Standpunkte Fokus statt Farbkasten: Warum Deutschland bei Wasserstoff konsequent auf Elektrolyse setzen muss

Die Bundesregierung will mehr Technologieoffenheit – auch beim Wasserstoff. Nils Aldag, Mitgründer und CEO des Elektrolyse-Herstellers Sunfire, argumentiert, warum Deutschland lieber am Primat des grünen Wasserstoffs festhalten sollte. Dieser könnte nur durch eine Skalierung der Produktionstechnik günstiger werden. Dafür braucht es vor allem Nachfrage.
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Jetzt kostenfrei testen„Wir werden den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft beschleunigen und pragmatischer ausgestalten“ – steht es prominent auf Seite fünf im Koalitionsvertrag. Weiter heißt es: „Im Hochlauf müssen wir alle Farben nutzen.“ Klingt pragmatisch, aber was bedeutet das konkret?
Bislang war in Deutschland weitgehend Konsens, dass zwar kein Herstellungsweg ausgeschlossen wird, die staatliche Förderung jedoch vorrangig auf den langfristig angestrebten, elektrolytisch erzeugten Wasserstoff ausgerichtet ist.
Denn klar ist: Wer alle Farben nutzt, setzt keine Schwerpunkte – auch nicht für die Zukunft. Dabei braucht es genau das, einen klaren Fokus auf erneuerbaren Wasserstoff aus Elektrolyse.
Elektrolyse zahlt auf Deutschlands Zukunft ein
Die Nationale Wasserstoffstrategie hat diesen Fokus richtig gesetzt: Grüner Wasserstoff ist der Schlüssel zur Dekarbonisierung, stärkt als heimische Energiequelle die Resilienz unseres Energiesystems und ist gleichzeitig Katalysator einer erfolgreichen Industrietransformation. Die Elektrolyse ist eine einmalige Chance auf eine neue Zukunftsbranche im Maschinen- und Anlagenbau – Made in Germany.
Dazu kommt: Die Umsetzung der EU-RED-III-Richtlinie verpflichtet Deutschland bis 2030 zu einem ambitionierten Hochlauf grünen Wasserstoffs im Industrie- und Verkehrssektor. Um die europarechtlichen Vorgaben nicht sehenden Auges krachend zu verfehlen, besteht gleich zu Beginn der Legislatur dringender Handlungsbedarf.
Mit ihrer Neujustierung unter den Leitbegriffen „Pragmatismus“ und „Kosteneffizienz“ setzt die neue Bundesregierung grundsätzlich richtige Impulse. Der Kompass sollte dabei jedoch klar ausgerichtet bleiben: auf erneuerbare, langfristig zukunftsfähige Technologien.
„Er ist noch gar nicht da“ ist kein Argument
Grüner Wasserstoff sei noch nicht verfügbar, lautet ein häufiges Gegenargument. Genau hier liegt der Denkfehler: Verfügbarkeit entsteht erst durch gezielte Nachfrage. Und woher soll diese kommen, wenn nicht aus dem Industrieland Deutschland?
Potenzielle Exportländer wie Spanien, Portugal, Dänemark, Schweden oder die Niederlande verfolgen die deutschen Signale genau – und machen eigene Infrastrukturinvestitionen davon abhängig. Von Großprojekten etwa auf der iberischen Halbinsel oder in Skandinavien profitieren wiederum deutsche Technologielieferanten wie Siemens Energy, Sunfire oder ThyssenKrupp Nucera.
In der Debatte wird schnell übersehen, dass auch bei uns in Deutschland in den vergangenen Monaten einiges in Bewegung geraten ist. Ob bei BASF in Ludwigshafen, Air Liquide in Oberhausen oder RWE in Lingen: An all diesen Standorten produzieren Elektrolyseure bereits Wasserstoff. An vielen weiteren Orten der Republik – wie im Energiepark Bad Lauchstädt, in Osterweddingen bei Magdeburg, in Schwäbisch Gmünd oder Salzgitter – rollen bereits die Bagger.
Ein starkes Signal kam zuletzt von RWE und TotalEnergies mit einem 15-Jahres-Abnahmevertrag für 30.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr. Das zeigt: Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, entsteht Zahlungsbereitschaft, gerade im Raffineriesektor.
