In dem Märchen die Bremer Stadtmusikanten fliehen ein Esel, Hund, Katze und Hahn gemeinsam, um so ihrem sicheren Tod zu entgehen. Die Motivation der Tiere formulierten die Gebrüder Grimm in dem Leitsatz: „Etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden.“ Angesichts der sich sichtbar zeigenden Klimaveränderungen, die absehbar zu schweren Verwerfungen in und zwischen Staaten und Gesellschaften führen werden, ist nicht sicher, ob der Satz der Bremer Stadtmusikanten im Zusammenhang mit dem Klimawandel noch stimmt. Denn: Der Klimawandel stellt eine existenzielle Bedrohung für die Menschheit dar und uns läuft immer mehr die Zeit davon. Die Erderwärmung bewegt sich bis 2100 auf einen Anstieg um drei Grad Celsius zu. Dies entspräche einer Verdoppelung der so genannten sicheren Grenze von 1,5 Grad, wie der Bericht aus 2018 des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) warnt.
Kriege, Hungersnöte, Verteilungskämpfe und Generationenkonflikte, die zu einer Dehumanisierung des Menschen führen, wären absehbar, wenn die Staatengemeinschaft jetzt nicht beherzt handelt. In diesem Sinne geht es bei Klimapolitik nicht nur um Umwelt- und Wirtschaftspolitik oder um Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch um konkrete Friedens- und Sicherheitspolitik.
Nächste Woche begrüßt UN-Generalsekretär Antonio Guterres die zentralen Entscheidungsträger und Klimaaktivisten auf dem UN-Klimagipfel in New York, um konkrete Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgasemissionen um 45 Prozent im kommenden Jahrzehnt zu diskutieren. Diese wichtige Initiative wird nur dann nachhaltige Wirkung entfalten, wenn sie auch soziale Belange bei allen Instrumenten zur Bekämpfung des Klimawandels berücksichtigt und es einen fairen Ausgleich zwischen den Verursachern und Betroffenen des Klimawandels gibt. Ohne die Berücksichtigung der sozialen Belange wird den Regierungen und der internationalen Staatengemeinschaft jede noch so gutgemeinte Klimainitiative um die Ohren fliegen. Wer einen Kronzeugen für diese Feststellung sucht, möge den französische Präsidenten Emmanuel Macron fragen, der wuchtige soziale Unruhen erlebte, als er neue Umweltgesetze einführen wollte.
CO2-Preise zur Stärkung der globalen Maßnahmen gegen den Klimawandel
Die Bepreisung von CO2 ist derzeit eines der wirksamsten Instrumente zur Eindämmung von Treibhausgasen und deshalb ein wichtiges Instrument der Vereinten Nationen zur Erreichung der Klimaziele. Die Debatte wird in den kommenden Jahren weiter an Dynamik gewinnen, da rund 20 Prozent der weltweiten Emissionen entweder durch CO2-Abgaben oder durch Emissionshandelssysteme abgedeckt sind (oder bald werden), so eine Studie im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Mit dem Beginn der südafrikanischen CO2-Steuer im Juni 2019 existieren inzwischen in dreizehn G20-Ländern regionale oder nationale CO2-Preise.
Bei der Untersuchung der Umsetzbarkeit von CO2-Preisen zur Stärkung globaler Maßnahmen zeigt sich jedoch, dass die CO2-Preise in den einzelnen Ländern und Regionen immer noch sehr unterschiedlich sind, so dass die sektorale Abdeckung der Emissionssysteme nicht ausreicht, um die vereinbarten Ziele zu erreichen. Außerdem werden die Instrumente der CO2-Bepreisung in Politik und Öffentlichkeit oft negativ diskutiert – die französischen Gelbwesten lassen grüßen. Deshalb reicht es nicht aus, die Kohlenstoffemissionen als isoliertes Projekt auf das erforderliche Niveau senken, sondern die Kosten der Emissionsminderung müssen gerecht verteilt werden -innerhalb der Gesellschaften und zwischen den Ländern.
