Schon im Bundestagswahlkampf spielte die Europa- und Außenpolitik kaum eine Rolle. Das hat sich nach der Bundestagswahl leider kaum geändert. Und das obwohl Großereignisse wie etwa der UN-Klimagipfel in Glasgow und der G20-Gipfel in Rom Ende des Monats, die deutsche G7-Präsidentschaft, die Umsetzung des Fit-for-55-Pakets, die französische EU-Ratspräsidentschaft und Wahlen in unserem Nachbarland im nächsten Jahr – um nur einige zu nennen – ihre Schatten bereits vorauswerfen.
Auch die klima- und energiepolitische Debatte rund um die Sondierungen kreiste vor allem um nationale Themen wie ein Tempolimit, ein Vorziehen des Kohleausstiegs oder die Frage, wie man den massiven Investitionsbedarf beim Klimaschutz finanziert. Das sind natürlich wichtige Themen, aber die Debatte blendet bisher fatalerweise weitestgehend aus, dass die deutsche Klima- und Energiepolitik in den kommenden Monaten und Jahren nicht nur in Berlin, sondern ganz maßgeblich auch in Brüssel, Glasgow und Paris gestaltet wird.
Gesetzes-Lawine durch das Fit-for-55-Paket
Im Sondierungspapier der Koalitionäre in spe spielen europäische und internationale Themen im Kontext der Klimapolitik eher eine untergeordnete Rolle. Während man sich erfreulicherweise klar zum 1,5-Grad-Ziel bekennt, werden der UN-Klimagipfel in Glasgow und die deutsche G7-Präsidentschaft nicht einmal erwähnt. Beim Fit-for-55-Paket will man lediglich die Vorschläge der EU-Kommission unterstützen, ohne aber darüber hinaus gehen zu wollen. Dabei hat allein schon Fit for 55 mit seinen zwanzig EU-Richtlinien das Potential, die deutsche Klima- und Energiepolitik von den Füßen auf den Kopf zu stellen.
Im Grunde kommt da eine Lawine auf Deutschland zugerollt, die jeden Teil der deutschen Wirtschaft und auch den Alltag der Menschen im Sinne des Klimaschutzes umwälzen dürfte. Die EU-Kommission hat bereits im Juli ihre Vorschläge vorgelegt und im EU-Parlament und in einigen EU-Mitgliedsländern werden bereits erste Schritte zur Umsetzung angegangen, während in Deutschland gerade einmal Koalitionsverhandlungen beginnen.
Frankreich übernimmt im Januar 2022 die EU-Ratspräsidentschaft und Präsident Emmanuel Macron wird schon mit Blick auf die Wahlen im eigenen Land Tempo in der Klimapolitik machen. Deutschland droht deshalb ins Hintertreffen zu geraten. Zwischen Frankreich und Deutschland drohen dabei zudem erhebliche Konflikte bei Themen wie Emissionshandel, Atom und Gas. Umweltverbände haben bereits im September in einem offenen Brief die Koalitionäre in spe aufgefordert, die Umsetzung des Fit-for-55-Pakets zu einer Priorität ihrer Europapolitik zu machen.
Angela Merkel als ehrliche Maklerin auf der COP26
Mit dem Klimagipfel in Glasgow und dem G20-Gipfel in Rom Ende des Monats wendet sich der Blick der internationalen Klimapolitik zu. Da die Koalitionsverhandlungen bis Ende des Jahres andauern könnten, kommt der geschäftsführenden Bundesregierung eine wichtige Rolle auf der COP26 zu. Priorität hat in Glasgow, politischen Willen zu zeigen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dafür müssen sich die Staaten verpflichten, ihre Klimaziele für 2030 erneut zu überprüfen, gegebenenfalls anzupassen und mit angemessener Gesetzgebung und Finanzierung zu untermauern. Denn die derzeitigen Klimazusagen der G20 lassen zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels immer noch eine sehr große Lücke. Und Deutschland spielt eine Schlüsselrolle bei der Schaffung der dafür notwendigen politischen Allianzen.
Obwohl die Ära von Angela Merkel als Bundeskanzlerin zu Ende geht, spielt sie als ehrliche Maklerin und sachkundige Vermittlerin eine wichtige Rolle, um die Staats- und Regierungschefs hinter dem 1,5-Grad-Ziel zu versammeln. Insbesondere für Gespräche mit schwierigen Verhandlungspartnern wie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan oder dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping könnten die diplomatischen Fähigkeiten Angela Merkels von großem Nutzen sein.
Lücken bei der Klimafinanzierung
Um die geschäftsführende Bundesregierung mit einem ambitionierten Mandat für die COP 26 auszustatten, sollten SPD, Grüne und FDP ein klares Signal senden, dass eine ehrgeizige Klimapolitik für sie oberste Priorität hat. Würden sie zum Beispiel noch vor der Klimakonferenz die Bereitschaft signalisieren, den deutschen Kohleausstieg auf 2030 vorzuverlegen, wäre das ein wichtiges Signal für Länder wie etwa Indonesien und China, wo der Kohleausstieg noch ansteht. Neben der Lücke bei den Klimazielen gilt es auch die Lücken in der Klimafinanzierung zu schließen. Deutschland ist gemeinsam mit Kanada beauftragt, noch vor der COP 26 einen Plan für die Bereitstellung der 100 Milliarden Dollar pro Jahr zu erarbeiten, die die Industrieländer auf dem Klimagipfel 2009 in Kopenhagen versprochen haben. In Glasgow gilt es dann glaubwürdige Wege der Umsetzung aufzuzeigen, um ein klares Signal der Solidarität an die Entwicklungsländer zu senden und ihr Vertrauen in die Finanzierungszusagen zu stärken. Um die Umsetzung des Plans zu gewährleisten, bedarf es breiter Koalitionen von Geberländern – denkbar wäre zum Beispiel die Schaffung einer neuen „Group of Friends“.
Deutsche G7 Präsidentschaft als Motor für den Klimaschutz
Wenn die neue Bundesregierung ihr Amt dann tatsächlich antritt, steht sie vor mindestens zwei großen internationalen Herausforderungen: Der Übernahme der G7-Präsidentschaft und der (Neu-)Gestaltung einer Außenpolitik, die der globalen Klimakrise gerecht werden kann. Die neue Bundesregierung muss die deutsche und europäische Klimadiplomatie von einer Strategie, die von der UNFCCC und bilateralen Beziehungen dominiert wird, auf einen geopolitischen und multi-institutionellen Ansatz umstellen, der die G7, die G20, den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs) einschließt.
Die deutsche G7-Präsidentschaft im nächsten Jahr wird hier von besonderer Bedeutung sein. Sie bietet die einmalige Gelegenheit, eine ehrgeizige Klima-Agenda zu setzen und muss zu einem Motor für klimafreundliche Strukturreformen werden. Sie wird auch ein erster Test dafür sein, ob die neue deutsche Regierung es versteht, Klimaschutz strategisch als Hebel für die Gestaltung der globalen Zusammenarbeit zu nutzen.
Eine Sache ist auf jeden Fall sicher: Die neue deutsche
Regierung wird unter sehr großem Druck stehen, in Sachen Klimaschutz
schnell zu handeln – im Inland und, bislang mit viel zu wenig Aufmerksamkeit
bedacht, auch im Ausland.