Damit der Wasserstoffbedarf 2030 abgesichert werden kann, müssen mindestens 80 Terawattstunden pro Jahr beziehungsweise circa 70 Prozent des Bedarfs an grünem Wasserstoff nach Deutschland importiert werden. Davon geht die Bundesregierung in ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie aus. Dabei ist für das Erreichen der Klimaziele entscheidend, dass der importierte Wasserstoff den strengen Vorgaben der Europäischen Union entspricht: durch Zusätzlichkeit des erneuerbaren Stroms sowie dessen zeitliche und geographische Korrelation. Jüngste Entwicklungen haben offenbart, dass dies kurz- bis mittelfristig nur mit Importen aus dem europäischen Raum effizient und durchgängig überprüfbar zu erreichen ist.
Für die Herstellung von grünem Wasserstoff setzt die Europäische Union mit ihren Delegierten Rechtsakten 2023/1184 und 2023/1185 hohe Hürden. Zu Recht, denn grüner Wasserstoff spielt bei der Erreichung der Klimaziele eine entscheidende Rolle. Daher muss auch sichergestellt werden, dass der Wasserstoff mit dem kleinstmöglichen CO2-Fußabdruck hergestellt wird. Dies ist in Deutschland von großer Relevanz, denn die Verwendung von grünem Wasserstoff bei der Erreichung der im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) vorgegebenen THG-Minderungsziele im Verkehrssektor wird über die 37. Bundes-Immissionsschutzverordnung (BImSchV) mit dem Faktor drei angerechnet. Das ermöglicht höhere Einnahmen aus dem THG-Quotenhandel und soll so die Wirtschaftlichkeit von grünem Wasserstoff herstellen, Investitionssicherheit schaffen und den Business Case stärken.
Wirksame Zertifizierung und enge Kontrollen sind notwendig
Damit die THG-Quoten zugewiesen werden können, müssen sich die Hersteller und Händler von Wasserstoff, wie zum Beispiel Tankstellen, nachvollziehbar zertifizieren lassen. Aktuell befinden sich mehrere Zertifizierungssysteme bei der Europäischen Kommission in Prüfung. Doch selbst nach erfolgreicher Zulassung sind noch weitere komplexe Fragen der praktischen Umsetzung zu klären, bevor die ersten THG-Quotenzertifikate ausgestellt und gehandelt werden können.
Um die gesamte Produktions- und Lieferkette kontrollieren zu können, müssen entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette Zertifizierungs- und Kontrollsysteme etabliert werden. Es ist naheliegend, dass dies am einfachsten und schnellsten in Europa umgesetzt werden kann. Alle europäischen Staaten unterliegen den von der EU-Kommission erlassenen Rechtsakten zur Produktion von grünem Wasserstoff.
Jüngste Skandale bei der Zertifizierung der Reduzierung von Upstream-Emissionen (UER) in China haben jedoch gezeigt, dass es getrieben von wirtschaftlichen Interessen, immer wieder zu Falschetikettierungen kommt. Auch die Frage der im vergangenen Jahr sprunghaft gestiegenen Importmengen von Altfetten aus Asien passt in dieses Muster.
Zertifizierungssysteme und Kontrolleure geraten dort an ihre Grenzen, wo andere Staaten nur beschränkten oder keinen Zugang gewähren und Kontrollen nicht stattfinden können. Es wird deutlich: Eine erneuerbare Energieversorgung, die durch tatsächliche CO2-Einsparungen zum Erreichen der Klimaziele beiträgt, bedarf einer umfassenden und überprüfbaren Regulatorik.
Letztendlich geht es um sehr viel Geld. Je globaler die Liefer- und Produktionsketten, desto eher werden Missbrauch und Betrug möglich. Dies gefährdet den Ruf der gesamten Branche und sorgt für massive Wettbewerbsnachteile für europäische Akteure, die durch europäische Zertifizierungssysteme einer strengen Kontrolle unterliegen. Deutschland und Europa sind daher gut beraten, sich gerade in der Hochlaufphase der grünen Wasserstoff-Marktwirtschaft auf Partner in der EU zu konzentrieren. Damit wird nicht nur sichergestellt, dass die Einhaltung der Anforderungen an die nachhaltige Produktion von grünem Wasserstoff eingehalten werden, sondern auch dass die europäische Wasserstoffwirtschaft maximal gestärkt wird.
