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Energie & Klima

Standpunkte Warum wir den globalen Süden zum europäischen Emissionshandel einladen sollten

Jochen Andritzky und Nils Hesse, Zukunft-Fabrik.2050
Jochen Andritzky und Nils Hesse, Zukunft-Fabrik.2050 Foto: Cornelius Pfannkuch/Nils Hesse

Während Deutschland seine Kohlekraftwerke stilllegt, sind nicht nur in China, sondern auch in Ländern wie Südafrika oder Nigeria neue Kohlekraftwerke im Bau, die bis in die 2040er Jahre massiv CO2 emittieren werden. Das passt nicht zusammen, finden Jochen Andritzky und Nils Hesse vom Thinktank Zukunft-Fabrik.2050. Ein globalerer Emissionshandel könne den Konflikt auflösen. Dafür sollten Länder des globalen Südens eingeladen werden, dem europäischen Emissionshandelssystem beizutreten.

von Jochen Andritzky und Nils Hesse

veröffentlicht am 07.05.2024

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Deutschland und die EU haben sich ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt. Rund ein Drittel des Weges bis zur Klimaneutralität 2050 hat die EU bereits zurückgelegt. Viele niedrig hängende Früchte wurden bereits geerntet. Die längere und noch kostspieligere Strecke liegt noch vor uns.

Ganz anders ist es im globalen Süden. Aufgrund der wachsenden Bevölkerung und steigender Einkommen steigt der Energieverbrauch. Findet dieses Wachstum unverändert mit „braunen“ Technologien statt, steigen die Emissionen in einem Ausmaß an, welches die Einsparungen in der EU mehr als überkompensiert. Um dieses Dilemma zu lösen, reicht es nicht aus, unsere Entwicklungshilfe an Klimaschutzkriterien zu knüpfen.

Einbeziehung weiterer Länder hilft, internationale Klimaziele zu erreichen

Ein globales Emissionshandelssystem wäre das effizienteste und effektivste Instrument, um dort Emissionen einzusparen, wo es am günstigsten ist. Das EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) ist weltweit das umfangreichste und ausgereifteste System. Je mehr Länder unter das EU-ETS fallen, desto effizienter und effektiver erreicht es internationale Klimaziele. Je unterschiedlicher die Länder dabei sind, desto größer sind gemäß der Handelstheorie die Effizienzgewinne aus dem Handel – wie David Ricardos Theorie des komparativen Vorteils besagt.

Die Einbeziehung von Ländern des globalen Südens ist daher besonders vielversprechend. Weniger entwickelte Länder haben oft deutlich geringere CO2-Vermeidungskosten, weil hier die niedrig hängenden Früchte noch nicht geerntet sind, sie oft bessere Standortbedingungen – etwa längere Sonnenstunden für Photovoltaik – haben und meist bestehende Technologien nicht ersetzt werden müssen, sondern auf der grünen Wiese neu gebaut werden können.

Beitrittseinladungen an Marokko, Botswana oder Senegal

Diese Unterschiede könnte der Emissionshandel in massive Handelsgewinne umwandeln. Bisher sind Emissionsreduktionen jedoch kaum international handelbar. Versuche, verschiedene Handelssysteme mit ihren verschiedenen Regeln zu verbinden („Linking“), sind oft gescheitert.

Wir schlagen daher vor, Ländern des globalen Südens – etwa dem klimapolitisch ambitionierten Marokko, oder auch Botswana oder Senegal – den Beitritt in das EU-ETS anzubieten. Im Gegensatz zu einem unverbindlichen Linking würde Marokko nach unserem Vorschlag einem etablierten institutionellen Rahmen mit verbindlicher Emissionsobergrenze beitreten. Probleme wie Doppelzählungen und Betrug bei der CO2-Kompensation würden dadurch reduziert, insbesondere wenn der ETS anfangs auf die Sektoren Energie und Industrie beschränkt wird. Marokko könnte von der Glaubwürdigkeit des EU-ETS profitieren und müsste bei voller Integration keine Zahlungen für den zukünftigen EU-Grenzausgleichsmechanismus CBAM leisten.

Damit dieser Schritt für Marokko attraktiv ist, könnten die dortigen Produzenten kostenlose Zertifikate erhalten, die sich an der erwarteten Emissionsentwicklung orientieren. Gelingt es den marokkanischen Produzenten, das erwartete Wachstum mit geringeren Emissionen zu erreichen, können sie die überschüssigen Zertifikate im EU-ETS verkaufen. Dies würde die Anreize für Investitionen in kapitalintensive grüne Technologien in Marokko gegenüber heute drastisch verbessern. Um die richtige Balance zwischen Entwicklung und Klimaschutz zu behalten, sollte die Zahl der zugeteilten Zertifikate regelmäßig überprüft werden.

Um zu verhindern, dass die hohen Preise des EU-ETS die industrielle Entwicklung in Marokko bremsen, könnten der europäische und der marokkanische Zertifikatemarkt zumindest in der Anfangszeit getrennt bleiben. Eine Institution mit einem Entwicklungsmandat wie die afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) könnte ein Monopol für den Handel mit Emissionszertifikaten zwischen Marokko und dem EU-Markt erhalten. Als Arbitrageur könnte diese Institution die Einnahmen aus dem Verkauf von EU-ETS-Zertifikaten in grüne Technologien und den Aufbau der notwendigen Infrastruktur vor Ort investieren.

EU-ETS als globales Handelssystem etablieren

Es ist nicht das erste Mal, dass eine europäische Institution wie der EU-ETS von anderen Ländern adoptiert wird. Ein anderes Beispiel ist der Euro, der in Ländern wie Kosovo oder Montenegro direkt benutzt wird. Aufgrund seiner institutionellen Qualität haben sich diese Länder aus freien Stücken dafür entschieden, die europäische Geldpolitik anzunehmen.

Mit dem Vorschlag könnte der EU-ETS sich langsam als globales Handelssystem etablieren. Klimapolitisch bringt der Vorschlag mehr Effizienz und Verbindlichkeit, geopolitisch hilft er, die Länder des globalen Südens einzubinden.

Dr. Jochen Andritzky ist Mitgründer und Direktor der Zukunft-Fabrik.2050. Der Thinktank aus dem Umfeld der Universität St. Gallen will langfristiges Denken zur Grundlage des Handelns in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft machen. Andritzky studierte und promovierte in Volkswirtschaft an der Universität St. Gallen und arbeitete als Generalsekretär für den Sachverständigenrat Wirtschaft (Wirtschaftsweise). Dr. Nils Hesse ist freier Ordnungsökonom, Publizist und Fellow der Zukunft-Fabrik-2050. Hesse promovierte in Volkswirtschaft an der Universität Freiburg und arbeitete als Redenschreiber und wirtschaftspolitischer Referent für die Bundesregierung.

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