Standpunkte Warum lokale Strommarktplätze die bessere Alternative zur Zonenaufteilung sind

Schwarz-Rot will auch künftig die einheitliche Gebotszone erhalten. Dabei wären lokale Strommarktplätze in der Lage, die Systemstabilität zu erhöhen, Kosten zu senken und Netzengpässe zu verringern, argumentieren Karsten Neuhoff vom DIW und Klaus Mindrup von Energiedialog 2050. Bei einem einmaligen Wechsel zu Marktplätzen ließen sich Investitionsrisiken durch Absicherung einfacher reduzieren als bei immer wieder nötigen Reformen der Preiszone.
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Jetzt kostenfrei testenDie Energiewende bringt nicht nur neue Technologien und Erzeugungsformen, sondern stellt auch das Design unseres Strommarkts vor grundlegende Herausforderungen. Derzeit basiert der deutsche Strommarkt auf einer Einheitspreiszone. Diese geht von der Fiktion aus, als gäbe es unbegrenzt verfügbare Netzkapazitäten überall im Land.
Doch die Realität sieht anders aus: Netzengpässe verursachen jährlich Milliardenkosten, Flexibilitätsoptionen bleiben ungenutzt und der Markt reagiert kaum auf regionale Knappheiten. Statt kleinteiliger Zonenaufteilungen braucht es einen Wechsel hin zu vernetzten lokalen Marktplätzen, die Preis, Netz und Flexibilität endlich zusammen denken.
Die Politik hat den Handlungsbedarf noch nicht erkannt. Hatten sich die Fachverhandler:innen der SPD auf Ebene der Arbeitsgruppen noch offen dafür gezeigt, die Gebotszonenkonfiguration unter Effizienzgesichtspunkten zu prüfen, hat sich schließlich die Union durchgesetzt. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, sich gemeinsam für den Erhalt der einheitlichen Gebotszone einzusetzen.
Das Konzept der Einheitspreiszone verhindert aber die effiziente Nutzung von Speichern und anderen Flexibilitätsoptionen – gerade diese sind aber entscheidend, um Energie aus Wind und Sonne dann nutzen zu können, wenn sie gebraucht wird. Daher sind Europa und Deutschland auf unnötig viel Flexibilität aus Gaskraftwerken und auf den Import großer Mengen von teurem Erdgas angewiesen. Eine breit aufgestellte Expert:innengruppe hat deswegen eine dringende Reform des Strommarkts zur Umsetzung von lokalen Marktpreisen gefordert.
Es werden allerdings auch zwei starke Bedenken formuliert: Erstens, was wird aus der Liquidität und dem Wettbewerb am Strommarkt und, zweitens, führen lokale Preisunterschiede nicht zu Risiken für Investitionen und für Industriestandorte?
Wie wirken lokale Marktpreise auf Liquidität und Wettbewerb?
In der Fachwelt wird meist darüber diskutiert, die große deutsche Einheitspreiszone in kleinere Zonen aufzuteilen. Und auch die Übertragungsnetzbetreiber analysieren unterschiedliche Gebotszonenkonfigurationen in ihrem Ende des Monats erscheinenden Bidding-Zone-Review. Dabei würden kleinere Preiszonen zwar regionale Netzengpässe sichtbar machen, gleichzeitig aber Liquidität und Wettbewerb einschränken – insbesondere im kurzfristigen Intraday-Handel. Deswegen müssten die neuen Zonen eher groß bleiben. Damit würden jedoch auch Engpässe innerhalb der Zonen und so auch der Redispatch-Bedarf erhalten bleiben.
Deswegen müsste weiterhin der Intraday Handel mindestens fünf Minuten vor der Echtzeit beendet werden. Danach fordern Netzbetreiber die Marktteilnehmer auf, ihre Erzeugung gegenüber dem Marktergebnis anzupassen, um eine Überlastung des Netzes zu verhindern (Redispatch) und bezahlen sie für die Anpassung. Es gäbe also weiterhin getrennte Märkte und administrative Vorgaben für Energie, Regelenergie und Redispatch-Maßnahmen. Genau diese Marktsegmentierung würde allerdings Liquidität und Wettbewerbsintensität weiter schwächen.
Wieso stärken lokale Strommarktplätze Liquidität und Wettbewerb?
Ein alternativer, systemdienlicherer Ansatz ist die Einführung lokaler Marktplätze und damit eine Anpassung des Konzeptes von Knotenpreisen auf die Bedürfnisse von aktiven Stromkund:innen. Großhandelspreise werden dabei für kleinteiligere Regionen definiert, zum Beispiel große Städte oder Gruppen von Landkreisen. Diese Marktplätze würden ausreichend „klein“ sein, um interne Engpässe im Übertragungsnetz und so Redispatch-Bedarf zu vermeiden. Damit entfällt der Bedarf, den Intraday-Handel vor Echtzeit zu beenden.
Energie könnte dann auf lokalen Marktplätzen bis in Echtzeit gehandelt werden. Da das Preissignal immer den Wert von Strom an einem Ort abbildet, tragen Marktteilnehmer, die auf den lokalen Echtzeitpreis durch Nutzung von Flexibilitätsoptionen reagieren, zur Systemstabilität und zur Vermeidung von Netzengpässen bei. Dabei können Nachfrage und Erzeugungsanlagen, deren Kapazität nur einen kleinen Teil der regionalen Nachfrage oder Produktion darstellt, direkt auf das Echtzeitsignal reagieren, ohne dafür neue Fahrpläne etc. anzukündigen. Das erleichtert die Flexibilisierung der Nachfrage.
