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Standpunkte Reformbedarf bei der Wälzung der Stromnetzkosten

Wolfgang Fritz (Geschäftsführer Consentec) ,  Andreas Jahn (Senior Associate, Regulatory Assistance Project)
Wolfgang Fritz (Geschäftsführer Consentec) , Andreas Jahn (Senior Associate, Regulatory Assistance Project) Foto: Consentec/RAP

Ein effizientes, dekarbonisiertes Stromsystem mit vielen flexiblen Nutzern benötigt zeitvariable Netzentgelte, die die Knappheiten der Infrastruktur reflektieren. Wolfgang Fritz, Geschäftsführer von Consentec, und Andreas Jahn vom Regulatory Assistance Project argumentieren, die heutige Methodik der Netzkostenwälzung könne dem nicht gerecht werden: Ihr Vorschlag: Die Wälzung zu einer expliziten Durchreichung von zeitvariablen Entgelten umbauen.

von Wolfgang Fritz, Andreas Jahn

veröffentlicht am 21.01.2025

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Die Netzentgelte für die Stromnetze werden so berechnet, dass Verbraucher nicht nur die Kosten der Netzebene, an die sie angeschlossen sind, anteilig tragen, sondern auch Kosten aller vorgelagerten Netzebenen bis hin zum Übertragungsnetz. Dies wird erreicht, indem die Netzbetreiber auch untereinander Netzentgelte zahlen und zwischen ihren eigenen Netzebenen inklusive Umspannebenen solche Zahlungen kalkulatorisch berücksichtigen.

So zahlen etwa Hochspannungsnetzbetreiber Entgelte an die Übertragungsnetzbetreiber. Auf diese Weise werden Kostenanteile von Netzebene zu Netzebene herabgewälzt. Bei der Debatte über Reformbedarf der Netzentgeltsystematik werden die Prinzipien dieser vertikalen Kostenwälzung oft nicht in Frage gestellt, obwohl sie weitreichende und vielfach kritisierte Auswirkungen haben und keinesfalls alternativlos sind.

Regionale Entgeltunterschiede

Während die Entgelte der Übertragungsnetzbetreiber seit Anfang 2023 bundesweit einheitlich sind, kalkulieren die circa 860 Verteilnetzbetreiber jeweils eigene Entgelte für ihre Netzgebiete. So ergeben sich erhebliche regionale Unterschiede, die für gleichartige Abnahmefälle oft bis zum Faktor 3 reichen, vereinzelt sogar darüber hinaus.

Dies führt nicht zu einer kostenreflektierenden Verteilung der Kosten auf die Verbraucher, wenn die Entgelte im Netz neben dem Windrad höher sind als im entfernten Lastzentrum. Da der historisch gewachsene Zuschnitt der Netzgebiete keine klaren strukturellen Prinzipien widerspiegelt, sollte er auch nicht für die Kostenallokation herangezogen werden, denn dies schafft keine sinnvollen Anreize für die Verbraucher.

Zu der Spreizung der Entgeltniveaus trägt auch die vertikale Kostenwälzung bei. Da sich die Ermittlung der herabgewälzten Kostenanteile nach den Jahreshöchstleistungen der von Netzebene zu Netzebene transportierten Energiemengen richtet, werden die Kosten vorgelagerter Netzebenen sehr ungleich verteilt.

So hat sich durch die Streichung eines ursprünglich für 2024 geplanten Bundeszuschusses zu den Übertragungsnetzkosten gezeigt, dass es inzwischen Netzgebiete gibt, in die aufgrund starker dezentraler Stromerzeugung kaum noch Anteile dieser Kosten herabgewälzt werden. Die Kostenwälzung führt somit zu fragwürdigen Effekten bei der regionalen Verteilung vorgelagerter Netzkosten, insbesondere für die stark wachsenden Übertragungsnetzkosten.

Ein anderer Treiber von Entgeltunterschieden ergibt sich aus dem Netzintegrationsaufwand für Erneuerbare-Energien-Anlagen (EE). In Netzgebieten mit hoher EE-Durchdringung führt die Einspeisung nicht mehr zur Entlastung der Netze, sondern macht einen Ausbau der Netzkapazität für die Rückspeisung erforderlich. Die hiermit verbundenen Mehrkosten sind regional sehr ungleich verteilt.

Die Bundesnetzagentur hat kürzlich einen Mechanismus eingeführt, der EE-bedingte Netzkosten teilweise über eine bundesweit einheitliche Umlage sozialisiert und diesem Effekt ab Anfang 2025 entgegenwirkt. Hiermit wird der reguläre Weg der vertikalen Kostenwälzung für diese Kostenanteile umgangen, was bereits als ein Zeichen dafür gewertet werden kann, dass die heutige Wälzungsmethodik zu teilweise nicht mehr vertretbaren Ergebnissen führt.

Zeitvariable Netzentgelte

Eine angesichts des zunehmenden Flexibilitätsbedarfs im Stromversorgungssystem relevante Weiterentwicklungsoption der Netzentgelte ist deren zeitvariable Gestaltung. Insbesondere die Arbeitspreise sind dazu geeignet, zeitlich differenzierte Anreize für die netzdienliche Nutzung von Flexibilität bei Verbrauchern und gegebenenfalls Speicherbetreibern zu vermitteln.

Die Bundesnetzagentur hat die Netzbetreiber mit ihren Festlegungen zu steuerbaren Verbrauchseinrichtungen nach § 14a EnWG dazu verpflichtet, diesen Verbrauchern ab 2025 zeitvariable Netzentgelte für die Niederspannungsebene als Wahloption anzubieten. Flexibilität kann aber auch von gewerblichen und industriellen Verbrauchern für das Netz bereitgestellt werden. Entsprechend wäre dies über zeitvariable Netzentgelte zu adressieren. Eine spezielle Form der Zeitabhängigkeit der Entgelte ist mit den Regelungen für die „atypische“ Netznutzung bereits seit Langem etabliert.