Auch vor 2030 bereits Pipeline-basierte Importe forcieren
Will die Bundesregierung das in der anstehenden Wasserstoff-Importstrategie formulierte Ziel von bis zu 70 Prozent Importen nachhaltig erreichen und mögliche wettbewerbsverzerrende Verstöße bei der Zertifizierung vermeiden, muss der Fokus schon vor 2030 auf europäischen Importen von Wasserstoff via Pipeline liegen. Bislang werden bis 2030 vor allem schiffsbasierte Importe von Wasserstoff-Derivaten postuliert. Doch dies geht an den Bedarfen der Hauptabnehmer für grünen Wasserstoff vorbei. Insbesondere in Bezug auf den Beitrag des grünen Wasserstoffs zur Erreichung der Klimaziele gilt es, den gesamten Lebenszyklus des grünen Wasserstoffs zu betrachten.
Der CO2-Fußabdruck von Wasserstoff, der in der EU produziert und per Pipeline verteilt wird, ist am geringsten. Davon profitieren vor allem schwer zu desfossilisierende Industrien wie etwa die Stahlwerke oder der wasserstoffbetriebene Schwerlastverkehr, um ihre Emissionsziele gesichert zu erreichen. Der Import von grünem Wasserstoff via Pipelines ist zudem schon jetzt direkt oder mittelbar über die Beimischung ins Erdgasnetz möglich.
Dagegen müssten für den großdimensionierten Import der meisten Wasserstoff-Derivate erst kostenintensive Anlagen aufgebaut werden. Dies wirft infrastrukturelle sowie betriebswirtschaftliche Fragen auf: Ist der Aufbau von Transport- und Umwandlungsinfrastrukturen für Wasserstoffderivate volkswirtschaftlich langfristig sinnvoll vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung ab 2030 vermehrt auf den Import des Wasserstoffs über Pipelines setzt? Spätestens mit dem Aufbau eines europäischen Wasserstoff-Kernnetzes Mitte der 30er-Jahre könnten viele der Umschlagsanlagen für Wasserstoff-Derivate nicht mehr benötigt werden.
Europa bietet genügend Erneuerbaren-Potenzial für grünen Wasserstoff
Fakt ist, dass es in Europa genügend Potenzial für eine gesicherte, wettbewerbsfähige grüne Wasserstoffversorgung gibt und dass in der EU am schnellsten die notwendigen Zertifizierungssysteme etabliert und am effektivsten kontrolliert werden können. Das haben die jüngsten überragenden Ergebnisse der Europäischen Wasserstoffbank gezeigt, wo mit 720 Millionen Euro insgesamt 1,5 Gigawatt Elektrolyseleistung angereizt wurden. Weitere Auktionen sind bereits angekündigt.
Der Wasserstoffimport über die Beimischung ins Erdgasnetz könnte bereits heute die erste Nachfrage bis zum Aufbau reiner Wasserstoffnetze bedienen. Denn über eine bilanzielle Entnahme und Anrechnung des beigemischten grünen Wasserstoffs können so Unternehmen beispielsweise ihre THG-Minderungsverpflichtungen erfüllen. Deutschland muss das europäische Wasserstoff-Importpotenzial heben, indem es die schon heute nach § 5 Abs. 3 EEG bestehende Möglichkeit für europaweite EE-Ausschreibungen nutzt und eine entsprechende Verordnung nach § 88a EEG erlässt. Eine Umsetzung wäre somit noch in diesem Jahr möglich. Das EEG ließe bereits unter der geltenden Gesetzgebung den europäischen Aufbau von über 30 GW an Elektrolyseleistung zu – es fehlt nur eine entsprechende Verordnung zur Umsetzung der Regelung im EEG. Das entspräche einer grünen Wasserstoffproduktion von mehr als der voraussichtlich notwendigen Importmenge von 80 TWh pro Jahr.
Der Import erneuerbarer Energien aus der EU in Form des den Energieträgers Wasserstoff und das bestehende Erdgas-Pipeline-System wäre ein wahrer Konjunkturmotor für die deutsche Wasserstoff -Industrieund könnte endlich den Hochlauf der deutschen Wasserstoff-Marktwirtschaft beginnen lassen. Das wäre ganz im Sinne eines starken Europas, das sich im zunehmend schwierigeren internationalen Wettbewerb behaupten muss.
Werner Diwald ist seit 2014 Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wasserstoff-Verbandes (DWV).