Energie-Klima icon

Energie & Klima

Standpunkte Europa muss seine Wirtschafts- und Klimapolitik neu ausrichten

Bernd Weber, Gründer und Geschäftsführer von EPICO
Bernd Weber, Gründer und Geschäftsführer von EPICO Foto: Gründer und Geschäftsführer von EPICO

Die EU steht vor wichtigen Entscheidungen mit Blick auf Klimaschutz und Wachstum. Ein klarer Fokus auf marktwirtschaftliche Maßnahmen und eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für die Transformation sind nötig, um die Klimaziele zu erreichen und wettbewerbsfähig zu bleiben, schreibt Bernd Weber, Gründer und Geschäftsführer der Denkfabrik EPICO.

von Bernd Weber

veröffentlicht am 11.07.2024

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament und den vorläufigen Entscheidungen zu den EU-Spitzenposten stehen nun die strategischen Schwerpunkte der EU für die kommenden Jahre im Mittelpunkt. 

Die Staats- und Regierungschefs haben mit ihrer Strategischen Agenda für die Jahre 2024 bis 2029 erste Impulse gesetzt. Die Wirtschafts-, Klima- und Energiepolitik sowie die Stärkung Europas im internationalen Wettbewerb sind darin zentrale Themen. Statt des Begriffs „Green Deal“, dem Leitmotiv der vergangenen Legislaturperiode, wird nun allerdings auf die umfassendere notwendige „green transition“ verwiesen. Das wurde auch als eine mögliche Verwässerung der klimapolitischen Ambitionen der EU interpretiert. So muss und sollte es aber nicht kommen.

Der erwartete „Draghi-Bericht“ zur Wettbewerbsfähigkeit der EU könnte stattdessen weitere Klarheit bringen und die Richtung weisen. Soziale Unterstützung ist entscheidend, um politisches Kapital für die Klimapolitik aufrechtzuerhalten. Wettbewerbsfähigkeit ist ist der Schlüssel, um die Klimapolitik in allen Bereichen der Gesellschaft besser zu verankern.

Diese Phase der Neuausrichtung, in der wir uns befinden, bietet die Chance, innovative und nachhaltige Lösungen für die EU-Klima- und Wirtschaftspolitik zu entwickeln, die noch breitere gesellschaftliche Akzeptanz erzielen können, als dies bisher der Fall war.

Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit integrieren

In dieser entscheidenden Phase zirkulieren viele Ideen, um die künftige Klima- und Wirtschaftspolitik der EU zu gestalten. EPICO hat Vorschläge zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit vorgelegt: Dazu zählen Vereinfachungen im Beihilferecht und Steuererleichterungen, um die Industrietransformation zu beschleunigen und technologieoffen zu unterstützen. Neue Formen der wirtschaftspolitischen Koordinierung sind parallel notwendig, um ein Auseinanderdriften des Binnenmarkts zu verhindern.

Es gilt zu verhindern, dass nur wirtschaftlich bereits starke Mitgliedstaaten ihren Unternehmen zusätzliche Unterstützungsmöglichkeiten anbieten können. In unserem Strategiepapier nennen wir dafür verschiedene Ansätze, wie eine Straffung der EU-Kohäsionspolitik. Parallel dazu braucht es auch eine Vertiefung des Binnenmarkts in bestimmten Bereichen, beispielsweise mit Blick auf Energie- und Finanzmärkte.

Der Ausbau erneuerbarer Energien muss als Rückgrat der industriellen Dekarbonisierung vorangetrieben werden. Dies sollte nach dem Motto „so viel Markt wie möglich, so viel Staat wie noch nötig“ erfolgen. Dadurch wird der EE-Ausbau möglichst kostengünstig. Neue Instrumente wie staatliche Garantien für langfristige Stromabnahmeverträge (sogenannte Power Purchase Agreements, PPA) und intelligente, komplementäre Differenzverträge (CfDs) können öffentliche Haushalte entlasten und Marktkräfte stärken.

