Seit einiger Zeit wird nicht nur auf EU-Ebene strittig diskutiert, wie dem drastischen Anstieg der Preise für Emissionsrechte (EUA) im EU-System handelbarer Emissionsrechte (EU-ETS) seit Anfang des Jahres von circa 30 Euro auf bis zu kurzzeitig über 90 Euro pro EUA Anfang Dezember entgegengewirkt werden kann. Ursache hierfür ist nicht eine fundamentale Änderung der Knappheitssituation der EUA sondern ein massiver Einstieg von internationalem Finanzspekulationskapital. Die Anzahl dieser Finanzmarktakteure soll sich laut einer Analyse des PIK seit 2018 verdreifacht haben.
Ich habe auf dieses grundsätzliche Problem bereits 2006 hingewiesen und als BVEK Vorschläge zu dessen Lösung gemacht. Leider sind sie seinerzeit vom Bundesumweltministerium (BMU) nicht aufgegriffen worden. Wie in den damaligen Diskussionen in der Arbeitsgruppe Emissionshandel des BMU deutlich wurde, ging es dem BMU vor allem darum, die Erlöse aus der Veräußerung der EUA möglichst zu maximieren, da diese zum größten Teil in den Haushalt des BMU zur Finanzierung diverser Fördervorhaben fließen. Auch von der EU-Kommission sind die BVEK-Vorschläge später nicht aufgegriffen worden. Doch zum Verständnis des dadurch entstandenen Problems sei zunächst die Hauptfunktion des EUA-Preises im EU-ETS erläutert.
Die Klimaschutzwirkung des EU-ETS wird nicht, wie oft unrichtig behauptet wird, durch den EUA-Preis bestimmt sondern durch die Gesamtmenge der EUA, die dem EU-ETS durch Beschlüsse von EU-Rat und EU-Parlament zugeteilt wird. Der EUA-Preis bestimmt etwas anderes, nämlich die volkswirtschaftlichen Kosten dieser Klimaschutzwirkung.
Handelbarkeit stellt kostengünstigste Einsparung sicher
Durch die Handelbarkeit der EUA soll erreicht werden, dass diese volkswirtschaftlichen Kosten und damit auch die unvermeidbaren Wohlstandsverluste und die damit verbundenen sozialen Belastungen minimiert werden. Der sich aus Angebot und Nachfrage ergebene Marktpreis soll idealerweise die ansonsten unbekannten Grenzvermeidungskosten der Emissionen im System aufdecken. Durch die EUA-Handelbarkeit wird nämlich ein Suchprozess nach den kostengünstigsten Optionen zur Emissionsvermeidung ausgelöst.
Jeder Betreiber einer dem EU-ETS unterliegenden Anlage wird aus wirtschaftlichem Eigeninteresse prüfen, welche Optionen zur Emissionsvermeidung er hat und welche spezifischen Kosten diese haben. Nur die mit niedrigeren Kosten als der EUA-Marktpreis wird er realisieren und die anderen solange nicht, wie diese über dem EUA-Marktpreis liegen. Er minimiert dadurch seine individuellen betrieblichen Kosten. Nur wenn alle ETS-Anlagenbetreiber sich so verhalten, werden auch die volkswirtschaftlichen Kosten minimiert.
Der EUA-Marktpreis entspricht aber nur dann tatsächlich den Grenzvermeidungskosten und kann als entsprechende Orientierung für die ETS-Anlagenbetreiber dienen, wenn er im Wesentlichen durch das Nachfrageverhalten eben dieser ETS-Anlagenbetreiber bestimmt wird. Wird er dagegen im Wesentlichen von anderen Marktteilnehmern bestimmt, hat er keinerlei Aussagekraft mehr hinsichtlich der Grenzvermeidungskosten und verliert damit seine Hauptfunktion im EU-ETS. Im Ergebnis sind die volkswirtschaftlichen Kosten und damit die Wohlstandsverluste und sozialen Belastungen höher als notwendig.
Diese unerwünschte Entwicklung ist nicht erst in 2021 eingetreten, wie bereits die starken Schwankungen des EUA-Preises um mehr als zehn Euro im Laufe eines Kalenderjahres auch schon in den letzten Jahren gezeigt haben. Aber in 2021 ist diese Entwicklung nun explodiert und für jedermann sichtbar geworden. Der EUA-Handel ist zu einer weiteren Spielwiese der internationalen Finanzspekulation entartet. Er gefährdet zudem die wirtschaftliche Existenz vieler ETS-Anlagen vor allem in den osteuropäischen Staaten.
Zur Beseitigung dieser bedrohlichen Lage muss die EU endlich handeln und unverzüglich die BVEK-Vorschläge von 2006 im Grundsatz aufgreifen:
Zur Abwehr der Finanzspekulation sollte die Teilnahme an den staatlichen Versteigerungen der EUA auf die Betreiber von EU-ETS Anlagen beschränkt werden, denn nur diese haben relevante Emissionsvermeidungskosten. Damit die ETS-Anlagenbetreiber nicht einfach von der Finanzspekulation eingespannt werden können, sollte ferner deren maximales jährliches Bieter- beziehungsweise Ersteigerungsvolumen begrenzt werden. Bereits 2008 habe ich einen ausformulierten Entwurf einer entsprechenden Rechtsverordnung dem BMU für die deutschen EUA-Versteigerungen in 2009 bis 2012 zukommen lassen.
