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Energie & Klima

Standpunkte Starker Zuspruch für die AfD – was tun?

Nils Meyer-Ohlendorf, Leiter des International and European Governance Program beim Ecologic Institut
Nils Meyer-Ohlendorf, Leiter des International and European Governance Program beim Ecologic Institut

Der „AfD keine Bühne geben“ ist eine weitverbreitete Überzeugung und Praxis. Sie hat die Erfolge der AfD nicht verhindert. Damit ist sie gescheitert. Was nun geschehen sollte, diskutiert Nils Meyer-Ohlendorf vom Ecologic Institut in seinem Standpunkt.

von Nils Meyer-Ohlendorf

veröffentlicht am 06.09.2024

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Die AfD hat die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen gewonnen. Auch bundesweit hat die Partei erheblichen Zuspruch, auch wenn sie nach letzten Umfragen an Zustimmung verloren hat. Für Klimaschutz ist der Erfolg der AfD offensichtlich ein Problem. Klimaschutz ist für die AfD bestenfalls überflüssig, eigentlich schädlich. Ihr Programm zur letzten Europawahl behauptet, dass die „jetzigen klimatischen Veränderungen sich vollkommen normal – auch in ihrer Geschwindigkeit – in den stetigen Wechsel des Klimas einordnen“. Das EU-Klimapaket Fit for 55 sei „eine aus der Hand der EU-Kommission in Verordnungen und Richtlinien gegossene Dystopie eines ökosozialistischen Brüsseler Haftungs- und Umverteilungsstaates.“

Bisher war sich die Klimabewegung in weiten Teilen einig, dass sie die direkte Auseinandersetzung mit der AfD meidet. Der AfD dürfe keine Bühne gegeben werden – so die allgemeine Überzeugung und die gelebte Praxis. Die Auseinandersetzung mit der AfD sei sinnlos. Die Partei leugnet den Klimawandel, also die Grundlage der Klimapolitik. Die Auseinandersetzung mit der AfD ist aber nicht nur sinnlose Zeitverschwendung, sondern trägt zur Normalisierung einer Partei bei, die völkisch denkt, Bevölkerungsgruppen diskriminiert und deren Menschenwürde missachtet. Die AfD ist als Ganzes ein Verdachtsfall für den Verfassungsschutz und in Teilen eine „gesichert extremistische Bestrebung“. Die Klimabewegung dürfe nicht helfen, eine solche Partei zu normalisieren.

Hat dieses Vorgehen Erfolg gehabt?

Einerseits ja. Es hat geholfen, die Klimabewegung gegenüber der AfD abzugrenzen. Sie hat die eigenen Reihen geschlossen und der eigenen Empörung ein bequemes Ventil verschafft. Ohne direkte Auseinandersetzung bleibt die eigene Weste oberflächlich weiß.

Ansonsten ist dieses Vorgehen gescheitert. Sehr viele Faktoren tragen zum Erfolg der AfD bei, aber eines kann festgehalten werden: Gesprächsverweigerung hat dem Zuspruch für die AfD nicht entgegengewirkt. Sie hat nicht verhindert, dass die AfD in Thüringen und Sachsen über 30 Prozent der Stimmen bekommen hat und dass sie für viele Menschen eine „normale Partei“ geworden ist. Dieses Vorgehen hat zudem zu einer Situation geführt, in der die Klimabewegung eine große politische Kraft nur aus Nachrichten, sozialen Medien und Parlamenten kennt. Ohne direkte Gespräche bleiben Details parteiinterner Diskussionen verborgen. Kontakte entstehen kaum. Einflussnahme ist eh sehr schwierig, aber ohne Kontakte und Detailkenntnisse ist sie unmöglich. Gerade in Ostdeutschland ist das ein Problem.

Gute Argumente sprechen sogar dafür, dass Gesprächsverweigerung der AfD eher hilft als schadet. In Deutschland gibt es ein weitverbreitetes Gefühl der Bevormundung und Nichtgehört-Werdens. Diskussionsverweigerung stärkt es. Mit ihrer Diskussionsverweigerung transportiert die Klimabewegung dieses Gefühl in die Klimapolitik und verstärkt es. Damit zahlt sie auch auf das Bild einer abgekapselten und realitätsfernen Elite ein. Sie stärkt das Gefühl, ausgegrenzt und unfair behandelt zu werden, also Opfer zu sein. Dies sind wichtigen Motive für die Unterstützung der AfD.

