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Energie & Klima

Standpunkte EU-Deal für schmutzigen Wasserstoff

Neelke Wagner und Kerstin Meyer, Powershift und BUND
Neelke Wagner und Kerstin Meyer, Powershift und BUND

Lobbyvertreter europäischer Öl- und Gaskonzerne haben den geplanten Rechtsakt zur Definition von „kohlenstoffreduziertem“ Wasserstoff intensiv bearbeitet, hat eine europäische Rechercheorganisation aufgedeckt. Dadurch könnten Milliardensubventionen in den fossilen Sektor umgelenkt und die Klimakrise weiter verschärft werden, warnen Neelke Wagner und Kerstin Meyer.

von Neelke Wagner und Kerstin Meyer

veröffentlicht am 26.03.2025

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In den nächsten Tagen wird die EU-Kommission im Rahmen des neuen Deals für saubere Industrie einen Rechtsakt veröffentlichen, der definiert, wann fossiler Wasserstoff als „low carbon“ – „kohlenstoffreduziert“ gelten darf. Das klingt technisch, ist aber hochpolitisch und umkämpft. Denn hier werden Weichen für oder gegen die Energiewende gestellt – und die fossile Lobby sitzt am Hebel.

Die Wasserstoffproduktion ist ein schmutziges Geschäft, 99 Prozent davon wird aus Erdgas hergestellt („grauer Wasserstoff“) und verursacht dabei mehr Treibhausgas-Emissionen, 920 Millionen Tonnen CO2 im Jahr, als ganz Deutschland. Wasserstoff wird vor allem für die Düngemittelherstellung, in Raffinerien und in der chemischen Industrie verwendet. Perspektivisch soll er auch in der Stahlindustrie zum Einsatz kommen.

Wie die europäische Rechercheorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) aufgedeckt hat, haben die Lobbyvertreter europäischer Öl- und Gaskonzerne sowie ihrer wichtigsten Kunden aus den genannten Industriezweigen, darunter RWE, EnBW, BASF, Covestro, Thyssenkrupp und der Düngemittelhersteller Yara, den neuen Rechtsakt intensiv bearbeitet. Ihr Ziel: Wasserstoff aus Erdgas soll als klimafreundlich etikettiert werden. Dazu wird auf das Konzept Carbon Capture and Storage (CCS) verwiesen. Das heißt, das entstehende Kohlendioxid soll in geologischen Deponien endgelagert werden („blauer Wasserstoff“).

Bestehende EU-Rechtsvorschriften geben einen Richtwert für das Etikett „low carbon“ bei Wasserstoff vor: 70 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als konventionell hergestellter Wasserstoff – das soll die Messlatte sein. Gelingen soll dies unter anderem über CCS. Der neue Rechtsakt wird die Methode definieren, mit der die Emissionsreduzierung nachgewiesen werden soll. Und leider verdichten sich die Hinweise, dass diese Methode sich weniger nach Klimaschutzkriterien als nach dem Wunschzettel der fossilen Industrien richten wird.

Schon der Begriff „low carbon“ ist irreführend. Nicht „carbon“, also Kohlenstoff, ist das Problem, sondern Kohlendioxid – das Gas, das entsteht, wenn kohlenstoffhaltige Produkte verbrennen. Außerdem beschränkt sich der Schaden, den fossile Brennstoffe anrichten, bei weitem nicht auf das ausgestoßene Kohlendioxid. Die Erschließung von Lagerstätten, Förderung, Transport und Weiterverarbeitung von Erdgas verursachen Erdbeben, zerstören Landschaften und Ökosysteme, vergiften Luft und Gewässer und entlassen nicht zuletzt große Mengen Methan in die Atmosphäre. Und schließlich wirkt Wasserstoff selbst klimaschädlich, wenn dieses flüchtige und leichte Gas beispielsweise durch undichte Leitungen in die Atmosphäre gelangt.

Besorgniserregender Entwurf

Vor diesem Hintergrund bot schon der Entwurf des Rechtsaktes, den die Kommission im Herbst in die Konsultation gab, Grund zur Sorge. Unverständlich bleibt, warum die Klimawirkung von Wasserstofflecks nicht berücksichtigt werden soll, obwohl ausreichend Forschung vorliegt, die dazu drängt. Gravierend auch, dass Methanemissionen, die durch die Förderung, den Trnasport und die Weiterverarbeitung des Erdgases entstehen, nicht realitätsnah erfasst werden sollen. Tatsächlich kann die Treibhausgas-Bilanz von blauem Wasserstoff wegen der vorgelagerten Methanemissionen sogar deutlich schlechter sein als die der direkten Verbrennung von Erdgas.

Laut der Recherche von CEO sprachen sich Gas- und Industriekonzerne wie BASF, Engie, E.ON und Yara dafür aus, diese Vorkettenemissionen im Rechtsakt noch weiter kleinzurechnen.

