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Standpunkte Krise ist nicht gleich Krise: CO2-Bepreisung trotz(t) Corona

Wilfried Rickels
Wilfried Rickels, Leiter der Abteilung Umwelt und natürliche Ressourcen am IfW Kiel

Das Fallen der CO2-Zertifikatepreise in der Krise ist kein Konstruktionsfehler, sondern zeigt die Funktionsfähigkeit des Emissionshandels. Man kann auf die Lenkungswirkung vertrauen, statt hektisch gegenzusteuern. Gleichzeitig ist es nicht ratsam, Maßnahmen zur Erholung der Wirtschaft durch die Umwandlung in ein klimapolitisches Infrastrukturprogramm unnötig zu verlangsamen, argumentieren Sonja Peterson und Wilfried Rickels vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) in ihrem Standpunkt.

von Wilfried Rickels

veröffentlicht am 15.04.2020

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Im vergangenen Frühjahr hat die Sorge über den voranschreitenden Klimawandel Millionen Menschen auf die Straßen gebracht – in diesem Frühjahr sind die Straßen leer, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Die wirtschaftlichen Einbußen im Zuge der Coronakrise dienen einigen als Vorwand, um die Einführung nationaler CO2-Preise erneut in Frage zu stellen, andere fordern im Rahmen möglicher Konjunkturprogramme Geld für grüne Infrastrukturprogramme und wieder andere meinen, die Rezepte gegen Corona direkt auf die Klimapolitik übertragen zu können. Wir glauben: Das ist alles falsch.

Im Zuge der Coronakrise und den damit verbundenen Einschränkungen der öffentlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten gehen die CO2-Emissionen zunächst einmal zurück. Wenn allerdings die ökonomische Aktivität wieder anzieht, werden die Emissionen wieder steigen und es ist wichtig, dass durch CO2-Preise entsprechende Lenkungsanreize bestehen. Das gilt insbesondere, weil noch nicht absehbar ist, wie veränderte Risikoeinschätzungen die Nachfrage unter anderem nach langlebigen Konsumgütern (temporär) beeinflussen. Wenn etwa die Nachfrage nach ÖPNV sinkt und die Nachfrage nach Pkw steigt, ist es wichtig, dass CO2-Preise technologieneutrale Anreize für Kauf- und Produktionsentscheidungen setzen. Daher sollte insbesondere am Zeitplan der nationalen CO2-Bepreisung festgehalten werden.

Im Übrigen zeigen sich erneut die Vorteile des Emissionshandels. Dieser gewährleistet nicht nur die Erreichung der Emissionsziele, sondern wirkt durch die endogene Reaktion der Zertifikatpreise antizyklisch zur Konjunktur. So hat der Preis für CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel seit Ausbruch der Coronakrise kurzfristig um etwa 33 Prozent nachgegeben. Aber weder ist der Preis der Zertifikate auf null gefallen, noch ist damit zu rechnen, dass er auf dem derzeitig niedrigeren Niveau bleibt, wenn die Wirtschaft und damit die CO2-Emissionen wieder hochfahren was sich am aktuellen Rand bereits abzeichnet. Zuletzt lag der Preis am Handelsplatz EEX (Spotmarkt) bei rund 21 Euro nach einem Tief bei rund 15 Euro (hier aktuell nachzuvollziehen).

Klimaschutz nicht mit Konjunkturprogramm vermengen

Gleichzeitig ist es nicht ratsam, Maßnahmen zur Erholung der Wirtschaft nach der Coronakrise mit einem klimapolitischen Infrastrukturprogramm zu vermengen, das über ohnehin bereits im Klimaschutzgesetz beschlossenen Maßnahmen hinausgeht. Bei der Überwindung der wirtschaftlichen Coronakrise spielt der Zeitfaktor eine wichtige Rolle, weil es insbesondere darum geht, tragfähige Wirtschaftsstrukturen vor einer Insolvenzwelle zu bewahren. Eine Überprüfung jeder Einzelmaßnahme im Hinblick auf ihre Emissionswirkungen ist nicht nötig, wenn der CO2-Preis seine Wirkung entfalten kann, und würde staatliche Hilfen verlangsamen mit der Gefahr, dass sie ihr primäres Ziel verfehlen.

Ungeachtet der deutlich unterschiedlichen Zeithorizonte der Corona- und der Klimakrise wird die entschlossene Reaktion auf die Coronakrise von einigen Interessenvertretungen als Blaupause für eine angemessene klimapolitische Reaktion herangezogen. Dabei sind es gerade die Unterschiede zwischen beiden Krisen, die ins Auge fallen. So dient die drastische Reduktion des öffentlichen Lebens eben auch dazu, Zeit zu gewinnen, um mehr über das Virus zu lernen, die Datenbasis zur Beurteilung der Krise zu verbessern und so Kosten und Nutzen unterschiedlicher Reaktionsstrategien abzuwägen. Ein wesentlicher Faktor für die Auswahl der Strategie ist, wann Medikamente zur Abschwächung beziehungsweise sichere Impfstoffe zu Verhinderung der Infektion vorhanden sind 

Beim anthropogenen Klimawandel sind Ursache und Wirkung hinreichend bekannt und mögliche „Impfstoffe“ in Form von solarem Climate Engineering mit zahlreichen Nebenwirkungen verbunden. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, bedarf es also keiner kurzfristigen Unterdrückung der wirtschaftlichen Aktivität sondern eines langfristigen strukturellen Wandels zu einer mittelfristig CO2-neutralen und dann netto negativen CO2-Wirtschaft. Zentral ist hier eine umfassende Bepreisung von Treibhausemissionen. Dazu sollten weitere komplementierende Maßnahmen kommen, die in einem demokratischen Entscheidungsprozess legitimiert werden müssen.

Die Wirtschaft muss sich CO2-Einsparungen leisten können

In der Coronakrise lässt sich die nationale Ausbreitung des Virus, wenn auch mit erheblichen Kosten und möglicherweise langfristigen politischen Folgen, durch eine Abschottung und das damit zwangsläufig verbundene Herunterfahren der Wirtschaft eindämmen. Die Auswirkungen des Klimawandels machen dagegen nicht vor Ländergrenzen halt, und eine ursächliche Begrenzung der globalen Erwärmung benötigt internationale Kooperation und die Senkung der globalen Emissionen. Entsprechend müssen weltweit emissionsarme und -neutrale Technologien emissionsintensive Produktion ersetzen. Voraussetzung für diese Innovationen ist eine funktionierende Wirtschaft, in der man sich das Einsparen von CO2-Emissionen leisten kann. Entsprechend sollte bei der relativ zur Klimakrise kurzfristigen Coronakrise die Bewahrung der Wirtschaftskraft im Vordergrund stehen, ohne dabei langfristig wirkende Fehlentwicklungen durch fehlende CO2-Preise billigend in Kauf zu nehmen.

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