Effektivität, Effizienz und Gerechtigkeit weltweit
In der Vergangenheit haben verschiedene Herausforderungen verhindert, dass wirkungsvolle CO2-Preise eingeführt wurden. So ist eine international gleiche Bepreisung von CO2 die Bedingung für einen effizienten und wirkungsvollen Klimaschutz. Ein System gleicher Bepreisung mag zwar notwendig und effizient sein – gerecht ist es aber nicht, weil die verschiedenen Länder unterschiedliche Startbedingungen für wirkungsvolle Klimaschutzmaßnahmen haben und sie darüber hinaus noch unterschiedlich vom Klimawandel betroffen sind. Deshalb ist es richtig, wenn Kohlenstoffpreise weltweit oder zumindest innerhalb der G20 eingeführt werden und in diesem Kreis gleichzeitig über die Maßnahmen gesprochen wird, die eine globale CO2-Bepreisung gerechter machen. Dabei wird es konkret um strukturelle Hilfen für ärmere Länder gehen, um soziale Unwuchten auszugleichen, und um einen Technologietransfer, der die klimafreundliche Entwicklung von Schwellenländern garantiert. Da die G20 drei Viertel des globalen Handels und 85 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts repräsentieren und sie gleichzeitig für drei Viertel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, sitzt hier der richtige Kreis zusammen.
Die gute Nachricht – aus klimaschonender und wirtschaftlicher Perspektive – ist: die verschiedenen Instrumente zur CO2-Bewertung haben durchaus vergleichbare Auswirkungen. Sobald bei der Einführung der CO2-Bepreisung begleitende Wirtschafts- und Sozialpolitiken vorhanden sind, müssten sich die G20-Länder nicht mehr auf ein einziges Instrument einigen – solange das resultierende CO2-Preisniveau zwischen den Instrumenten vergleichbar ist. Dabei muss es selbstverständlich international einen fairen Ausgleich zwischen Hauptverursachern und Hauptbetroffenen des Klimawandels geben. Weniger wohlhabende Länder müssen über Strukturhilfen ökonomisch in die Lage versetzt werden, klimafreundliche Technologien einzusetzen und soziale Härten auszugleichen.
Ein wichtiger Vorschlag ist die Kombination von CO2-Preisinstrumenten mit der Einrichtung eines globalen Technologietransferfonds oder anderer Initiativen zum Wissenstransfer. Teile der Einnahmen aus CO2-Steuern in wohlhabenderen Ländern würden weniger wohlhabenden Ländern den Zugang zu Technologien zur CO2-Vermeidung ermöglichen, die die Treibhausgasemissionen großer Anlagen und Fabriken erheblich reduzieren. Ebenso sollten die Emissionshandelssysteme so aufgebaut werden, dass die Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten mit der Neueinführung klimafreundlicher Technologien gekoppelt werden. Das Ergebnis wäre ein Verteilungseffekt zwischen den Ländern mit den Einnahmen aus den jeweiligen Instrumenten, die zum teilweisen Ausgleich der Auswirkungen der CO2-Preise auf weniger wohlhabende Länder verwendet werden.
Strukturpolitik zum Schutz der lokalen Gemeinschaften
Eine wirksame CO2-Bepreisung wird nur dann gelingen, wenn auch die sozialen Auswirkungen innerhalb der Länder abgemildert werden. Die Kohlenstoff-Bepreisung wird den Wandel der Wirtschaft und Industrien weltweit vorantreiben und dramatisch beschleunigen. Gemeinschaften auf der ganzen Welt werden durch die Auswirkungen unterschiedlich betroffen sein. Auch wenn klar ist, dass diese Umsteuerung der Industriegesellschaften zu CO2-neutralen Wertschöpfungsketten zu einem enormen Innovationsschub führen wird, der mit dem Zeitalter der Industrialisierung und Digitalisierung vergleichbar sein wird, muss der Strukturwandel politisch begleitet werden. Hierfür braucht es eine kluge Wirtschafts- Finanz-, Sozial- und Bildungspolitik. Dann kann das Zeitalter der Ökologisierung beginnen, mit allen Chancen für ein nachhaltiges Wachstum und eine gerechtere Wohlstandsverteilung.
Aber es geht eben nicht nur um volkswirtschaftliche Chancen und Risiken, sondern um die Auswirkungen auf den einzelnen: So werden manche Verbraucherpreise steigen und Menschen, die lange Wege mit dem Auto zurücklegen müssen oder die in schlecht isolierten Häusern leben, spüren den Strukturwandel besonders deutlich. Wohlhabende Gemeinschaften können diese zusätzlichen Kosten verkraften, aber ärmere Gemeinschaften werden die neuen finanziellen Belastungen kaum bewältigen. Ohne Gegensteuerung würde eine gut gemeinte Klimapolitik die wirtschaftlichen Disparitäten verstärken und so die bereits bestehenden sozialen Gräben vertiefen. Deshalb wird die Art und Weise, wie die Länder eine CO2-Bepreisung ausgestalten, eine grundlegende Rolle bei der gesellschaftlichen Akzeptanz und den Ergebnissen spielen.