Der Umbau der Energie-Infrastruktur ist ebenfalls entscheidend, doch dafür werden massive Investitionen benötigt. Allein für Deutschland beziffert das Handelsblatt Research Institute (HRI) diese auf 1,1 Billionen Euro, um die Klimaziele für 2045 zu erreichen. Außerdem werden die Stromnetze im Rahmen der Elektrifizierung – und als deren Voraussetzung– einen umfassenden Um- und Ausbau benötigen. Wir müssen neue Wege finden, um die Netzfinanzierung neu zu gestalten und Mehrbelastungen für Verbraucher und Unternehmen zu vermeiden.

Eine verstärkte EU-Klimadiplomatie ist essenziell für gezielte Austausche und Partnerschaften mit anderen Ländern in Bezug auf industrielle Dekarbonisierung. Ebenso wichtig ist die Nutzung des Klimaklubs als Teil der künftigen EU-Industriestrategie, um bilaterale und plurilaterale Partnerschaften zu besiegeln, von denen sowohl Länder des globalen Nordens als auch des globalen Südens gleichermaßen profitieren.

Wir brauchen zusätzlich die schnelle Unterstützung für EU-Leitmärkte und klare Definitionen für klimafreundliche Produkte. Zudem müssen die Offshore-Windenergie und zusätzliche Wasserstoffproduktion gerade in der Nordsee jenseits der Küsten koordiniert und beschleunigt werden.

Auch die Wirtschaft und verschiedene Think Tanks geben richtungsweisende Impulse für die EU-Klimapolitik: Über 500 Unternehmen, Einrichtungen und Verbände, darunter der BDEW in Deutschland, fordern ein klares Bekenntnis zum „Green Deal“. Das European Climate Neutrality Observatory (ECNO) liefert eine umfassende Übersicht zum Fortschritt in Richtung Klimaneutralität und fordert stärkere Anstrengungen, um die Transformation der Industrie zu unterstützen. Der Think Tank Strategic Perspectives ruft die EU zu einer umfassenden Industriestrategie auf, mit einer starken Rolle Deutschlands als „industrielles Kraftzentrum“.

Europa braucht neue Impulse

Trotz andauernder Debatten nach der Wahl des Europaparlamentes und der Gründung einer neuen klimakritischen extremen Fraktion „Patrioten für Europa“ gibt es inzwischen in Brüssel wichtige Übereinstimmungen, über das gesamte politische Spektrum in der Mitte hinweg, dass die Industrie für die Zukunft ertüchtigt werden muss.

Die Grundvoraussetzungen, um die Transformation weiterzuentwickeln, sind gegeben: In der vergangenen Legislaturperiode erzielte die EU bedeutende Fortschritte bei klimapolitischen Zielen. Das kommt beispielsweise dadurch zum Ausdruck, dass der Bereich „Governance“, also die Regierungsführung, der einzige ist, bei dem die EU laut ECNO-Ranking auf Kurs ist.

Es besteht Einigkeit, dass die aktuelle Legislaturperiode der Umsetzung der Klimapolitik dienen muss – sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene. In Deutschland ist dabei beispielsweise an den Net Zero Industry Act zu denken. Viele Akteure fordern eine stärkere Verzahnung von Industrieagenda, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz. Einen „Klima-Rollback“ darf es nicht geben; der Green Deal muss stattdessen gestärkt, durch eine Industrieagenda ergänzt und für die kommende Phase ertüchtigt werden.

Und es besteht ebenfalls Einigkeit, dass mehr Europa, nicht weniger, die Antwort ist. Eine Vertiefung des Binnenmarkts und verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Finanzen, Energie und Digitalisierung sind unerlässlich und können sich gegenseitig verstärken.

Nächste Schritte für eine starke und nachhaltige EU

EPICO setzt sich für einen breiten gesellschaftlichen Konsens zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit ein. Mit Unterstützung von Akteuren aus Politik, Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Industrie empfehlen wir klare marktwirtschaftliche, angebotsseitige Ansätze. Dabei wird deutlich, dass ein „business as usual“ des „Green Deals“ nicht der richtige Weg nach vorne ist.

Eine Rückabwicklung des Green Deal führt die EU in jedem Fall in die Sackgasse. Eine konstruktive Debatte über eine Neuausrichtung der europäischen Klima- und Wirtschaftspolitik ist dagegen eine echte Chance, um unsere ambitionierten Klimaziele zu erreichen, die Wettbewerbsfähigkeit Europas langfristig zu sichern und breite gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen