Der Regierungswechsel in Polen bietet die Chance für einen Neustart der deutsch-polnischen Energiebeziehungen. Vor dem Krieg kollidierten die besonderen deutschen Gasbeziehungen zu Russland mit den strategischen Interessen seiner Nachbarn und erhöhten die Russlandabhängigkeit in der gesamten EU. Die teilweise erratischen deutschen Politikwechsel im Stromsektor waren ebenfalls nicht mit Polen abgestimmt. Sie stellten aber das polnische Stromsystem vor physische und kommerzielle Herausforderungen. Im Gegenzug schränkte Polen den physischen und kommerziellen Stromaustausch ein und verfolgte insgesamt eine recht autarke Energiepolitik.
Die deutsch-polnischen (Energie-)Beziehungen litten häufig darunter, dass insbesondere Polen davon ausgeht, dass Deutschland immer versucht, sein wirtschaftliches und politisches Gewicht einzusetzen, um seine eigenen strategischen Interessen in der Region und in der EU durchzudrücken. Entsprechende polnische Ängste vor einer deutschen Übervorteilung wurden stark politisiert und erschwerten sogar die Zusammenarbeit in eher technischen Fragen.
Dennoch ist es Deutschland und Polen gelungen, in bestimmten strategischen Energiefragen zusammenzuarbeiten. Nach der russischen Aggression einigten sie sich auf die Sanktionierung von Öllieferungen und ermöglichten zwei deutschen Raffinerien die Einfuhr von Rohöl über den Danziger Hafen. Die beiden Länder waren auch maßgeblich an der Synchronisierung des ukrainischen Stromnetzes mit dem kontinentaleuropäischen beteiligt.
Zusammen werden Polen und Deutschland viel besser in der Lage sein, sowohl die anstehende Energiewende zu meistern als auch den Wegfall Russlands als Hauptlieferant fossiler Brennstoffe zu bewältigen. Um große Vorteile aus der Zusammenarbeit zu ziehen, muss jedoch zunächst das Vertrauen wiederhergestellt werden.
Gemeinsam die Rolle russischer fossiler Brennstoffe minimieren
Deutschland und Polen können ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht nutzen, um die Rolle von russischem Öl, Gas und Kohle in der EU zu minimieren. Dazu müssen die bestehenden EU-Sanktionen gegen Kohle- und Ölimporte wirksam umgesetzt werden. Ein gemeinsames Projekt könnte darin bestehen, auf eine europäische Institution zur Überwachung legaler und illegaler Formen der Sanktionsumgehung zu drängen.
Noch wichtiger sind die Erdgasimporte. Der EU ist es nicht gelungen, Sanktionen gegen russisches Gas zu vereinbaren. Es ist ihr nicht einmal gelungen, Begrenzungen für den Weiterbezug russischen Gases festzulegen. Eine konzertierte Aktion unter Führung Warschaus und Berlins könnte erwirken, russisches Gas in die EU-Sanktionen einzubeziehen und somit dessen Einnahmen zu schmälern. Dabei könnte der politische Einfluss Deutschlands und Polens sowie die Fähigkeit beider Länder, Ungarn, die Slowakei und Österreich zu unterstützen, für eine europäische Einigung entscheidend sein.
Zusammenarbeit bei der Gasinfrastruktur
Die koordinierte Nutzung bestehender und die Entwicklung neuer Gasinfrastrukturen ist ein weiterer Bereich, in dem eine Zusammenarbeit fruchtbar wäre. Bestimmte deutsche und polnische Infrastrukturprojekte wie die Pläne für die neuen LNG-Terminals auf Rügen und in Danzig stehen teilweise in Konkurrenz zueinander. Aber kooperative Lösungen scheinen möglich. Gas aus Danzig könnte beispielsweise über die derzeit fast leere Jamal-Pipeline nach Deutschland geleitet werden. Allerdings wird von der deutschen Regierung zuvor eine klare Haltung zur Zukunft der Nord-Stream-Pipelines erwartet, einschließlich einer Garantie, dass diese nicht für den Import von Gas (oder Wasserstoff) aus Russland genutzt werden.
Gemeinsamer Schutz kritischer Infrastruktur
Schließlich haben beide Länder ein vitales Interesse daran, bei der Verbesserung der Sicherheit kritischer Infrastrukturen in der Ostsee (Gaspipelines, Kabel, Windparks) und der Sicherheit im Seeverkehr (einschließlich Öl- und Gastanker) zusammenzuarbeiten. Die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines und die Schäden am Balticconnector haben unsere Verletzlichkeit deutlich aufgezeigt.
