern in den Dialog treten will. An diesen Stellen wird deutlich, dass konsequente Schritte für Netto-Emissionsreduktionen fehlen, die es aber braucht, wenn man die Pariser Klimaziele ernst nehmen will. Oder wenn man, bestätigt durch den aktuellen Sonderbericht des Weltklimarats, sogar anerkennt, dass ein niedrigerer Temperaturanstieg als auf 1,5 Grad sich möglicherweise langfristig als effizient erweisen könnte.
Halbzeit, und Deutschland liegt zurück
Aber trotz oder gerade wegen der bereits sehr schwierigen Ausgangslage – der schleppenden Emissionsreduktionen außerhalb der Sektoren des EU-Emissionshandels sowie der global weiterhin ansteigenden Treibhausgasemissionen – erscheint es ratsam, fatalistische Reaktionen zu vermeiden und sich auf die naheliegenden Schritte bei der Implementierung des Klimapakets zu konzentrieren. Ein erfahrener Fußballtrainer würde wahrscheinlich sagen: Es ist Halbzeit und wir liegen bereits deutlich zurück.
Jetzt ist nicht der
Zeitpunkt, die Reihenfolge der Elfmeterschützen zu diskutieren für den Fall, dass
wir überhaupt noch die Verlängerung erreichen. Jetzt brauchen wir überhaupt erst einmal den Anschlusstreffer. Das vorliegende Klimapaket verspricht keine Offensive, verändert die Spielanlage aber deutlich, wenn wirklich die
angekündigten CO2-Preise ohne weitere Ausnahmen (wie bereits für die
Landwirtschaft vorgesehen) implementiert werden.
Wilfried Rickels ist Leiter Umwelt und natürliche
Ressourcen am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IFW Kiel). Die Mitautorin Christine Merk forscht am IFW Kiel zu den Schwerpunkten Umwelt, natürliche
Ressourcen sowie Sozial- und Verhaltensökonomische Ansätze zur Lösung globaler
Probleme.