Polarisierung gehört zur Demokratie. Sie macht Positionen sichtbar. Sie ist das Salz in der Suppe. Aber zu viel Polarisierung ist ein Problem. Die Kompromissfindung wird schwieriger, der politische Diskurs vergiftet. Extreme Polarisierung macht aus politischen Gegnern Feinde.
In den letzten Monaten hat die Polarisierung in der deutschen Klimadebatte stark zugenommen. Das liegt zu einem daran, dass mit der sich beschleunigenden Klimakrise drastische Emissionsreduktionen nötig werden und damit einschneidendere Maßnahmen. Zum anderen waren Energiekosten und Inflation im letzten Jahr auf Rekordniveau. Hohe Energiekosten sind für viele Menschen ein großes Problem – jede weitere tatsächliche oder vermeintliche Erhöhung stößt auf harten Widerstand.
Der Heizungsstreit der letzten Monate hat die Polarisierungsspirale weiter beschleunigt. Kritik der Opposition an der Arbeit der Regierung ist ein zentraler Bestandteil von Demokratie. Kritik kann auch schrill und kampagnenhaft sein, aber einige Beiträge hatten wenig mit konstruktiver Oppositionsarbeit zu tun. Vokabeln wie „Energie-Stasi“ sind Beispiele extremer Polarisierung. Auch die Rede des bayerischen Wirtschaftsministers auf der Heizungsdemonstration in Erding ist völlig aus dem Ruder gelaufen.
Die Debatte schaukelt sich auf – der Klimaschutz verliert
Auch die Protestaktionen der Letzten Generation haben zur Polarisierung beigetragen. Sie regen auf und machen eine große Welle in allen Medien. Mit ihrer Sprache und ihren Ausdrucksformen lassen die Aktivisten Klimapolitik als ein Projekt einer radikalen Minderheit erscheinen. Klimapolitik mutet dann wie ein Teil linker Identitätspolitik an. Die Proteste zeichnen das Bild eines vermeintlichen Gegensatzes zwischen Klimaschutzagenda und arbeitender Normalbevölkerung.
Viele Reaktionen auf die Letzte Generation haben die Polarisierung weiter hochgeschaukelt. Sie suggerieren beispielsweise, dass die Proteste den Autoverkehr in Deutschland kollabieren lassen – obwohl sie nur einen verschwindend geringen Teil der Staus auf deutschen Straßen verursachen. Man könnte auch glauben, dass Proteste noch nie Straßen in Deutschland blockiert hätten – obwohl Bauern und LKW-Fahrer es vorgemacht haben. So entsteht der Eindruck, dass eine kriminelle Bande ihr Unwesen auf deutschen Straßen treibt – obwohl viele Aktionen der Letzten Generationen nicht strafbar sind. Die kühle Einordnung der Letzten Generation als „harmlose Sandkastenspiele“ von Andreas Voßkuhle, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, ist eine seltene Ausnahme in der aufgeladenen Debatte.
Die Verliererin dieser Polarisierung steht fest: die Klimapolitik. Im Zentrum der Debatte steht nicht mehr der notwendige Streit über den besten Weg zu Klimaneutralität, sondern in mehr oder weniger unverhohlener Form die grundsätzliche Sinnhaftigkeit von Klimapolitik. In der polarisierten Debatte reicht es, dagegen zu sein. Alternativvorschläge für gleichwertigen Klimaschutz sind unwichtig. Es entsteht ein neuer Raum für grundsätzliche Vorbehalte gegen Klimaschutz. Die AfD ist in den Umfragen wieder auf ihren Höchstwerten von 2018 –auch, weil sie Klimaschutz grundsätzlich ablehnt.
Vorsicht mit dem Populismusvorwurf
Doch nur nach rechts zu zeigen, reicht nicht. Obwohl Klimaschutz die Verliererin der polarisierten Debatte ist, wirken auch einige Klassiker des klimapolitischen Diskurses polarisierend. Sie betonen Gegensätze und verstellen die Sachdebatte. Damit erschweren sie, Klimaschutz als das zu begreifen, was er sein muss: ein gesamtgesellschaftliches Großprojekt.
Der Populismusvorwurf ist einer der stärksten Polarisierungsbeschleuniger. Es ist der eigentliche Zweck des Populismusvorwurfs, den politischen Gegner zu diskreditieren. Der Vorwurf soll Gegensätze aufmachen – zwischen einem vernünftigen und aufgeklärten Teil der Gesellschaft und einem frustrierten und emotionalisierten Teil. Die „Achse von Populismus und Anti-Populismus“ ist eine der großen Trennlinien in westlichen Demokratien. Trotz seiner polarisierenden Wirkung bedienen sich auch Klimaschützer häufig des Populismusvorwurfs.
Hinzukommt, dass zentrale Begriffe der klimapolitischen Debatte an sich polarisierend wirken. „Klimaleugner“ ist ein Beispiel. Anstatt ein Heimspiel zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimaschutzes zu spielen, bekommt die Debatte mit dem scharfen Begriff „Leugner“ einen religiösen Unterton. Klimagerechtigkeit oder climate justice – andere Klassiker des klimapolitischen Diskurses – sprechen linke Überzeugungen an und schrecken andere ab. Atmosphärischer Kolonialismus ist ein anderes Beispiel für politisch aufgeladene Sprache.
Sehr viel muss sich ändern, aber nicht alles
Der Begriff Große Transformation – ebenfalls ein häufig verwendeter Ausdruck – baut keine Brücken. Er ist dunkel und unklar. Er suggeriert, dass Klimapolitik keinen Stein auf dem anderen lässt. Klimaschutz krempelt alles um: Lebensstile, Gesellschaft, politisches System und Wirtschaftsordnung. Es liegt auf der Hand, dass Klimaschutz tiefgreifende Änderungen verlangt, aber diese umfassen nicht alles. Weder das politische System Deutschlands noch die Grundlagen seiner Wirtschaftsordnung müssen für die erforderlichen Emissionsreduktionen „transformiert“ werden.
Polarisierend wirkt es außerdem, wenn in der klimapolitischen Debatte Naturwissenschaft und politische Überzeugungen vermengt werden, wie etwa bei dem Vorschlag, die planetarischen Grenzen – ein naturwissenschaftliches Konzept – durch Gerechtigkeitsüberlegungen zu ergänzen.
Mit der Gegenseite im Gespräch bleiben
Bisher war es eine Stärke der deutschen Klimapolitik, dass sie nur in geringem Maße polarisiert war. Anders als etwa in den USA ist Klimapolitik in Deutschland kaum Teil von politischer Identität. Aber nun besteht die Gefahr, dass sich dies ändert. Klimapolitik könnte stärker politische Identität definieren. Dies wäre ein großes Problem. Denn damit werden Auseinandersetzungen um klimapolitische Maßnahmen grundsätzlicher und Kompromisse schwieriger. Diskussionen um Klimaschutzmaßnahmen werden zu Stellvertreterauseinandersetzungen.
Es ist kaum vorstellbar, dass ohne einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu den Eckpunkten der Klimapolitik die drastischen Emissionsreduktionen erreicht werden. Dieser Konsens muss breit sein, umfasst aber nicht Frontalopposition à la AfD. Er muss immer wieder erneuert und erarbeitet werden. Dafür bedarf es einer offenen und selbstbewussten Debatte – gerade mit der Gegenseite. Diese sollte möglichst konkret und anschaulich sein. Abstrakte und politisch aufgeladene Begriffe gehören nicht in diese Debatte – idealerweise.