Elektrizität und die Energiewende
Elektrizität wird zum wichtigsten Energieträger in Polen und Deutschland. Die Kosten für die sichere Versorgung der polnischen und deutschen Verbraucher mit Strom können erheblich gesenkt werden, wenn die Systeme gut zusammenarbeiten. Dies erfordert einen starken Ausbau der grenzüberschreitenden Übertragungskapazitäten. Dies reicht jedoch nicht aus, um alle Vorteile auszuschöpfen. Regulierungsbehörden, Übertragungsnetz- und Marktbetreiber müssen regional zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass, wenn in der Danziger Bucht der Wind weht, nicht die polnischen Windturbinen abgeregelt werden, sondern Elektrolyseure in Brandenburg voll laufen.
Darüber hinaus sollten Regierungen und Übertragungsnetzbetreiber ihre Pläne für neue Übertragungsleitungen und den Bau beziehungsweise die Inbetriebnahme von Kraftwerken koordinieren, um teure Überinvestitionen oder noch teurere Knappheiten in der Region, zu verhindern. Um politisch durchsetzbar zu sein, dürfen abgestimmte Planungsprozesse die nationale Souveränität über den jeweiligen Energiemix allerdings weiterhin nicht antasten.
Die wirksamste Maßnahme für eine effiziente Koordinierung der deutschen und polnischen Stromsysteme wären harmonisierte oder sogar gemeinsame Investitionsinstrumente. Dazu könnten gemeinsame Auktionen für Differenzverträge für erneuerbare Energien oder abgestimmte Kapazitätsmechanismen gehören. Derzeit werden solche nationalen Instrumente kaum grenzüberschreitend koordiniert, da die Länder um ihre Energiesouveränität fürchten oder sich sogar sorgen, für Kraftwerke in anderen Ländern zahlen zu müssen. Aber bilaterale und regionale europäische Fortschritte bei der Koordinierung sind denkbar - wenn sie für alle Seiten Vorteile bringen.
Abgestimmter Braunkohleausstieg
Deutschland und Polen stehen gemeinsam vor der Herausforderung, schnell aus der Braunkohle auszusteigen. Eine Abstimmung des Zeitplans wäre dabei sehr erstrebenswert. Wenn gemeinsam sichergestellt werden kann, dass in der Region jederzeit genügend gesicherte Leistung vorhanden ist und die sozialen Folgen in den jeweiligen Kohleregionen gut abgefedert werden, würde dies politische Dilemmata überwinden, und damit helfen den Ausstieg zügig zu absolvieren.
Gemeinsame Daten
Für eine bessere Koordinierung sind aktuelle Energiedaten sowie zuverlässige Prognosen und Szenarien von entscheidender Bedeutung. Polen und Deutschland können zusammenarbeiten, um eine Europäische Energiedatenagentur einzurichten, zumal sich polnische Experten kürzlich für die Einrichtung einer solchen nationalen Institution ausgesprochen haben.
Dialog über schwierige Fragen
Es gibt natürlich auch Themen, bei denen die strategischen Interessen von Polen und Deutschland divergieren. Um das Vertrauen, dass für die Behandlung solch strittiger Themen erforderlich ist wiederherzustellen, ist gute Zusammenarbeit bei den obigen, weniger kontroversen Themen sehr förderlich. Ein vertrauensvoller Dialog ist notwendig, um nationale Positionen zu verstehen, damit tragfähige Kompromisse gefunden werden können.
Ein solches strittiges Thema ist die Zukunft der Kernenergie in der EU. Polen und Deutschland unterscheiden sich in ihren Vorstellungen erheblich. Dialog, gerade über die grenzüberschreitenden Auswirkungen der nationalen Entscheidungen, ist entscheidend, um trotz der Differenzen effektiv zusammenarbeiten zu können. Hierbei wäre ein klares Bekenntnis Deutschlands, dass es die Umsetzung der polnischen Kernkraftwerksprojekte nicht absichtlich torpediert, für die gesamten Energiebeziehungen wichtig.
Ein weiteres potenziell schwieriges, aber wichtiges Thema ist die Frage des Wiederaufbaus und EU-Beitritts der Ukraine. Auch hier unterscheiden sich die Interessen beider Länder. Ein erster Schritt kann darin bestehen, gemeinsam Szenarien zu entwerfen, wie sich der Beitrittsprozess auf die regionalen Energiemärkte auswirken wird. Dies würde Raum für eine polnisch-deutsch-ukrainische Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen schaffen.
Ausgehend vom recht niedrigen Niveau der vergangenen Jahre haben die deutsch-polnischen Energiebeziehungen viel Potential. Und dieses Potential wird mit den gemeinsamen Herausforderungen der Zukunft eigentlich nur größer. Daher ist es an der Zeit, ausreichend Ressourcen und politisches Kapital in diese Beziehungen zu investieren.
Agata Loskot-Strachota ist Senior Fellow am Centre for Eastern Studies OSW in Warschau sowie Visiting Fellow am ökonomischen Thinktank Bruegel in Brüssel.
Georg Zachmann ist Senior Fellow bei Bruegel sowie am Helmholtz-Zentrum Berlin.