Ein praktikabler Vorschlag, um die potenziell negativen Verteilungseffekte auszugleichen, ist das Recycling von Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an einzelne Haushalte, so ein Vorschlag von Ottmar Edenhofer, dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. So ermöglichen Kohlenstoffdividenden, wie sie in der Schweiz eingeführt wurden, eine gleichmäßige Verteilung der Einnahmen pro Kopf, was zu einer progressiven Wirkung auf die Einkommensverteilung führt. Da alle Haushalte den gleichen Betrag erhalten, profitieren ärmere Haushalte mehr im Verhältnis zu ihrem Einkommen. Ein anderes Modell hat die kanadische Provinz British Columbia eingeführt: Dort wird das aus der CO2-Bepreisung gewonnene Geld dafür eingesetzt, um Einkommenssteuern zu reduzieren. Weitere Optionen sind Subventionen für Strom oder Lebensmittel, um die verzerrenden Auswirkungen der CO2-Preise für besonders betroffene Bevölkerungsgruppen auszugleichen.
CO2-Einnahmen für den Ausbau von Mobilitätsalternativen
In den Schwellenländern können die Einnahmen aus den CO2-Preisen recycelt werden, um eine weitere Kapitalquelle für den Aufbau wichtiger Infrastrukturen wie Zugang zu Elektrizität, Telekommunikation, universeller Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen zu schaffen. Diese Investitionen dürften sehr progressiv sein, da sie Haushalten mit geringem Einkommen den Zugang zur Infrastruktur im Einklang mit den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung erleichtern würden, erklären Edenhofer und seine Co-Autoren.
Um soziale Verwerfungen für Pendler zu reduzieren, müssen die CO2-Einnahmen an den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und an andere Mobilitätsalternativen gekoppelt werden. Die Verfügbarkeit kohlenstoffarmer Verkehrsinfrastrukturen wird bestimmen, wie stark die Haushalte von den Auswirkungen der Kohlenstoffpreise betroffen sind. Haushalte in städtischen Zentren und Ländern mit hochwertigen öffentlichen Verkehrsmitteln können sich relativ leicht an steigende Kraftstoffkosten anpassen. Der japanische Forscher Satoshi Kojima hat Vorschläge für die Verknüpfung von CO2-Einnahmen und einer klimaneutralen Verkehrspolitik gemacht.
Während ehrgeizige Klimapolitiken neue Sektoren mit jeweils eigenen Geschäfts- und Beschäftigungsmöglichkeiten hervorbringen, werden einige Sektoren durch steigende Kohlenstoffpreise verlieren und die Beschäftigung in diesen Sektoren schrumpfen. Die Umsetzung der CO2-Preisgestaltung erfordert daher ein Umsetzungsmanagement in Form von Berufsausbildung und anderen Formen von Sozialschutzmaßnahmen. Laura Jaitman und Maria Florencia Asef Horno haben für die G20 entsprechende Vorschläge entwickelt.
Die G20, die Vorreiterin der globalen CO2-Preisgestaltung
Wenn die sozialen Auswirkungen der CO2-Bewertung innerhalb und zwischen den Ländern durch sozial verantwortliche Politiken angemessen berücksichtigt werden, bietet die CO2-Bepreisung eine Lösung, die die Vergleichbarkeit internationaler Bemühungen ermöglicht, ohne die Regierungen durch übermäßige Koordination und Harmonisierung übermäßig zu belasten.
Da die Regierungen zunehmend nach Möglichkeiten suchen, die CO2-Preise an die Sozialpolitik anzupassen, müssen sie ihre Ansätze teilen und so Best-Practise-Modelle entwickeln. Das UN-Treffen in der kommenden Woche muss eine deutliche Botschaft haben: Klimapolitik und eine Politik des sozialen Strukturwandels sind zwei Seiten einer Medaille. Nur durch die Verbindung von beiden kann verhindert werden, dass neue Gräben zwischen Klima-Gewinnern und Klima-Verlierern entstehen. Die Vertiefung der sozialen Spaltung würde letztlich verhindern, dass es überhaupt zu einer wirkungsvollen Bekämpfung des Klimawandels kommt. Geschieht dies, wird die Greta-Thunberg-Generation die heutigen Verantwortungsträger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hinwegfegen. Sie würden dies zurecht tun.