Der Verein AquaVentus mit Sitz auf Helgoland hat sich große Ziele gesetzt: die Installation von zehn Gigawatt (GW) Erzeugungsleistung für grünen Wasserstoff aus Offshore-Windenergie in der Nordsee bis 2035. AquaVentus verfolgt mit seinen Projekten den Plan, die Nordsee als grünes Kraftwerk zu nutzen, um die Energietransformation einen großen Schritt voranzubringen und den ambitionierten bundesdeutschen Elektrolyse-Ausbauplan von zehn GW bis 2030 zu unterstützen. Offshore-Windparks gekoppelt mit Elektrolyse sollen eine stete Versorgung mit grünen Elektronen und grünen Molekülen bereitstellen. Die Vision ist groß, aber sehr konkret. Und die Einbindung Helgolands in das Projekt zeigt, dass ein großes zentrales Erzeugungsprojekt auch kleine Insellösungen möglich macht.
Grünes Kraftwerk Nordsee
Deutschland, Dänemark, die Niederlande und Belgien haben vor knapp einem Jahr am 18. Mai 2022 die Esbjerg-Deklaration aus dem Mai 2022 mit ihren großen politischen Zielen von 150 GW an installierter Offshore-Wind-Leistung im Jahr 2050 unterzeichnet. Noch viel deutlicher sind die „Zwischenziele“: Sie sehen 65 GW bis 2030 an Offshore-Windkapazität vor und 20 GW Elektrolyse-Kapazität für die Erzeugung von grünem Wasserstoff. Wenn das gelingt, würde Nordseewind das Erreichen der Klimaschutz- und Ausbauziele an erneuerbaren Energien und für grünen Wasserstoff beflügeln.
Doch auch die Transformation wäre einen großen Schritt weiter, denn die Synchronität von Erzeugung und Verbrauch sowie der Transport der grünen Energie gehören zu den großen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Grüner Wasserstoff ist hier der Schlüssel, nicht nur, um Netzengpässe und Kaltdunkelflauten zu umgehen, sondern insbesondere auch um Industriesektoren zu dekarbonisieren, die sich nicht elektrifizieren lassen. Außerdem ist Wasserstoff ein zentrales, weil speicherbares Bindeglied zwischen den Sektoren und kann sowohl als Grundstoff, Brennstoff und Energieträger genutzt werden. Das Zusammenspiel zwischen grünen Elektronen und Molekülen verspricht also Lösungen für die Transformation unseres Energie- und Wirtschaftssystems, aber auch für die Versorgungssicherheit. Somit ist das Zielbild am Horizont deutlich zu sehen. Indes lässt sich der Schalter nicht einfach umlegen.
Viele Schritte vom Pilotprojekt zur Skalierung
Ein Hochlauf von komplexen Technologien und deren exaktes Zusammenspiel brauchen seine Zeit. Wir stehen beim Aufbau der Wasserstoff-Liefer- und Wertschöpfungskette am Anfang, auch wenn wir allzu oft von Markthochlauf sprechen. Diese Einsicht ist für ein Herangehen an die Umsetzung ganz entscheidend, denn sie gilt für die vielversprechende kombinierte Offshore-Windkraft Erzeugung von Strom und Wasserstoff umso mehr. Um ans formulierte Ziel zu kommen und das in kürzest möglicher Zeit ist zweierlei ganz essentiell: jetzt starten und keinen der notwendigen Schritte und Bausteine auslassen. Die AquaVentus-Projekte haben die verschiedenen Test-, Aufbau- und Hochlaufphasen sowie die benötigten Infrastrukturen mitgedacht.
Die laufende Forschung im Wasserstoff-Leitprojekt H2Mare ist ein erster Start. Da Windenergieanlagen auf See deutlich mehr und regelmäßiger Strom als ihre Pendants an Land erzeugen, erforscht H2Mare das Potenzial, daraus Wasserstoff und Wasserstoff-Folgeprodukte herzustellen und zu transportieren. Das Rational ist klar: Die direkte Kopplung von Windkraftanlage und Elektrolyseur soll die Kosten verringern. Auch sollen dadurch lokale und transregionale Netze entlastet und grüner Wasserstoff system- und netzdienlich bereitgestellt werden. Außerdem stehen weit größere Flächen als an Land für die grüne Energieerzeugung zur Verfügung. Ferner soll die Abwärme der Elektrolyseure genutzt werden, um das Wasser für die Elektrolyse zu entsalzen.
In der zweiten Stufe folgt der notwendige Praxistext mit AquaPrimus. Im Meer vor Helgoland soll eine Windkraftanlage der neuesten Generation mit Elektrolyseuren ausgerüstet werden. Der auf See erzeugte grüne Wasserstoff soll mittels Pipeline auf Helgoland angelandet und verwertet werden. Das Demonstrationsprojekt soll die Serienreife und den kommerziellen Regelbetrieb vorbereiten.