Die vertikale Kostenwälzung verhindert heute jedoch, dass Flexibilitätsanreize, die auf einer höheren Netzebene durch zeitvariable Netzentgelte geschaffen werden, auch Verbraucher in unterlagerten Netzebenen erreichen. Wenn zum Beispiel die Übertragungsnetzbetreiber zeitvariable Netzentgelte einführen würden, um Engpässen im Übertragungsnetz entgegenzuwirken, würden diese Flexibilitätsanreize nur die wenigen Großverbraucher erreichen, die direkt an das Übertragungsnetz angeschlossen sind. Konsequent wäre hingegen ein Flexibilitätsanreiz, der an alle Verbraucher in den jeweiligen nachgelagerten Netzebenen weitergereicht wird; dies erlaubt die heutige Entgeltsystematik aber nicht.

Eine mögliche Lösung hierfür wäre, die zeitvariablen Komponenten der Netzentgelte unverändert von Netzebene zu Netzebene abwärts weiterzureichen. Wenn für die unterlagerten Netzebenen ebenfalls zeitvariable Netzentgelte ermittelt werden, könnten diese mit den von oben weitergereichten Entgelten überlagert werden.

Eine solche Kaskade von zeitvariablen Entgelten könnte so ausgestaltet werden, dass ein möglichst großer Teil der Verbraucher darauf reagieren kann, zugleich aber die Betreiber der unterlagerten Netze bei Bedarf preislich gegensteuern können, um einer lokalen Überlastung ihrer Netze vorzubeugen. Dieser Ansatz wäre aber nicht damit kompatibel, dass Netzbetreiber ihre vorgelagerten Netzkosten wie heute als „dauerhaft nicht beeinflussbare Kosten“ ihren eigenen Kosten hinzurechnen.

Außerdem ist zu beachten, dass zeitvariable Netzentgelte nur dann eine effiziente Netznutzung anreizen können, wenn sie auch örtlich ausreichend differenziert sind. Es wäre eine Verschwendung wertvoller Flexibilität, eine Entlastung der Netze an Orten anzureizen, an denen auch perspektivisch keine Engpässe zu befürchten sind. Eine gezielte örtliche Differenzierung ist aber ebenfalls nicht mit dem heutigen Prinzip kompatibel, wonach jeder Netzbetreiber zwar eigene Entgelte kalkuliert, die aber in seinem gesamten Netzgebiet einheitlich sind.

Alternative Ansätze

Die heutigen Regelungen für die vertikale Kostenwälzung sind nicht alternativlos. Auch bei Beibehaltung der Wälzung von Netzebene zu Netzebene stellt sich die Frage, nach welchen Größen die Kosten jeweils den Letztverbrauchern und den unterlagerten Netzen zugeschlüsselt werden. Hier kommt heute das Modell der Gleichzeitigkeitsfunktion zum Tragen, mit dem auch die Entgeltkomponenten für die Letztverbraucher berechnet werden.

Dieses Modell beruht auf durchschnittlichen statischen Annahmen über das Verbrauchsverhalten und führt zu fragwürdigen Verteilungs- und Anreizwirkungen; es reizt etwa einen gleichmäßigen Strombezug an, unabhängig von Netzauslastung und Strompreisen. Es trägt auch maßgeblich zu dem von den Netzbetreibern als „Tarifanomalie“ bezeichneten Phänomen bei, dass immer häufiger – insbesondere bei starker dezentraler Einspeisung – die Netzentgelte für unterlagerte Netzebenen niedriger sind als für überlagerte Ebenen. Daher sollte dieses Modell grundsätzlich hinterfragt werden.

Auch der Grundsatz an sich, dass die gleichen Entgeltkomponenten für die Entgelte für Letztverbraucher und für die Kostenwälzung gelten, sollte in Frage gestellt werden. In anderen Ländern wie etwa Österreich wird für die Kostenwälzung ein eigenständiges Set von Schlüsselgrößen herangezogen. Diese Größen reflektieren nicht nur den Netto-Stromtransport zwischen den Netzebenen, sondern auch den Brutto-Stromverbrauch in nachgelagerten Ebenen, so dass die Kostenwälzung robuster gegenüber dem Umfang an dezentraler Einspeisung wird. Daneben wären auch Schlüsselungsgrößen denkbar, die anstelle von Energiemengen die bereitgestellte Netzkapazität abbilden und so zu einer weniger volatilen Kostenallokation beitragen.

In Bezug auf die örtliche Differenzierung der Netzentgelte wird schon seit Jahren diskutiert, ob eine Annäherung der Entgeltniveaus bis hin zu deren bundesweiter Vereinheitlichung nicht auch für die Verteilungsebenen sinnvoll wäre. Dies würde die durch vielfältige Ursachen getriebene Spreizung dämpfen oder sogar eliminieren. Durch Vereinheitlichung der Entgelte würde ein Ausgangspunkt geschaffen, von dem aus gezielt örtliche Anreize gesetzt werden können, die die tatsächliche Netzbelastung reflektieren.

Ziel einer Netzentgeltreform sollte sein, die Systematik insgesamt auf ihre Energiewendetauglichkeit hin zu untersuchen und ein ganzheitlich konsistentes Zielmodell zu schaffen. Dies ist nur möglich, wenn alle Eigenschaften des Modells – auch die Regelungen zur Kostenwälzung und zur Kalkulation von Entgeltkomponenten – in eine Reform einbezogen und nicht als unabänderliche Fixpunkte behandelt werden.

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