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Energie & Klima

Standpunkte Für eine Klima-Ratspräsidentschaft

Michael Bloss, Abgeordneter für die Grünen im Europaparlament
Michael Bloss, Abgeordneter für die Grünen im Europaparlament Foto: Patrick Haermeyer

Die grünen Europaparlamentarier Michael Bloss und Rasmus Andresen attestieren der Bundesregierung schwere Versäumnisse schon zum Start der EU-Ratspräsidentschaft. In ihrem Standpunkt erheben sie zwei Kernforderungen: Jeder zweite Euro müsse in den Klimaschutz fließen. Strukturell brauche es das europäische Klimagesetz als Fixpunkt, um die Transformation zu lenken.

von Michael Bloss

veröffentlicht am 08.07.2020

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Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt heute ihr Programm für die deutsche Ratspräsidentschaft dem Europaparlament vor. Schon jetzt steht aus grüner Perspektive fest: Der Klimaschutz wird in diesem nicht ausreichend berücksichtigt – und das ist ein Fehler. Die europäischen Gesellschaften und die europäische Wirtschaft brauchen eine Klima-Präsidentschaft. Denn die Lehre aus Corona muss sein, für zukünftige Krisen vorzubeugen. Und die gravierendste Bedrohung ist eindeutig die Klimaerwärmung, die auch mit wirtschaftlichen und gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Zwei Schritte sind für eine kohärente Klima-Präsidentschaft notwendig:

1. Jeder zweite Euro muss ein Klima-Euro sein

Im April 2020 gab es einen ungewöhnlichen Appell aus der Wirtschaft. 60 Unternehmen, darunter Thyssenkrupp, Salzgitter, Allianz und Bayer, schrieben an Merkel: „Wir appellieren an die Bundesregierung, wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Bewältigung der Corona- und der Klimakrise eng zu verzahnen“. Auch, weil sie erhebliche Beeinträchtigungen durch die Klimakrise fürchten. Diese Sorgen der Wirtschaft sind berechtigt.

Nur ein Beispiel: Die Allianz verzeichnet seit den 1980er Jahren einen fünffachen Anstieg der durchschnittlichen Schäden durch Naturkatastrophen. Für 2016 belief sich der versicherte Schaden durch Naturkatastrophen weltweit auf 54 Milliarden Euro – ein Plus von 42 Prozent gegenüber 2015.

Leider verhallte der Appell der Wirtschaft, aber auch viele andere, weitgehend ungehört. Im Programm zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft findet sich Klimaschutz erst an vierter Stelle. Unter den Schwerpunkten, die Deutschland setzen will, wird Klima auf der Homepage der Ratspräsidentschaft nur unter „Weitere Themen“ aufgeführt. Das ist vielsagend. Und im Grunde ein Skandal angesichts der Dringlichkeit, die Klimakrise schnell und entschlossen anzugehen.

Skandalös ist ebenfalls, dass bei den 750 Milliarden des Wirtschaftspakets der EU der klimagerechte Umbau für die Bundesregierung in den Verhandlungen und damit auch beim Ergebnis keine Rolle spielt. 85 Prozent der vorgeschlagenen Hilfsgelder sollen direkt und ohne klare Konditionen an die Mitgliedstaaten überwiesen werden. Das ist ein Freifahrtschein in die fossile Vergangenheit.

Dabei braucht die Wirtschaft ein glasklares Signal, wohin die Reise geht. Dort stellt man sich derzeit vor allem eine Frage. Investitionen in die Dekarbonisierung: Ja oder nein – und unter welchen Rahmenbedingungen? Nun gilt es zu verhindern, den bereits erfolgten Fehlern weiterer hinzuzufügen. Konkret: Die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen und den Wiederaufbauplan stehen an. Deutschland hat es in der Hand, wohin die 750 Milliarden Euro, die dafür veranschlagt sind, fließen. Diese Verhandlungen, wie die Vergabe der Mittel zum Wiederaufbau gestaltet wird, wird die erste wichtige Aufgabe der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sein.

