Standpunkte Standard-Messkonzepte als Treiber für Mieterstrom und Co

Mieterstrom gilt als komplex – nicht ganz zu Unrecht. Denn die Verteilnetzbetreiber verlangen oft maßgeschneiderte Messkonzepte für jeden Einzelfall. Mit bundesweit standardisierten Messkonzepten könnten nicht nur viel mehr Menschen schneller und einfacher von günstigen, lokal vorhandenen Erneuerbaren Energien profitieren, auch die Netzbetreiber würden entlastet.
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Jetzt kostenfrei testenMieterstrom-Modelle sind im Aufwind, werden aber gemessen am riesigen Potenzial weiterhin noch viel zu selten genutzt. Nachdem in den Jahren 2020 bis 2022 laut Marktstammdatenregister noch deutlich unter 1.000 solcher Anlagen pro Jahr ans Netz gingen, ist die Zahl seit der Energiepreiskrise, auch durch Vereinfachungen im Mieterstrom-Recht, immerhin auf ca. 1.700 bzw. 2.000 Solarprojekte auf Mehrfamilienhäusern gestiegen – wobei in den neueren Daten auch ein geringer Anteil an Volleinspeiseanlagen enthalten ist. Zum Vergleich: Das IW Köln schätzt, dass sich knapp 2 Millionen Gebäude in Deutschland für Mieterstromkonzepte eignen würden, je etwa die Hälfte bei Wohnungseigentümergemeinschaften und reinen Mietswohngebäuden. Auch ganz ohne Datenauswertung zeigt ein Blick über die Hausdächer unserer Städte: Solarnutzung in Mehrfamilienhäusern ist noch eine Seltenheit.
Dabei ist eine solche Direktversorgung mit Solarstrom vom eigenen Dach aus mehrfacher Hinsicht lohnenswert: Gerade Mieter:innen können damit auch von günstiger Vor-Ort-Sonnenenergie profitieren, die lokale Kongruenz von Verbrauch und Erzeugung bietet energiesystemische Vorteile und die Nutzung der vielen Dachflächen in unseren Städten bringt den Klimaschutz auf ohnehin bereits versiegelten Flächen voran. Warum wird trotz dieser Win-win-win-Situation also Mieterstrom noch so selten genutzt?
Messen als Messers Schneide für Mieterstrom
Eine große Hürde ist oftmals die Zuordnung der erzeugten Energiemengen und die Überschneidung mit dem momentanen Verbrauch bei den teilnehmenden Haushalten. Dabei sorgt nicht allein die Aufteilung des erzeugten Solarstroms für Herausforderungen, auch die Differenzierung von Mieterstrom-Parteien und eventuell von Drittlieferanten versorgten Parteien ist zu beachten. Früher waren dazu oft sogar kostspielige Hardware-Umbauten der Stromzähler-Infrastruktur in den Gebäuden notwendig, die inzwischen durch die Einführung des virtuellen Summenzählers in den meisten Fällen vermieden werden können. Gerade für Bestandsbauten ist entscheidend, dass nun die vorhandene Verkabelung genutzt werden kann und nicht die ganze Elektroinstallation des Gebäudes ausgetauscht werden muss, wie es bisher im Worst Case notwendig war. Gerade für die „nur“ berechnete Abgrenzung der verschiedenen Verbrauchsparteien wie im virtuellen Summenzähler braucht es aber neben den noch viel zu schleppend ausgerollten Smart Metern passende Messkonzepte, die bislang für jedes Gebäude individuell mit dem jeweiligen Netzbetreiber abgestimmt werden müssen. Insbesondere in Regionen, wo solche Projekte bisher noch selten vorkommen und/oder Netzbetreiber wenig Ressourcen haben, können solche Abstimmungsprozesse monatelang dauern und so Frust und Verzögerungen auf allen Seiten verursachen.
Innovation als Bremsklotz
Der Abstimmungsaufwand erhöht sich noch, wenn das lokale Versorgungskonzept zusätzliche Großverbraucher beinhaltet: wenn etwa mit dem Solarstrom noch eine Wärmepumpe im Gebäude betrieben, ein Speicher zur Erhöhung der Eigenverbrauchsquote beladen oder Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge mit gespeist werden soll. Diese zusätzlichen und von allen Gebäudeparteien genutzten Verbrauchsanlagen sorgen für zusätzliche Abgrenzungsposten. Dabei sind all diese Fälle keineswegs Neuland, sondern längst durchdacht und erprobt – nur noch nicht überall und in jedem Gebäude. Statt wie bisher jedes Projekt individuell abzustimmen, könnte mit stärkerer Standardisierung eine deutliche Arbeitserleichterung erreicht werden. Für Projektierer wie für die ohnehin stark belasteten Netzbetreiber.
Mit Standards zu mehr Vielfalt
Ein wichtiger Teil der Lösung für mehr Energiewende in unseren Städten: standardisierte Messkonzepte. Für Einfamilienhäuser längst weit verbreitet, sollte diese Vereinfachung nun auch für Mehrfamilienhäuser Einzug halten. Verschiedene häufige Anwendungsfälle – klassischer Mieterstrom, Mieterstrom mit Wärmepumpe, mit Ladeinfrastruktur und/oder mit Speichern – sollten vom Gesetzgeber definiert und von den Netzbetreibern ausbuchstabiert werden. Die Netzbetreiber dürfen hier, wahrscheinlich unter Koordinierung ihrer Dachverbände, sicher einen gewissen Freiraum zur eigenständigen Ausgestaltung bekommen. Damit diese Standards dann auch wirklich breit nutzbar sind, sollte die Bundesnetzagentur diese überprüfen und freigeben. Die vereinbarten Standards müssten dann auf den Seiten aller Verteilnetzbetreiber, eventuell auch gleich auf einem gemeinsamen Onlineportal, für konkrete Projekte angeboten werden. Bei der Beantragung bzw. Neukonzeptionierung des Netzanschlusses könnten Projektierer dann ganz einfach die jeweiligen Vorlagen auswählen und umsetzen, der Abstimmungsbedarf würde maximal minimiert und die Prozesse enorm entbürokratisiert. Lediglich in Einzelfällen für besonders spezielle Versorgungs- bzw. Messkonzepte müsste noch eine individuelle Absprache erfolgen, für die dann aber eben auch mehr Ressourcen vorhanden wären.
Eine zumindest in diese Richtung gehende Vorgabe war schon einmal mit dem neuen Paragrafen 20b in der ausführlichen EnWG-Novelle im Herbst 2024 angedacht. Die Verteilnetzbetreiber sollten damit angehalten werden, über eine gemeinsame, deutschlandweit einheitliche Internetplattform Informationen und Dienstleistungen anzubieten – wie etwa die Bestellung von Zählpunktanordnungen oder Verrechnungskonzepten. Die Bundesnetzagentur war in dem Entwurf bereits als konkretisierende wie überwachende Stelle benannt. In der nach dem Koalitionsbruch beschlossenen Variante, die gegenüber dem Entwurf deutlich abgespeckt wurde, waren diese Vorgaben dann leider nicht mehr enthalten. Dies sollte die neue Regierung nun dringend nachholen, schließlich will auch Schwarz-Rot gemäß dem eigenen Koalitionsvertrag Mieterstrom voranbringen. Standardisierte Messkonzepten sind ein probates Mittel, um unkompliziert der Energiewende in unseren Städten wie auch der Sektorenkopplung neuen Schub zu verleihen!
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