Da bei der Preisbildung für lokale Marktplätze Energie und Übertragungsnetzkapazität gleichzeitig berücksichtigt werden, stehen lokale Angebote und Nachfrage immer im Wettbewerb mit Angeboten an allen anderen Orten. Die vorhandene Netzkapazität wird dabei automatisch im Auktionsmechanismus jeweils systemorientiert vergeben. Das maximiert die Marktliquidität und den Wettbewerb.
Die Ausführung zeigt: Lokale Marktplätze beziehungsweise nodale Preise sind nicht einfach nur besonders kleine Zonen (wie oft behauptet wird). Während Liquidität und Wettbewerb bei kleineren Zonen fallen, werden sie durch die Einführung lokaler Marktplätze maximiert.
Investitionsrisiko durch lokale Preisunterschiede?
Die Absicherung von lokalen Marktpreisrisiken sollte bei der Einführung lokaler Marktpreise berücksichtigt werden, so wie es gute Praxis bei der Einführung von nodalen Preisen in den USA war. Das ist ein gewichtiges Argument für einen einmaligen Wechsel zu lokalen Marktplätzen anstelle von mehrfachen Reformen der Preiszonen. Denn auf diese Weise lassen sich die Einsparungen und Erlöse, die durch eine Reform des derzeit äußerst ineffizienten Marktdesigns erzielt werden, dazu verwenden, alle Akteure besser zu stellen.
Unser Strommarktdesign basiert auf der unrealistischen Annahme, dass das Elektrizitätsnetz innerhalb von Preiszonen unbegrenzte Kapazitäten hat – und diese allen Handelnden kostenlos zur Verfügung stehen. Die Realität knapper Übertragungskapazität führt dazu, dass dann die Netzbetreiber für zwei bis vier Milliarden Euro pro Jahr Redispatch- Maßnahmen durchführen müssen. Die Kosten werden auf alle Stromkund:innen umgelegt und damit von uns allen bezahlt.
Mit einem Übergang zu lokalen Marktplätzen werden im Auktionsmechanismus nur die tatsächlich verfügbaren Übertragungskapazitäten berücksichtigt. Das ist ökonomisch sinnvoll und auch schon im europaweiten Clearing des Spotmarktes am Vortag in die Praxis umgesetzt. Durch die Vergabe der knappen Ressource Übertragungskapazität im Markt entstehen Engpasserlöse. Zwar fließen die Engpasserlöse an die Übertragungsnetzbetreiber, diese dürfen damit jedoch keinen Gewinn erzielen – stattdessen werden die Mittel für den Netzausbau, das Engpassmanagement oder zur Senkung der Netzentgelte verwendet, wovon letztlich die Stromkund:innen profitieren.
Die Subventionen aller mit Strom Handelnden durch den Redispatch sollte also dringend eingestellt werden. Das würde für alle Stromkund:innen Netzentgelte um fünf bis zehn Euro pro Megawattstunde reduzieren. Die mit einem effizienten Strommarktdesign entstandenen Engpasserlöse können dann genutzt werden, um Erzeuger und Stromkund:innen gegen lokale Marktpreisrisiken abzusichern. In den USA zum Beispiel erhalten Endkund:innen beziehungsweise ihre Versorger in den verschiedenen Märkten mit nodalen Preisen finanzielle Übertragungsverträge, die den Preisunterschied zwischen ihrem Standort und dem durchschnittlichen Großhandelspreis im Bundesstaat abbilden.
Eine neue Möglichkeit der Absicherung lokaler Preisrisiken ergibt sich im Rahmen des von der EU-Kommission vorgeschlagenen Tripartite-Energievertrags zwischen Erzeugung, Staat und Endkunden, auch als Erneuerbare-Energien-Pool bezeichnet. Das Ziel dabei ist, die finanzielle Absicherung von Wind- und Solarprojekten mit Differenzverträgen (CfD) an Stromkund:innen weiterzugeben. Der Tripartite-Energievertrag könnte einen Teil der Engpasserlöse nutzen, um dabei Erzeugung und Stromkund:innen zugleich auch gegen das Risiko eines steigenden lokalen Strompreises abzusichern.
Mit einer Reform zu lokalen Marktplätzen werden Liquidität, Wettbewerb und Transparenz gestärkt. Zugleich entstehen statt der bisherigen Kosten für Redispatch Erlöse aus der Bepreisung knapper Übertragungskapazität. Diese Erlöse sollten genutzt werden, um Marktteilnehmende gegenüber Investitions- und Standortrisiken abzusichern.
Als Paketlösung kann solch eine Reform Flexibilitätspotenziale erschließen und systemdienlich nutzen, Wettbewerb und Transparenz steigern und zu einem verlässliches Investitionsumfeld beitragen. Dieser Ansatz ist auch über Ländergrenzen in der EU hinweg umsetzbar.
Karsten Neuhoff leitet die Abteilung Klimapolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Klaus Mindrup ist ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzender des Vereins Energiedialog 2050.
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