Doch nach dem bisherigen Vorschlag sollen nur ein Viertel aller Mittel in klimafreundliche Sektoren wie erneuerbare Energien, Elektromobilität und Gebäudesanierung fließen. Das bisher eingebrachte „do no harm”-Prinzip, der Grundsatz der Schadensvermeidung, der zum Beispiel bei den Investitionen in die fossile Industrie droht, ist nicht verpflichtend.

Die zentrale Forderung von uns Grünen lautet: Jeder zweite Euro muss ein Klima-Euro sein. So können wir die Stahlwerke umbauen, Europas größtes Solardach-Programm starten, neue Batteriefabriken für die E-Mobilität entstehen lassen und den europäischen Bahnverkehr ausbauen. Ein Beispiel ist der Bau von 70 Millionen Solaranlagen auf Europas Dächern. Nach Berechnungen des Fraunhofer Instituts könnte dieses Projekt rund 2,2 Millionen zusätzliche Jobs schaffen.

Bleibt es dagegen beim bisherigen Plan, dann heißt das auch: Drei Viertel der Gelder fließen in die Vergangenheit. Gerade bei den Milliarden, die direkt an die Mitgliedsstaaten gehen, müssen EU Kommission und Parlament die Möglichkeit haben, Korrekturen durchzusetzen. Wir können es uns nicht leisten, klimaschädliche Infrastruktur zu subventionieren.

2. Der Orientierungspunkt für die Milliarden ist das Europäische Klimagesetz

Ab 2021 geht es dann nicht mehr ums Volumen, sondern um die Verteilung. Einfacher: Wohin gehen die Milliarden und aufgrund welcher Kriterien? Fest steht, sie benötigen einen Fixpunkt. Der fehlt bislang und droht jetzt sogar durch die deutsche Ratspräsidentschaft auf die lange Bank geschoben zu werden.

Das Europäische Klimagesetz sollte dieses Jahr vor der Klimakonferenz in Glasgow verabschiedet werden. Die EU-Kommission lieferte Anfang März das Klimagesetz, das Greta Thunberg als eine „Kapitulation“ bezeichnete. Derzeit wird es unter Hochdruck im Europaparlament verhandelt und verbessert. Ausgerechnet Deutschland bremst. Die Formulierung zum Europäischen Klimagesetz im deutschen Programm zur Ratspräsidentschaft wurde entscheidend abgeschwächt: Man will das Gesetz nicht mehr zu Ende verhandeln, sondern darauf hinarbeiten, die Beratung zum Gesetzentwurf im Rat abzuschließen.

Das kann weitreichende Folgen für die Umsetzung des Green Deals und die Effektivität des Konjunkturprogramms haben. Vom Abschluss der Verhandlungen für das Jahr 2020 ist keine Rede mehr. Ohne Klimagesetz liegen die Reform des CO2-Emissionshandels und der Effort Sharing Regulation brach. Die beiden Reformen sollten 2021 folgen. Doch ohne Grundlage hinsichtlich Klimaziele und einem CO2-Budget, das aufzeigt, wie viel Treibhausgase wir bis wann genau noch haben, sieht es schlecht aus um den Klimaschutz.

Das Klimagesetz muss also die Grundlage für den Wiederaufbaufonds und den mehrjährigen Finanzrahmen sein, doch durch den Aufschub droht es seine Wirkung als Orientierungsmarke zu verlieren. Unsere Forderung ist: Die Bundesregierung muss das Klimagesetz bis Ende des Jahres verhandeln, um damit ein klares Zeichen an die Wirtschaft und die Weltgemeinschaft zu schicken.

Die deutsche Ratspräsidentschaft  ist eine riesige Chance. Sie kann stellvertretend für Fortschritt, Gemeinschaft, Solidarität stehen. Kurz: Für eine neue Generation Europas. Aber nur, wenn sie zur Klimapräsidentschaft wird. Noch ist das möglich.


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