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Energie & Klima

Standpunkte Merkel muss Nord Stream 2 zur Chefinnensache machen

Brick Medak, Leiter Berliner Büro des Thinktanks E3G
Brick Medak, Leiter Berliner Büro des Thinktanks E3G Foto: E3G

Wie weiter bei Nord Stream 2? Brick Medak und Felix Heilmann vom Thinktank E3G schlagen einen Stufenplan unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel vor. Er soll aus einem Moratorium, einem Gipfel und der Studie eines internationalen Expertengremiums bestehen.

von Brick Medak

veröffentlicht am 24.02.2021

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Die Auseinandersetzung um die Gaspipeline Nord Stream 2 tobt nun schon seit Jahren, ohne dass man einer Lösung nähergekommen wäre. Russland will die Pipeline auch gegen erheblichen Widerstand aus den USA und aus Osteuropa noch in diesem Jahr fertigstellen und damit vollendete Tatsachen schaffen. Die neue US-Regierung hat sich noch nicht entschieden, ob sie an harten Sanktionen festhalten oder Deutschland entgegenkommen will.

Die Bundesregierung scheint sich ohne erkennbare Strategie immer mehr in eine Sackgasse und Deutschland in die Isolation zu manövrieren. Sie droht dabei als geostrategischer Spielball zwischen den USA und Russland zu enden. Ihr Agieren steht beispielhaft für die allgemeine Orientierungslosigkeit in der deutschen Außenpolitik.

Gerade mit Blick auf das Versprechen vieler Staaten, bis spätestens 2050 Klimaneutralität zu erreichen, wirkt der Streit um die Pipeline dabei immer befremdlicher. Anstatt sich auf die Fragen einer klimafreundlichen Wirtschaft und eine zukunftsfähige Energiegewinnung zu konzentrieren, verhakt man sich zusehends in einer Auseinandersetzung um die Energien der Vergangenheit. 

Gas taugt kaum als Brückentechnologie

Die Kritik an der energie- und klimapolitischen Sinnhaftigkeit der Pipeline nimmt derweil von Tag zu Tag zu und kommt nicht mehr nur aus der Umweltbewegung, sondern auch aus dem EU-Parlament und sogar aus Teilen der CDU.

Die Behauptung vom Gas als Brückentechnologie wird gerade vor dem Hintergrund des European Green Deal und des im letzten Dezember verabschiedeten neuen EU-Klimaziels für 2030 immer stärker infrage gestellt. Im Grunde ist Nord Stream 2 eine Wette gegen den Erfolg der europäischen Klimaschutzbemühungen.

Insbesondere gehen neben E3G auch viele andere Fachleute davon aus, dass keine neue Erdgas-Infrastruktur mehr geschaffen werden muss, sondern die bestehende vollkommen ausreicht. Die Entwicklungen auf den globalen Energiemärkten werfen ferner immer dringlicher die Frage auf, ob die Pipeline überhaupt wirtschaftlich zu betreiben wäre.

Auch aus geopolitischer Sicht kann der Fokus auf Erdgas zunehmend Deutschlands globalen Einfluss und Handlungsspielraum schwächen. Einige osteuropäische Staaten fühlen sich von Deutschland im Stich gelassen und verfolgen zunehmend ihre eigenen energieaußenpolitischen Ziele, was die Schlagkraft der EU global untergräbt.

Das gegenwärtige Gerangel um Nord Stream 2 und auch der Konflikt im östlichen Mittelmeer zeigen, dass der Status Quo der Energieaußenpolitik keineswegs nur Stabilität bringt. Als größter Importeur fossiler Brennstoffe hat die EU die Möglichkeit, mit den Exporteuern an einem stabilen und geordneten Ausstiegspfad zu arbeiten. Widersprüchliche Signale durch fossile Infrastrukturprojekte helfen hierbei nicht.

Zudem haben sich die EU-Außenminister erst vor Kurzem gegen die Förderung fossiler Infrastruktur ausgesprochen. Was allerdings noch fehlt, ist eine ehrliche Analyse, welche Art von Energieinfrastruktur die EU überhaupt noch braucht, wenn man die Ziele des European Green Deal wirklich ernst nimmt. Hier muss die EU ihre Hausaufgaben noch machen.

Trotz all dieser berechtigten Kritik an Nord Stream 2 ist aber auch klar, dass die Pipeline in erster Linie ein geostrategisches Projekt ist und eine Lösung vor allem mit den Mitteln der internationalen Politik gefunden werden muss. Deshalb sollte man sich zuerst auf ein Moratorium beim Bau der Pipeline einigen.

Stufenplan: Nach Moratorium sollte Deutschland Gipfel einberufen

Was aber folgt auf so ein Moratorium? In der derzeit enorm verfahrenen Lage erscheint als Teil eines Stufenplans ein Gipfel der zentralen Akteure realpolitisch betrachtet die beste Lösung zu sein. Deutschland, das sprichwörtlich zwischen allen Stühlen sitzt, sollte Russland, die USA, die Ukraine, die betroffenen osteuropäischen Staaten, die EU-Kommission, die beteiligten Unternehmen und die Zivilgesellschaft umgehend an einen Tisch bringen. Und wer hätte dafür die ausreichende Autorität, wenn nicht Bundeskanzlerin Angela Merkel? Sie muss Nord Stream 2 deshalb jetzt zur Chefinnensache machen und die Initiative ergreifen.

Die Argumente Pro und Contra Nord Stream 2 sind in den letzten Monaten hinreichend dargelegt worden. Jetzt ist die Zeit der Diplomatie gekommen. Solch ein Gipfel würde auch gut zu den Bemühungen der USA und der EU passen, die transatlantischen Beziehungen wieder auf ein solides Fundament zu stellen. Hier bieten sich mit der neuen US-Regierung auch in der Energie- und Klimapolitik zahlreiche Möglichkeiten der Kooperation gerade im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz – anstatt sich über eine Infrastruktur zu streiten, die besser früher als später der Vergangenheit angehören wird.

Auch die zunehmenden außenpolitischen Spannungen zwischen Russland und der EU, ausgelöst durch die Verhaftung von Alexei Nawalny, könnten so abgemildert werden. Wobei klar sein muss, dass Russland den Menschenrechtsaktivisten zuerst freilassen muss. 

Studie von internationalem Expertengremium

Parallel zum Gipfel sollte ein internationales Expertengremium damit beauftragt werden, die energie- und klimapolitischen Hintergründe der Pipeline in einer Studie zu beleuchten. Sie sollte auch Vorschläge entwickeln, wie vor dem Hintergrund der Debatte um Klimaneutralität, dem European Green Deal und dem neuen EU-Klimaziel eine sinnvolle Energieinfrastruktur in Zukunft aussehen könnte. Das könnte auch als Grundlage für einen „Vertrag zur Energiesicherheit in Europa“ unter Beteiligung der USA dienen, wie ihn der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen vorgeschlagen hat.

Die Zeit ist gekommen, dass sich alle Akteure zusammenraufen und an einen Tisch setzen. Andernfalls sollte man die Gefahr nicht unterschätzen, dass es der Bundesregierung gelingt, einen Deal mit der US-Regierung über höhere LNG-Lieferungen zu schmieden, während Gazprom Ende des Jahres mit dem Gastransport durch die Pipeline beginnt. Und das wäre nicht nur für den Klimaschutz die schlechteste aller Lösungen.

Brick Medak leitet das Berliner Büro des Thinktanks E3G, Felix Heilmann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei E3G.

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