Ein solches Verfahren hätte damals erstens die Anlagenbetreiber dazu angeregt (man könnte auch sagen „genötigt“), sich über ihre jeweiligen individuellen Kostenverläufe zur Emissionsvermeidung Klarheit zu verschaffen, da sie nur dann sinnvolle Angebote hätten abgeben können, und zweitens wären die Finanzspekulanten draußen geblieben. Leider wollte das BMU seinerzeit nicht in diese Richtung, sondern wählte ein Verfahren, was möglichst hohe Versteigerungserlöse zu generieren versprach und dadurch den Sonderhaushalt des BMU maximierte.
Änderung der EU-Versteigerungsordnung notwendig
Heute ist die Entwicklung weitergegangen und es müsste die EU-Versteigerungsverordnung geändert werden. Und natürlich können zwar die meisten, aber nicht alle Details der alten BVEK-Vorschläge übernommen werden. Insbesondere kann die Begrenzung des maximalen jährlichen Ersteigerungsvolumens jetzt in Abhängigkeit von den historischen Emissionen der ETS-Anlagenbetreiber erfolgen; das sind Daten die damals nicht so genau vorlagen.
Wenn das Ersteigerungsvolumen zum Beispiel auf circa 150 Prozent der durchschnittlichen Emissionen der drei oder fünf vorangegangenen Jahre begrenzt würde, bliebe den ETS-Anlagenbetreibern auch noch genügend Spielraum zur Absicherung zukünftiger Emissionen. Gleichzeitig wäre dies aber zu wenig Spielraum, um von Finanzspekulanten eingespannt werden zu können.
Durch die zwischenzeitliche Einführung des für alle am EU-ETS teilnehmenden Staaten geltenden und von der EU-Kommission betriebenen Unionsregisters wäre die technische Umsetzung heute deutlich vereinfacht. Man bräuchte lediglich den Zugang zu den staatlichen Versteigerungen über die ETS-Anlagenkonten im Unionsregister vorschreiben.
Da dort auch die verifizierten historischen Emissionen der jeweiligen ETS-Anlagen gespeichert sind, könnte das System automatisch die jährlichen maximalen Ersteigerungsvolumen berechnen und ausweisen. Davon könnte das System automatisch die erfolgreich ersteigerten EUA-Volumen abziehen und bei Erreichen des maximalen Ersteigerungsvolumens den weiteren Zugang zu den Versteigerungen für das jeweilige Jahr sperren. In gleicher Weise war im Unionsregister bereits der Umtausch von UNFCC-Emissionsgutschriften (CER und ERU) in EUA geregelt.
Würde die EU-Versteigerungsverordnung entsprechend geändert werden, würden die resultierenden Versteigerungspreise erstens im Wesentlichen wieder nur noch von dem Nachfrageverhalten der ETS-Anlagenbetreiber bestimmt werden und zweitens dadurch wieder die Grenzvermeidungskosten zur Orientierung der ETS-Anlagenbetreiber offenlegen.
Deutlich niedrigere Versteigerungspreise zu erwarten
Im Ergebnis dürften die Versteigerungspreise dadurch deutlich niedriger als der derzeitige Marktpreis sein. Kein ETS-Anlagenbetreiber würde dann am Sekundärmarkt für 60 oder 80 Euro pro Stück EUA kaufen, wenn er die zur Pflichterfüllung benötigten EUA vermutlich zu 20 bis 30 Euro bei den Auktionen erwerben kann. Die Finanzspekulation könnte zwar weiterhin theoretisch den Preis am Sekundärmarkt hoch- und runtertreiben, aber das hätte für das effiziente Funktionieren des EU-ETS keine Relevanz mehr. Wahrscheinlich würde der Finanzspekulation mangels Käufern schnell die Luft ausgehen und sie würden sich vom EUA-Markt wieder zurückziehen. Der EUA-Markt würde sich nicht mehr als weitere Spielwiese für sie eignen.
Zweckmäßig wäre es ferner, wenn nicht den Mitgliedstaaten EUA-Mengen zur eigenen Versteigerung zugewiesen würden, sondern die EU-Kommission alle EUA versteigern würde und lediglich die Erlöse vollständig auf die Mitgliedsstaaten entsprechend dem EUA-Zuweisungsschlüssel verteilen würde. Die Mitgliedstaaten sind ohnehin nicht wirklich an den EUA interessiert, sondern nur an den Erlösen aus deren Versteigerung. Da die EU-Kommission als Versteigerer dann nichts von den Erlösen abbekommen würde, hätte sie auch kein Eigeninteresse an hohen Erlösen und wäre frei für das von mir vorgeschlagene Verfahren mit möglichst geringen Erlösen.
Der Koalitionsvertrag sagt zu einer entsprechenden Reform nichts aus. Jetzt kann nur noch eine öffentliche Diskussion Druck auf die Ampel-Koalition ausüben, damit sie sich auf EU-Ebene für eine Änderung der EU-Versteigerungsverordnung einsetzt und so der EUA-Preisspekulation den Stecker zieht.
Jürgen Hacker ist Umweltökonom und war von
2005 bis 2011 sowie von 2014 bis 2019 Vorsitzender des Bundesverbandes Emissionshandel
und Klimaschutz (BVEK).