Das EU-Parlament stimmt am heutigen Mittwoch über die vierte Liste der wichtigsten transeuropäischen Energieinfrastrukturprojekte ab (Projects of Common Interest, PCI) ab. Über 100 Projekte aus den Bereichen Strom, Gas und Erdöl und den Themenschwerpunkten intelligente Netze, Stromautobahnen und grenzüberschreitendes Kohlendioxidnetz könnten durch diesen Status profitieren. Nehmen die Parlamentarier die Liste an, bekommen die Projekte eine Planungsbeschleunigung, gestraffte Umweltprüfungen und möglicherweise finanzielle Mittel der EU.
Es sind wichtige länderübergreifende Projekte auf der Liste, die für den notwendigen Stromnetzausbau und die Energiewende unabdingbar sind. Knapp die Hälfte der geplanten Projekte widerspricht jedoch den Naturschutz- und Klimaschutzzielen der EU. Das ist eindeutig zu viel. Der Nabu fordert, den privilegierten PCI-Status nur an Projekte zu vergeben, die in Einklang mit Klima- und Naturschutz stehen und Schutzgebiete als Standort ausschließen.
Keine künstlichen Inseln in Natura-2000-Gebieten
Die von der Kommission veröffentlichte vierte PCI-Liste enthält unter anderem das Vorhaben zum Bau von künstlichen Inseln in der Nordsee, bekannt als North Sea Wind Power Hub. Dieses Projekt eines britisch-niederländisch-deutschen Konsortiums will künstliche Inseln für ein Windenergie-Verteilkreuz in der Nordsee schaffen, die den Ausbau von Offshore-Windkraft ermöglichen.
Der Ausbau von erneuerbaren Energien ist zu begrüßen, denn sie können einen wesentlichen Beitrag zur Minderung unseres CO2-Ausstoßes leisten. Problematisch wird es, wenn der Natur durch falsche Standorte und fehlende Berücksichtigung von EU-Umweltrecht unnötig geschadet wird. Fallstudien des Hub-Konsortiums zufolge befinden sich mögliche und kostengünstige Standorte in Natura 2000-Gebieten, unter anderem auf der Doggerbank. Die Doggerbank ist die größte Sandbank in der Nordsee, die sich unter Gewässern des Vereinigten Königreichs, der Niederlande und Deutschlands erstreckt.
Auch wenn Vertreter des Konsortiums im Dezember 2019 in Betracht gezogen haben, die niederländische Seite der Doggerbank als Sperrzone auszuweisen – alle Natura 2000-Gebiete müssen ohne Ausnahme ausgeschlossen werden. Wird dort gebaut, hätte das erhebliche Auswirkungen auf Seevögel, geschützte Meeressäuger und Lebensräume am Meeresboden, die sich aktuell in einem ökologisch bedenklichen Zustand befinden.
Energiewende und Naturschutz gehören zusammen
Naturschutz und Energiewende sind gut vereinbar. Es müssen Standorte mit geringem Artenschutzkonfliktpotenzial ausgewählt werden, damit es zu keiner Verschlechterung des Erhaltungszustands gefährdeter Arten kommt.
Naturschutz und Klimaschutz dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Gerade der jüngste Bericht des Weltklimarates (IPCC) über Ozeane und die Kryosphäre zeigt, dass gesunde Meere wichtig im Kampf gegen die Erderhitzung sind. Natur- und Klimaschutz müssen bei der Auswahl von PCI-Projekten gleichermaßen berücksichtigt werden und ökologische Belastungsgrenzen der Meere dürfen nicht überschritten werden.
Über 55 Projekte auf der vierten PCI-Liste sind fossile Gasprojekte. Hierzu zählen fossile Gasleitungen wie die Eastmed – diese Pipeline entnimmt Gas aus dem Mittelmeer nach Griechenland und Italien, und die verbinden den südlichen Gaskorridor Europa mit Aserbaidschan. Ebenfalls prominent auf der PCI-Liste sind Terminals für Einfuhr von verflüssigtem fossilem Gas (LNG), geplant für Irland, Kroatien, Polen, Griechenland und Zypern, von denen viele mit Plänen zum Import von Fracking-Gas aus dem Vereinigte Staaten verbunden sind.
Strengere Kritierien für den PCI-Status der EU
Diese Projekte stehen in klarem Widerspruch zu den Empfehlungen des Weltklimarates, wonach wir die Treibhausgas-Nettoemissionen bis 2050 auf null reduzieren müssen, um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Um dies zu erreichen, müssen fossile Brennstoffe zu 100 Prozent durch naturverträgliche erneuerbare Energien ersetzt werden. Außerdem darf es keine weiteren Investitionen der EU in fossile Energieträger geben. Wenn die Parlamentarier der PCI-Liste zustimmen, werden fossile Gasprojekte mit einer Lebensspanne von rund 50 Jahren gefördert.
Vorgesehene Investitionen müssen auf die Förderung naturverträglicher erneuerbarer Energien umgelenkt werden. Um das zu unterstützen, müssen der PCI-Prozess und die Energieinfrastruktur-Verordnung (TEN-E) aktualisiert und am Netto-Null-Ziel ausgerichtet werden.
Damit ein Projekt PCI-Status verdient, braucht es verpflichtende Umweltmonitoringdaten und -berichte, eine umfängliche Umweltverträglichkeitsprüfung und Klimafolgenabschätzung, die die kumulativen Effekte des gesamten Projekts abbildet. Es muss selbstverständlich sein, betroffene Mitgliedsstaaten und Naturschutzbehörden frühzeitig und gemeinsam in die Planung einzubeziehen. Eine naturverträgliche Standortplanung muss Standard werden, Umweltorganisationen müssen besser eingebunden werden, auch in die Auswahl der PCIs generell.
Viele Abgeordnete im EU-Parlament unterstützen Klimaschutzmaßnahmen, die über die Ambitionen des Energieausschusses (ITRE) hinausgehen, der vor drei Wochen einem Antrag auf Ablehnung der Liste nicht zugestimmt hat. Es ist nun am EU- Parlament, zu zeigen, dass es den Klimanotstand ernst meint, den es im November letzten Jahres ausgerufen hat und geltendes Umweltrecht in die Tat umsetzt.