Mit der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers am 16.12. öffnet sich kurz ein Gelegenheitsfenster für eine Reform der Schuldenbremse. Wenn SPD, CDU/CSU und Grüne diese Chance jetzt ergreifen, leisten sie damit einen großen Beitrag dazu, Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der Politik wiederherzustellen und die politischen Ränder erheblich zu schwächen. Denn das Gefühl vieler Menschen, dass Deutschland nicht mehr funktioniert, hat viel mit kaputten Brücken, maroden Schulgebäuden und unpünktlichen Zügen zu tun – sprich: fehlenden Infrastrukturinvestitionen.
Man könnte es „das Schuldenbremsenparadox” nennen: Wenn die Parteien der demokratischen Mitte jetzt die Kraft aufbringen, mit ihrer aktuellen Zweidrittelmehrheit in Bundesrat und Bundestag die Schuldenbremse im Grundgesetz zu reformieren, verbessert dies ihre Chancen enorm, diese Zweidrittelmehrheit zu behalten. Verschieben sie dagegen die Reform auf die nächste Legislatur, dann könnte sie am Widerstand von AfD, BSW und FDP scheitern - je Partei aus sehr unterschiedlichen Gründen. Betrachtet man die letzten Ergebnisse zur Sonntagsfrage von acht Umfrageinstituten (Quelle: wahlrecht.de) ergibt sich in vier von acht Fällen eine Sitzverteilung, bei der Union, SPD und Grüne keine Zwei-Drittel-Mehrheit für die nötige Grundgesetzänderung mehr hätten.
Chance für die Kommunen nutzen
Das befürchtet Robert Habeck bereits für das von ihm geplante Sondervermögen für die Bundeswehr und fordert daher die Union auf, diesem noch vor den Neuwahlen zuzustimmen. Die gleiche Logik gilt auch für weitere Investitionen in Klimaschutz und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Die Frage, die sich jetzt stellt, lautet: Haben wir den Mut, unsere Zukunft aktiv zu gestalten, oder riskieren wir, von den Ereignissen überrollt zu werden?
Wie aber sollte die Reform gestaltet werden? Sie muss auf jeden Fall auch dazu beitragen, den Investitionsstau in den Kommunen zu beseitigen. Denn aus der Praxis wissen wir, dass die kommunale Klimaschutzpolitik sehr häufig an fehlenden Investitionsmitteln scheitert. Konkret schlagen wir vor:
- Schuldenbremse für Zukunftsinvestitionen weiterentwickeln: Die Schuldenbremse muss so reformiert werden, dass sie Raum für zukunftsorientierte Investitionen in Infrastruktur, Wirtschaft und Lebensgrundlagen schafft. Entscheidend ist, dass der Investitionsbegriff dabei nicht auf klassische Sachinvestitionen beschränkt bleibt, sondern die Mittel gezielt für die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen aus Artikel 20a Grundgesetz (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) eingesetzt werden, um sowohl den ökonomischen als auch den ökologischen Fortschritt nachhaltig zu sichern.
- Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe im Grundgesetz verankern: Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe muss in Artikel 91a Grundgesetz per Schaffung eines Finanzierungsmechanismus eingeführt werden. Das würde dazu dienen, kommunale Investitionsfähigkeit zur Erfüllung der Verpflichtung aus Artikel 20a Grundgesetz herzustellen – zum Beispiel für die Sanierung öffentlicher Gebäude, den Aufbau klimaneutraler Wärmenetze und die Stärkung flächendeckender Mobilität.
- Ausnahmetatbestand für den Erhalt der Lebensgrundlage künftiger Generationen einführen: In Artikel 109 und Artikel 115 Grundgesetz muss klargestellt werden, dass die Klimakatastrophe eine Naturkatastrophe im Sinne dieser Regelung ist. Damit wird der Handlungsspielraum des Bundes zur Bekämpfung der Klimakatastrophe erweitert und den Ländern eine Auslegungshilfe an die Hand gegeben.
Wir können es uns nicht leisten, die bereits überfälligen Investitionen weiter zu vertagen oder gar nicht zu tätigen. Die Modernisierung maroder Schulen, die Stärkung der Wirtschaft und der Aufbau eines effizienten Energiesystems sind unerlässlich, um das tägliche Leben zu erleichtern und die Versorgungssicherheit zu erhöhen.
Klimaschutz ins Grundgesetz
Der Thinktank Dezernat Zukunft hat umfangreich analysiert, welche Investitionsbedarfe in den nächsten fünf Jahren prioritär sind. Neben Bildung ist die Dekarbonisierung ein zentrales Handlungsfeld. Mindestens 85,1 Milliarden Euro pro Jahr, das entspricht circa zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes, sind notwendig, um eine umfassende Transformation auf Bundesebene zu finanzieren. Weitere Akteure wie der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Agora-Thinktanks und das Institut der deutschen Wirtschaft zeigen ebenfalls umfangreiche Investitionsbedarfe in die öffentliche Infrastruktur und für die Dekarbonisierung der Wirtschaft auf.
Mit diesem Betrag allein ist es jedoch nicht getan. Weil nur eine klimaneutrale Zukunft eine sichere Zukunft ist, müssen auch die Kommunen befähigt werden, ihren Teil dazu beizutragen. Mehr als ein Drittel der deutschen Treibhausgasemissionen muss auf kommunaler Ebene adressiert werden, wo mit mindestens 6,3 Milliarden Euro pro Jahr (plus ÖPNV) derzeit nicht nur die notwendigen Finanzmittel für Sanierung, Fernwärme und natürlichen Klimaschutz fehlen. Es fehlt auch die gesetzliche Grundlage, um eine ausreichende Finanzierung zu ermöglichen. Dies kann mit der Verankerung von Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe im Grundgesetz behoben werden.
Michael Schäfer ist einer von zwei Geschäftsführern der Klimaschutzorganisation GermanZero e. V.. Zuvor war er in leitenden Positionen beim Naturschutzbund Deutschland, beim WWF Deutschland und bei Agora Energiewende tätig.