Diskussionsverweigerung trägt außerdem dazu bei, dass die AfD ihre Politik nicht erklären muss. Auch das hilft der AfD. Denn die vielen inhaltlichen Schwächen und Widersprüche ihrer Positionen – gerade in der Klimapolitik – bleiben so im Dunklen. Die Diskussion dringt nicht zu den praktisch wichtigen Details vor, wo die AfD schwach ist, sondern bleibt im Abstrakten, wo sie stark ist.

Diskussionsverweigerung trägt dazu bei, dass Politik in kleinen Parallelwelten und ohne Kenntnis des politischen Gegners diskutiert wird. Das führt zu mehr Polarisierungzum Vorteil der AfD. Für sie ist die polarisierte Debatte ein Heimspiel. Sie ist dann überzeugend, wenn sie in einer polarisierten Atmosphäre Gegensätze aufmachen und emotionalisieren kann.

Schließlich zahlt Diskussionsverweigerung auf das in Deutschland weitverbreitete Gefühl der Verunsicherung und Krise ein. Die Verweigerung von Diskussionen wirkt wie eine Art Notwehr, die durch einen vermeintlichen demokratischen Notstand gerechtfertigt scheint. Das führt zu weiterer Verunsicherung, obwohl diese Wahrnehmung nicht der Realität entspricht. Starker Zuspruch für die Positionen der AfD ist ein Problem für Demokratie, aber kein demokratischer Notstand.

Was muss geschehen?

Ein Weiter-So ist keine Option. Das Scheitern der alten Gesprächsverweigerungsstrategie ist offensichtlich. Es braucht neue Ansätze:

Erstens: Anstatt die direkte Auseinandersetzung zu verweigern, sollte sie aktiv gesucht werden – wie es sich die meisten Menschen wünschen. VertreterInnen der AfD sollten beispielsweise auf Veranstaltungen eingeladen werden. Sie sollten eine Bühne für die inhaltliche Debatte bekommen. Das zu organisieren, ist schwer. Auch bei der AfD gibt es kaum ein ernsthaftes Interesse an einer inhaltlichen Auseinandersetzung. Diskussionsverweigerung gibt es auch dort. Sie lädt vor allem die eigenen Leute ein und kritische Stimmen aus. Die große Rolle sozialer Medien erschwert die Organisation dieser Debatte zusätzlich.

Zweitens: Die Meinungsunterschiede zwischen Klimabewegung und AfD erscheinen unüberbrückbar – vor allem wenn die Debatte durch die Linse sozialer Medien, der Nachrichten und einer stark polarisierten Klimabewegung gesehen wird. Dabei wird vergessen, dass Menschen und Gesellschaften ihre Überzeugungen ändern, selten über Nacht, oft über längere Zeiträume. Außerdem: Wenn praktische Maßnahmen und die konkreten Folgen des Klimawandels in den Mittelpunkt der Debatte rücken, werden die Meinungsunterschiede kleiner und neue Anknüpfungspunkte entstehen.

Drittens: Die Auseinandersetzung darf nicht – wie so oft – pädagogisch sein. Sie muss echt sein, das heißt sie hört zu, wägt Argumente, ist ergebnisoffen und bereit, die eigene Position gegebenenfalls zu ändern.

Viertens: Die Auseinandersetzung sollte nicht dazu dienen, strategielos der eigenen Empörung freien Lauf zu lassen und auf Mobilisierung im eigenen Lager zu setzen. Es sollte ihr strategisches Ziel sein, Moderate von Extremisten zu trennen, Menschen mit anderen Ansichten zu überzeugen und neue Mehrheiten zu gewinnen. Hierfür sollte sie alltagstauglich, einladend und gelassen sein. Sie vermeidet Sprache, die nur das eigene Lager anspricht, andere Gruppen aber abschreckt. Die Protestaktionen der Letzten Generation sind in dieser Hinsicht kontraproduktiv, wie auch einige hysterische Züge der deutschen Debatte. Absurde historische Vergleiche zwischen Deutschland 1933 und 2024 kosten wertvolle Glaubwürdigkeit. Sie polarisieren und schwächen Demokratie.

Fünftens: Die deutsche Debatte sollte von den europäischen Nachbarn lernen. Dort waren oder sind rechtsextreme Parteien in der Regierung – teilweise seit vielen Jahren. Es gibt bei den Nachbarn also wertvolle Erfahrungen, was geschehen muss, damit Klimapolitik auch bei rechten Mehrheiten nicht zum Stillstand kommt und Demokratie keinen Schaden nimmt. Dort gibt es nützliches Wissen, wie Umweltverbände den Dialog mit rechten Regierungen führen können.

Kurzum: Es geht darum, die politische Debatte zu normalisieren, nicht undemokratische Positionen. Das geht nur mit mehr Dialog, nicht mit weniger.

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