100.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr
Mit AquaSector sollen dann der „Proof of Concept“ für die Zehn-GW-Vision von AquaVentus in Kraftwerksgröße erfolgen und technische Lösungen gesucht werden, die den weiteren Ausbau der Produktionskapazitäten erlauben. Dafür muss das vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) ausgewiesene Windvorranggebiet „SEN-1“ in der Deutschen Bucht in einer Größe von über 100 Quadratkilometern erschlossen werden. Darauf soll sukzessive insgesamt eine Elektrolyse-Kapazität von rund einem GW aufgebaut werden. Damit könnten dann schon bis zu zu 100.000 Tonnen jährlich an grünem Wasserstoff erzeugt werden.
Auch wenn die AquaVentus Vision zehn GW bis 2035 als Ziel hat, sind die Projekte der Machbarkeit und Realität verschrieben. Denn die Technologien können nur stufenweise erprobt und skaliert werden, und deswegen sollte die Fläche mindestens zweigeteilt und in einer zeitlichen Staffelung von circa zwei Jahren ausgeschrieben werden. Die Herausforderungen sind nicht zu unterschätzen, es gilt, das Zusammenspiel von Windkraft und Elektrolyseur aufeinander abzustellen und die Anlagen auf hoher und rauer See zu testen. Viel spricht also dafür, zuerst ein kleineres Teilstück (rund 300 MW) und dann ein größeres Teilstück (rund 700 MW) auszubauen. Denn die Teilung der SEN-Fläche senkt das Realisierungsrisiko. Außerdem dürfte der zeitliche Versatz den Förderbedarf verringern, in jedem Fall aber die Mitnahme der Lernkurve bei zeitgleicher Maximierung der Produktionsmenge von grünem Wasserstoff erlauben.
Die vierte Stufe ist die AquaDuctus-Wasserstoff-Pipeline im GW-Maßstab, die große Mengen Wasserstoff ans Festland transportieren und Teil eines diskriminierungsfrei zugänglichen Netzes in der Nordsee sein soll. Und in nicht allzu ferner Zukunft soll ein Nordsee-Verbund für grünen Strom und grünen Wasserstoff sorgen und Europa „RePOWERn“. So die große Vision. Deren Umsetzung kann starten, sobald die Bundesregierung AquaPrimus , der weltweit ersten integrierten Offshore-Wind- und Wasserstoffanlage, grünes Licht gibt.
Helgoland – Innovationshub, Insellösung und Vorbild
Im Kleinen ist dann auch schon viel für Helgoland zu erreichen. Helgoland als einziger Hochseeinsel Deutschlands kommt eine wichtige Rolle zu. Hier soll nicht nur der deutsche Leuchtturm für die Offshore-Wind-Wasserstoff-Produktion entstehen und in die notwendige Erprobung gehen. Hier könnten auch die neuen Technologien umgesetzt und erfahrbar werden. Für die rund 1300 Einwohner, aber auch die vielen Hunderttausend Touristen, die Helgoland besuchen.
Die notwendige politische und ideelle Unterstützung kommt oft erst, wenn die positiven Auswirkungen spürbar und sichtbar sind. Das hat Helgoland bei den „konventionellen“ Offshore-Windparks schon gezeigt. Eine „grüne Insel“ und nachhaltiger Tourismus brauchen ihre eigenen Lösungen. In Zukunft kann Helgoland den grünen Strom und auch den grünen Wasserstoff nutzen, um seine Energieversorgung und Wasseraufbereitung auf erneuerbare Energien umzustellen. Das gilt auch für die Sektoren Transport und Wärme. Wasserstoff und seine Wasserstoffderivate können dann als Schiffstreibstoff eingesetzt werden, um die Touristen von der Hauptinsel zur Schwesterinsel Düne und später auch zum Festland zu bringen. Wo heute ein Stromkabel vom Festland und für die Wärmeerzeugung heizölbetriebene Kessel die Insel über ein Fernwärmenetz versorgen, können morgen grüner Strom, Wasserstoff und Wärmepumpen dezentral zum Einsatz kommen.
Eine solche „Insellösung“ für Helgoland wäre nicht nur ein wichtiger Zwischenschritt und Baustein für die Skalierung bis große Mengen von Wasserstoff ans Festland transportiert werden können. Helgoland ist eine von 2500 Inseln in Europa, auf denen insgesamt über 20 Millionen Menschen leben. Helgoland könnte europäisch wie international Strahlkraft entwickeln, um die Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS) bei der Beschleunigung des Energieumbaus zu inspirieren und so zu einem Leuchtturm für die deutsche Klima-Außenpolitik werden.
Kirsten Westphal ist im Vorstand der H2Global Stiftung und im Vorstand von AquaVentus e.V.