Standpunkte Kampagne und Diffamierungen – Wie Umweltverbände zum Feindbild gemacht werden

Zivilgesellschaftliche Organisationen stehen unter Druck. Nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Gezielt wird etwa versucht, die Finanzierung von NGOs ins Zwielicht zu rücken. Christina Deckwirth, Campaignerin bei Lobbycontrol, ordnet ein, warum die aktuelle Debatte die notwendige Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen gefährdet und welche Rolle Medien dabei spielen.
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Jetzt kostenfrei testenSeit Monaten erleben zivilgesellschaftliche Organisationen eine neue Welle der Diffamierung und Einschüchterung. Besonders im Fokus ist dabei die öffentliche Förderung sogenannter Nichtregierungsorganisationen. In Brüssel brodelt es dazu schon seit Monaten: Zum Angriff blies die CSU-Europa-Abgeordnete Monika Hohlmeier. Flankiert von Politiker:innen der rechtspopulistischen Parteien versucht sie, die europäische Zivilgesellschaft mit wilden Anschuldigungen vor sich herzutreiben.
Angeblich habe die letzte EU-Kommission und insbesondere der sozialdemokratische EU-Klima-Kommissar Frans Timmermans Umweltverbände angestiftet, für Gesetzesinitiativen in seinem Sinne Lobbyarbeit zu betreiben. Die Behauptung: Die Verbände seien durch „Geheimverträge“ gesteuert worden. Das erinnert an die „deep state“-Verschwörungstheorien aus dem Trump-Umfeld. Obwohl diese Vorwürfe mehrfach widerlegt wurden, halten sie sich hartnäckig.
Der jüngste Angriff kam am Samstag vor Pfingsten: Die Zeitung „Die Welt“ veröffentlichte einen Beitrag, der die alten Anschuldigungen noch einmal als neue Enthüllungen präsentierte. Wer sich mit dem Thema auskannte, wusste schnell: Es handelte sich um eine Kampagne mit Falschmeldungen, die die Finanzierung von Umweltverbänden gezielt ins Visier nimmt. Der Artikel missachtete zudem journalistische Standards – die betroffenen Umweltverbände kamen darin nicht zu Wort.
Fossiles Rollback droht
Umso problematischer war es, dass die Tagesschau den Beitrag der „Welt“ offenbar ungeprüft übernahm und ihn damit bis in Lokalzeitungen trug. Erst später nahm die Tagesschau weitere Stellungnahmen zu der Meldung auf, so etwa von der EU-Kommission, die die Anschuldigungen vollständig zurückwies. Fortan schrieb sie – auch auf Instagram – nur noch von „angeblichen Geheimverträgen“. Doch die Nachricht war bereits in der Welt und kursiert weiterhin in den Sozialen Medien. Dort wird sie unter anderem von einer neuen Organisation namens „Initiative transparente Demokratie“ weitergetragen.
Hinter dieser „Initiative“ stecken PR-Berater und Lobbyisten mit Verbindungen zur Chemieindustrie, Bayer und der arbeitgeberfinanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Hinzu kommt: Rechtspopulistische bis extrem rechte Medien und Kanäle konstruieren NGOs gerade als neues Feindbild.
Die Angriffe auf zivilgesellschaftliche Organisationen fallen in eine Zeit, in der umwelt- und klimapolitische Fortschritte durch neue politische Mehrheiten in Brüssel und Berlin massiv zurückgedreht werden. Es droht ein fossiles Rollback, wenn Ursula von der Leyens vergleichsweise ambitioniertes Projekt des europäischen Green Deal aufgeweicht wird und gleichzeitig die frühere Gasunternehmerin Katherina Reiche die Energiepolitik der neuen Bundesregierung steuert.
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD liest sich wie eine Wunschliste der Gaslobby, die sich entsprechend erfreut zeigte. Das schadet nicht nur dem Klima, sondern auch dem Verbraucherschutz und bremst den Aufbau einer zukunftsfähigen Wirtschaft aus. Dass Umweltverbände und Klimabewegung in den letzten Jahren vermehrt auf die Folgen der Klimakrise aufmerksam gemacht haben, stört fossile Konzerne offenbar.
Die Zivilgesellschaft muss sich wehren
Zivilgesellschaftliche Organisationen sind unverzichtbar für die Demokratie. Sie bilden ein Gegengewicht zu einflussreichen Konzernlobbyist:innen und Wirtschaftslobbyverbänden mit Millionenbudgets. Ein Blick ins Lobbyregister zeigt: Von den 100 größten Lobbyakteuren nach Lobbybudgets zählen 81 zur Wirtschaft, darunter große Verbände der Auto- und Chemieindustrie oder der CDU-nahe Lobbyverband Wirtschaftsrat der CDU.
Dem stehen nur sieben zivilgesellschaftliche Organisationen wie Caritas, Deutsches Rotes Kreuz oder ADAC, sowie lediglich zwei Umweltverbände gegenüber. Die Lobbyausgaben der 20 größten Wirtschaftslobbyakteure sind mehr als 15-mal so hoch wie die der 20 größten Umweltverbände. Das Gerede von einer vermeintlich übermächtigen „Klima-Lobby“ entbehrt jeglicher Datengrundlage.
Transparenz ist für alle Akteure wichtig, die Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess nehmen. Es muss klar sein, wer mit welchem Budget Lobbyarbeit betreibt. Nur so kann nachvollzogen werden, wer Einfluss auf Gesetze nimmt und ob das im Sinne des Gemeinwohls ist. Deshalb haben wir uns jahrelang für ein Lobbyregister eingesetzt und begrüßen, dass es nun seit 2021 deutlich mehr Transparenz für Lobbyakteure gibt.
Auch öffentliche Gelder müssen dort angegeben werden. Es ist bezeichnend, dass weder der Artikel in der „Welt“ vom Pfingstwochenende noch die „Initiative transparente Demokratie“ das bestehende Lobbyregister erwähnen. Damit entpuppen sich die vermeintlichen Transparenzforderungen als reine Diffamierung.
Medien und Politik sollten sich davor hüten, irreführende und diffamierende Botschaften zu übernehmen, die von der „Welt“, extrem rechten Kanälen oder den Konzernen verbreitet werden, deren Geschäftsfelder regelmäßig von NGOs kritisiert werden.
Die realen Auswirkungen der Anti-NGO-Kampagne sind bereits sichtbar: Klagerechte von Umweltverbänden sollen laut Koalitionsvertrag beschnitten werden, Demokratieinitiativen gegen Rechtsextremismus verlieren ihre Förderung. Auch in Brüssel streichen erste zivilgesellschaftliche Organisationen Stellen, weil ihre EU-Finanzierung im Unklaren ist. Demokratisches Engagement gerät schon jetzt massiv unter Druck. Zivilgesellschaftliche Akteure müssen und werden sich dagegen wehren.
Christina Deckwirth ist Campaignerin zu Lobbyismus und Klima im Berliner Büro von Lobbycontrol.
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