Die europäischen Volkswirtschaften sind mit der Coronakrise in den Notbetrieb gegangen. Oktoberfest, Festivals, Messen oder die Europameisterschaft – abgesagt und verschoben. Sofortmaßnahmen retten Existenzen, und mit einer eisernen Disziplin meistern wir die Krise. Doch das nächste Kapitel zum Wiederaufbau der Wirtschaft – der Recovery Plan der EU – muss jetzt geschrieben werden.
Klar ist, wir brauchen kein Strohfeuer wie Abwrackprämien für Autos oder Bailouts für Unternehmen, die ihre Profite in Steuersümpfen verstecken. Wir müssen clever und zielstrebig investieren. In die Solar- und Windbranche, Batterietechnologien, klimaneutralen Stahl, die thermische Gebäudesanierung und eine Kreislaufwirtschaft, die einen Schlussstrich unter den Wegwerf-Wahnsinn macht. Unsere Mission-Konjunktur ist die Mission-Klimaschutz und nicht kurzsichtiger Konsum und Wachstum auf Teufel komm raus.
Konkret bedeutet das:
1. Vier Millionen Hände für 70 Millionen Häuser
Ölkessel, undichte Fenster, kaum isolierte Dächer: Insgesamt entfallen auf Gebäude in der Europäischen Union 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen. Kein Wunder. Nur drei Prozent der Gebäude in der EU sind klimafreundlich und nach neuesten Effizienzrichtlinien saniert. Um die Klimakrise abzuwenden, können wir eine gigantische Rennovierungswelle anstoßen, die über zwei Millionen Arbeitsplätze schaffen kann. In ganz Europa müssen in den nächsten zehn Jahren mindestens 70 Millionen Wohnungen saniert und mit erneuerbaren Energien versorgt werden.
Auf Deutschland entfallen davon 1,2 Millionen Wohnungen. Schon heute arbeiten alleine in Deutschland 900.000 Menschen in diesem Bereich. Einem traditionsreichen Bereich, der jetzt eine klare Unterstützung braucht und so gleichzeitig den Kampf gegen die Klimakrise anpackt. Hier muss das Konjunkturprogramm ansetzen und mit öffentliche Mittel im Umfang von mindestens sieben Milliarden Euro denen helfen, die es nach der Krise aus eigenen Mitteln nicht können und Planung und Investitionen in gesundes und klimafreundliches Wohnen ermöglichen. So starten wir eine Rennovierungswelle, schützen das Klima und Mieter und schaffen Jobs.
2. Ein Boost für die europäische Industrie
Klimaneutraler Stahl, grüner Wasserstoff, Solar-, Wind-, Wärmepumpen- Industrie. Die Bausteine sind durch Forschungsprojekte und Geldtöpfe auf dem Tisch und jetzt braucht es gemeinsame europäische Projekte und Koordinierung, die die Industrie in Europa hält und neu verwurzelt. Nur um ein Beispiel zu geben, welche Menge an Jobs das schaffen kann: 330.000 Menschen in Deutschland arbeiten bereits im erneuerbaren Energiesektor. Im Strombereich knackten die Erneuerbaren im ersten Quartal 2020 deutlich die 50-Prozent-Marke, auch wenn der Anteil am Gesamtenergieverbrauch noch bei unter 18 Prozent liegt. Ein Jobboom steht uns also bevor.
Anders gesagt: 82 Prozent liegen noch vor uns und damit eine Menge Chancen für Umwelt und Wirtschaft. Die neue Industrierevolution der Dekarbonisierung durch CO2 -freien Stahl und grünen Wasserstoff ist ein milliardenschweres Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse. Die Stahlindustrie rechnet mit 20 Milliarden Euro pro Jahr an Umstiegskosten. Mit den Important Projects of Common European Interest (IPCEI) haben wir das Werkzeug dazu in der Hand und können Unternehmen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit unterstützen zu investieren und Pilotprojekte zur Serienfertigung zu bringen. Der Vorteil: staatliche Beihilfen sind erlaubt – auch mit Konjunkturpaketen, die eine klare Ausrichtung auf die Dekarbonisierung der Industrie brauchen.
3. Die Wirtschaft zum rotieren bringen, Kreislaufwirtschaft fördern
Smartphone kaputt, Akku lädt nicht mehr, ab auf den Müll und direkt ein Neues bestellen. Was den Geldbeutel vieler europäischen BürgerInnen Jahr für Jahr erleichtert, soll mit einem Recht auf Reparatur vermieden werden. Das spart Geld, schont die Umwelt und lässt den sogenannten Müll zu einer begehrten Ressource werden. Die Idee dahinter ist, das jedes Produkt nachhaltig wird und wieder in den Kreislauf zurückgeführt wird. Verpackungen, Kunststoff, Batterien, Fahrzeuge, Textilien, Wasser, Nährstoffe – einfach alles, was wir jeden Tag konsumieren und verbrauchen.
Hebel dafür ist eine Stärkung der VerbraucherInnen mit dem schon genannten Recht auf Reparatur, aber auch der Ökologisierung der öffentlichen Beschaffung als Anschub für eine klimafreundliche Industrie. Die öffentliche Hand kauft jährlich Waren und Dienstleistungen von über 2400 Milliarden Euro – das muss nachhaltig sein und kann den Grundstein für die Kreislaufwirtschaft legen.
4. Konjunktur für den Klimaschutz mit einheitlichen Regeln für die staatlichen Beihilfen
Jedes Mitgliedsland in der EU schnürt momentan sein ganz eigenes Konjunkturprogramm. Den Menschen muss schnell und unbürokratisch geholfen werden. Damit aber nicht fossile Dinosaurier ihre Gewinnbilanzen vergoldet bekommen, muss hier durch einheitliche Regeln im EU-System folgendes garantiert werden: Wenn es staatliche Beihilfen im Zuge von Konjunkturprogrammen gibt, müssen diese die Ziele des Green Deal widerspiegeln. Konkret bedeutet das: Die Mittel können nur fließen, wenn das Konjunkturprogramm im Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens steht. Kontrolliert wird das mit dem zeitlichen Vorziehen des EU-weiten Klassifikationssystem – auch Taxonomie genannt – für nachhaltige Investitionen und einem unabhängigen Investitionsrat, der das überprüft. Anders gesagt: Wenn es staatliche Beihilfen gibt, wirft am Ende jemand prüfend den Blick darauf, wie klimafreundlich diese Investitionen sind. Sind sie es nicht, werden die Gelder nicht freigegeben.
Vier Maßnahmen, gebündelt in einem europäischen Green New Deal, der jetzt und in Zukunft Millionen Jobs schafft, sichert und die Klimakrise eindämmt. Packen wir es an.