Fossile Pfade führen in Abhängigkeiten
Fossiles Erdgas, auch in Form von blauem Wasserstoff, zementiert vermeidbare Abhängigkeiten und verschließt der Elektrolyse den Weg zu schneller Skalierung, Lernkurven und Kostenreduktion. Dabei ist blauer Wasserstoff weder ausgereifter als grüner noch unmittelbar am Markt verfügbar – und die aktuell als Hoffnungsträger für die Emissionen von Gaskraftwerken gehypte CCS-Technologie hat ihre ganz eigenen infrastrukturellen Herausforderungen. Ob die heutigen Annahmen über die Kosten von blauem Wasserstoff zutreffen, darf bezweifelt werden.
Der Hochlauf der Elektrolyse hingegen nutzt Deutschlands industrielle Stärken: die DNA aus dem Maschinen- und Anlagenbau, die Netzwerke zwischen Herstellern, Zulieferern und Forschung und die Fähigkeit, hoch differenzierte Produkte zu entwickeln und verlässlich beim Kunden aufzubauen.
Hinzu kommt ein sicherheitspolitisches Argument: Grüner Wasserstoff aus Europa reduziert die Importabhängigkeit und steigert die Resilienz. Die „Sicherheitsdividende“ von grünem Wasserstoff aus heimischer Produktion muss gerade in der aktuellen Debatte viel deutlicher berücksichtigt werden.
Denn während der Anteil der Erneuerbaren in Deutschland weiter steigt, verharren wir in einer Abhängigkeit von Energieimporten. Der Netto-Anteil am Energieverbrauch bleibt mit rund zwei Dritteln hoch und der Import fossiler Energie kostet Deutschland schon in Zeiten ohne geopolitische Krisen 81 Milliarden Euro pro Jahr. Dass diese Abhängigkeit schnell zu einem noch teureren Verhängnis werden kann, sollte mittlerweile allgemein erkannt sein.
Energiepolitische Hebel für die neue Bundesregierung
Deutschland ist daher gut beraten, am Primat des grünen Wasserstoffs festzuhalten. Die Bundesregierung muss jetzt klare Nachfrageimpulse senden, die Investitionssicherheit über ausreichend lange Zeiträume bieten. Grüner Wasserstoff wird nur durch Skalierung und Erfahrung wettbewerbsfähig – nicht von selbst. Wer wartet, verkürzt nicht den Weg, sondern verliert wertvolle Zeit.
Für einen erfolgreichen Hochlauf kann die neue Bundesregierung auf vorhandene Hebel setzen:
- Die THG-Quote zu stärken ist ein pragmatischer Weg, um erneuerbare Kraftstoffe nicht biogenen Ursprungs (RFNBOs) in Deutschland in den Markt zu bringen und mehrere Gigawatt Elektrolyseleistung zu ermöglichen. Die im Koalitionsvertrag richtigerweise angesprochene Stärkung des Instruments – mit einem sichtbaren Minderungspfad weit über 2030 hinaus – muss daher gleich in den ersten Wochen angegangen werden.
- Grüngasquote ausdifferenzieren: Eine Unterquote für RFNBO ist essenziell, damit das Instrument für den Hochlauf von grünem Wasserstoff auch tatsächlich unterstützt – und nicht verpufft.
- Gaskraftwerke umrüstbar machen: Neue Anlagen brauchen eine klare mittelfristige Umrüstungsperspektive auf grünen Wasserstoff. Ohne diese drohen fossile Lock-ins und wichtige Skalierungschancen für die Elektrolyse werden verspielt.
- Finanzierung absichern: Banken zögern häufig, kapitalintensive Projekte zur Skalierung innovativer Technologien zu finanzieren. Öffentliche Bürgschaften und Garantien für größere Elektrolyseprojekte stärken die Kreditwürdigkeit der Projektträger und reduzieren das Risiko. Der im Koalitionsvertrag verankerte Investitionsfonds für Energieinfrastruktur kann Abhilfe schaffen und sollte zügig aufgesetzt werden.
- Grünen Strom zugänglich machen: Flexible Vorgaben für den Netzstrombezug ermöglichen Geschäftsmodelle schon heute. Elektrolyse-Wasserstoff aus Netzstrom wächst mit dem Ausbau der Erneuerbaren. Wichtig bleibt das Zielbild: Ein auf erneuerbarer Stromerzeugung basierendes Energiesystem mit grünen Molekülen für den Umstieg der energieintensiven Branchen.
Wir können auf Zeit spielen und wichtige Meter im internationalen Wettrennen um strategische grüne Technologien liegen lassen. Oder gleich das Richtige tun.
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