Doch auch bei den Kohlendioxidemissionen selbst sind Zweifel angebracht, ob sie mittels CCS überhaupt nennenswert reduziert werden können. Obwohl das Verfahren seit Jahrzehnten bekannt ist und schon Milliarden an Steuergeldern in seine Erforschung und Erprobung geflossen sind, bringt CCS im Ergebnis bislang quasi nichts: Weltweit wurde bisher insgesamt nur eine winzige Menge Kohlendioxid, zirka 50 Millionen Tonnen, in geologische Endlager gepresst. Das sind gerade einmal fünf Prozent der CO2-Emissionen, die allein die Wasserstoffherstellung in nur einem Jahr verursacht.

Ein Grundproblem: Anders als von der Industrie behauptet, fangen die Abscheideanlagen das Kohlendioxid nicht annähernd vollständig ab. Mindestens ein Fünftel, oft deutlich mehr des verursachten Kohlendioxids, landet weiterhin in der Luft. Wird der Einsatz skaliert, wächst auch diese verbleibende Emissionsmenge an.

Ob CCS unterm Strich einen Mehrwert fürs Klima bringt, ist in der Forschung umstritten. Auch als so genannte Brückentechnologie, um in der kommenden Dekade fehlenden grünen Wasserstoff zu ersetzen, kann CCS nicht dienen, weil Endlager in der benötigten Größenordnung nicht zur Verfügung stehen. Denn wohin mit den Unmengen Kohlendioxid aus der fossilen Wasserstoffproduktion?

Der Chemieriese BASF zum Beispiel stellt weltweit jährlich eine Million Tonnen Wasserstoff her. Über den Daumen gerechnet entstehen dadurch jedes Jahr neun Millionen Tonnen Kohlendioxid. Die heute weltweit verfügbare jährliche CO2-Endlagerkapazität (zirka sieben Millionen Tonnen) müsste also aus dem Stand mehr als verdoppelt werden, nur um die fossile Wasserstoffproduktion von BASF mittels CCS vorübergehend zu dekarbonisieren. Das ist absurd.

Wie kommt es dann, dass die erdrückende Faktenlage dem verführerischen, aber falschen Versprechen von Dekarbonisierung durch CCS so wenig Abbruch tut? Ja, dass diese Scheinlösung es sogar geschafft hat, sich in vielen Bereichen an die Stelle echten Klimaschutzes zu setzen und den Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien, Energiesparmaßnahmen, Effizienz und Kreislaufwirtschaft zurückzudrängen?

Lobbying-Erfolg in drei Schritten

Corporate Europe Observatory ist dieser Frage nachgegangen und hat ein erschreckend erfolgreiches Lobbysystem der fossilen Industrie aufgedeckt. Auch dank des neuen Lobbyregisters des Bundestags fand sie Beweise für Dutzende von Briefen und Treffen von Unternehmenslobbyisten zum genannten delegierten Rechtsakt. Demnach gingen die Verfechter der Kohlenwasserstoffwirtschaft in drei Schritten vor.

Erst kam der allgemeine Wasserstoff-Hype mit illusorischen Ausbauzielen und unsinnigen Anwendungsbeispielen – der Fokus lag noch auf grünem Wasserstoff. Dann hieß es, grüner Wasserstoff reiche nicht aus und fossiler blauer Wasserstoff müsse die Lücke füllen. Schließlich – in dieser Phase befinden wir uns jetzt – soll Wasserstoff jeglicher Art akzeptiert werden, der erneuerbare Pfad wird dadurch ganz an die Wand gedrängt. Und wenn blauer Wasserstoff dann per Gesetz als „kohlenstoffarm“ definiert ist, können die Milliardensubventionen, die der Clean Industrial Deal eigentlich für klimaschonende Technologien bereithält, in den fossilen Sektor umgelenkt werden.

Nicht nur in Brüssel, auch in Deutschland hat die Verzögerungstaktik und Vereinnahmung durch fossile Interessen leider verfangen. Die neue Regierung wird voraussichtlich volle politische Unterstützung für die Scheinlösung CCS und blauen Wasserstoff in Aussicht stellen und CO2-Leitungsnetze ermöglichen. So vergehen die Jahre, ohne dass ein konkreter Plan für den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe vorliegt, befürchten die Lobbyexpert*innen von CEO. Die verschmutzenden Industrien kassieren derweil Subventionen für fossile Infrastruktur und mehr Verbrauch von Gas und Öl. Jahre, in denen die Klimakrise weiter verschärft wird.

Neelke Wagner ist Referentin für Klima- und Ressourcengerechtigkeit bei PowerShift.

Kerstin Meyer leitet das Referat Wirtschaft und Finanzen des BUND.

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