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Energie & Klima

Standpunkte Klimakrise und Ernährungskrise gemeinsam lösen

Alexander Piutti, Gründer und Geschäftsführer von SPRK.global
Alexander Piutti, Gründer und Geschäftsführer von SPRK.global Foto: SPRK

Lebensmittelverschwendung ist ein unterschätzter Beitrag zur Klimakrise, meint Alexander Piutti von SPRK.global in seinem Standpunkt. Der Startup-Gründer fordert Transparenz- und Meldepflichten sowie ein Wegwerfverbot. Dann könnten digitale Lösungen das Problem drastisch reduzieren. Die Ampel-Koalition bleibe aber vage.

von Alexander Piutti

veröffentlicht am 20.06.2022

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Geht es um das Erreichen der Klimaziele, steht der Energiesektor zu Recht im Vordergrund. Der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien ist essentiell. Was jedoch oft vergessen wird, ist der Anteil des Lebensmittelsektors an den CO2-Emissionen, das heißt die gesamte Lieferkette und nicht nur die Agrarwirtschaft. Dabei gehen die Klimakrise und die Ernährungskrise Hand in Hand.

Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Klimakrise und Lebensmittelverschwendung: Das IPCC aber auch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, kurz FAO, kommen zu dem Schluss, dass Lebensmittelverschwendung weltweit für acht bis zehn Prozent aller menschengemachten Treibhausgase verantwortlich ist. Oder anders ausgedrückt: Wäre Lebensmittelverschwendung ein Land, wäre es mit 4,4 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten der drittgrößte Treibhausgasemittent, direkt nach den USA und China. Weltweit werden laut dem aktuellsten WWF Report jedes Jahr 2,5 Milliarden Tonnen Lebensmittel verschwendet. Das korrespondiert mit 6,3 Gigatonnen an unnötigem CO2-Ausstoß.

Und die Lage spitzt sich auch bei der Versorgungssituation zu: Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass die Nahrungsmittelproduktion bis 2050 um 50 Prozent steigen muss – und das bei zunehmender Wasserknappheit und sich ändernden klimatischen Bedingungen.

Die nationalen Klimaschutzmaßnahmen nehmen zwar auch den Agrarsektor in den Blick. Was bisher jedoch völlig ausgeklammert wird, ist die Lebensmittellieferkette. Durch das Wegwerfen von bestens genießbaren Lebensmitteln werden nicht nur wertvolle Ressourcen wie Wasser verschwendet und Böden erschöpft, sondern es entstehen auch erhebliche unnötige Emissionen. Dies ist völlig absurd und angesichts der Lage unseres Planeten völlig inakzeptabel.

Großteil der Verschwendung früh in der Lieferkette

Jede und jeder von uns kann achtsamer mit Lebensmitteln umgehen und zwei Mal beim Einkaufen überlegen, ob er Gut x oder y wirklich braucht und ob der Joghurt trotz abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum noch genießbar ist.

Einen entscheidenden Beitrag können aber auch Lösungen von Start-ups wie Too Good to Go und SPRK.global leisten, die überschüssige Lebensmittel retten und entlang der Lieferkette umverteilen. Der Großteil der Lebensmittelvergeudung fällt am Anfang und in der Mitte der Lieferkette an, genauer gesagt 60 Prozent.

Die Ampel-Koalition bleibt vage

Es ist an der Zeit, dass die politisch Verantwortlichen den Zusammenhang zwischen Klimakrise und Ernährungskrise ernster nehmen und von guten Vorsätzen ins zielgerichtete und zukunftsweisende Handeln kommen. Bei einem Blick in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung bleiben die Maßnahmen vage. So steht dort „Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und steuerrechtliche Erleichterung für Spenden ermöglichen.“

Was es braucht, sind klare Leitlinien, die auch den verschiedenen Stakeholdern der Lieferkette Planungssicherheit und Orientierung bieten. Ein gesetzlich festgeschriebenes Wegwerfverbot von Lebensmitteln nach dem Vorbild Frankreichs ist ein konkreter Ansatz. Die Supermärkte bekommen Klarheit und das sogenannte Containern wird legalisiert. Dringend nötig ist darüber hinaus aber vor allem eine Transparenz- und Meldepflicht für überschüssige Lebensmittel entlang der Lieferkette.

Dabei muss es gar nicht darum gehen, die Überschussmengen bestimmten Stakeholdern zuzuordnen, sondern vielmehr offenzulegen, wie viel Ware wo und wann tatsächlich überschüssig ist und – in Abwesenheit von alternativen Abnehmern – tatsächlich in hohem Maße in der Tonne landet. Anhand dieser Daten lassen sich dann Angebot und Nachfrage besser in Einklang bringen.

Nahtlos den Überschuss in die Verarbeitung bringen

Denn: Was am Anfang und in der Mitte der Lieferkette als Überschuss anfällt, kann zielgenau zweitverwertet werden. Äpfel, die überschüssig oder beispielsweise zu klein sind, können an lebensmittelverarbeitende Betriebe umverteilt und verkauft werden, so dass sie dann im Obstsalat oder im Saft verwertet werden können, solange die Äpfel den Zertifikaten und Spezifikationen der verarbeitenden Betriebe entsprechen. So erhält die verarbeitende Industrie frische Ware zum günstigeren Preis und kann gleichzeitig nachhaltige Kreislaufprodukte im Volumen herstellen. Caterer, Kantinen und Gastronomen können außerdem mit regional überschüssiger Ware arbeiten: So würden die täglichen Überschüsse der Lieferkette dynamisch in die Verarbeitung einfließen.

Am Ende bedeutet das ein Win-Win für alle: für die Ressourcen unserer Erde, die Stakeholder aus der Lieferkette und für das Klima.

Damit dies funktioniert, muss die Digitalisierung der gesamten Branche vorangetrieben werden. Gedruckte Lieferzettel und Excel-Tabellen zur Warenbestellung sollten schnellstmöglich der Vergangenheit angehören. Je digitaler die Prozesse ablaufen, desto besser können Angebot und Nachfrage der Waren quasi in Echtzeit in Einklang gebracht werden. Entscheidend ist hierbei die Datensicherheit, die Dienstleister aber gewährleisten können.

Es ist an der Zeit, dass die Politik zu ganzheitlichen und digitalen Lösungen greift, um die Ernährungskrise zu lösen und damit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Es gibt eine Vielzahl an innovativen Lösungen. Dringend notwendig ist, dass diese in Regularien pragmatisch einbezogen würden. Das Potenzial für die nahe Zukunft: Millionen Tonnen an Lieferkettenüberschüssen nahtlos der Verarbeitung zuführen. Genau das kann das neue „Normal“ in einigen Jahren sein.

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