Keine Unternehmensgruppe in Europa zahlt aktuell so hohe Energiepreise wie der deutsche Mittelstand. Hierzulande müssen Unternehmerinnen und Unternehmer nahezu doppelt so tief in die Tasche greifen wie die Wettbewerber aus Frankreich und den Niederlanden. Noch größer ist der Abstand zu den östlichen EU-Staaten wie Polen, Rumänien und Bulgarien. Darüber hinaus schießen die Energiepreise derzeit noch einmal in ganz Europa zusätzlich in die Höhe.
Warum das so ist? Einsicht in die Ursachen der unerwartet heftige Energieverteuerung ist nur bedingt möglich, da die Energieversorgung kein Musterbeispiel für Transparenz in der Wertschöpfungskette darstellt. Ganz sicher sind die Effekte vielschichtig, die den Energiepreis in die Höhe treiben. An erster Stelle steht aber wohl die Gasverknappung. Nach dem Ende des Corona-bedingten Lockdowns und mit Beginn der konjunkturellen Erholung stieg natürlich die Nachfrage weltweit an. Dahinter steht auch die Durchsetzung eigener politischer Interessen der Lieferländer und deren Monopolstellung, die den Kunden kaum eine Möglichkeit lassen, angemessen zu reagieren.
Als Argument für die derzeitige Gasknappheit in Europa wird häufig auch der kalte Winter 2020/2021 angeführt – hier drängt sich die Vermutung auf, dass Ängste vor einer Gasverknappung geschürt und auf diese Weise der Abschluss von Infrastrukturprojekten im Gasbereich beschleunigt werden soll, insbesondere Nord Stream 2. Die Folgen dieser künstlichen Verknappung dürften sich nicht nur im nächsten halben Jahr im Endkundengaspreis spürbar niederschlagen. Auch der Strompreis wird – da Gaskraftwerke am Strommarkt nach wie vor oft preissetzend sind – eher ansteigen.
Da Gas für den Ausgleich der Produktionsschwankungen bei erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung eine bedeutende Rolle spielt, bleibt ein Preiseffekt bei Strom nicht aus. Hier brauchen wir dringend effiziente Speichertechnologien, die den Bedarf an Gas als Ausgleichsenergieträger deutlich verringern.
Netze und Genehmigungsverfahren werden zu Hemmschuhen
Preistreibend wirkt sich auch das noch weit unzureichende bundes- und europaweite Energienetz aus, dessen Ausbau nur äußerst schleppend verläuft. Der Mittelstandsverbund fordert seit Jahren, dass dem Infrastrukturausbau zur Beschleunigung der Energiewende nicht immer neue Steine in den Weg gelegt werden.
Weiteres Hemmnis: die wenig motivierenden Regulierungen – wie zum Beispiel bei den Abstandsregeln für Windräder zu Wohngebieten und deren regional sehr unterschiedliche Ausgestaltungen mit komplizierten und langwierigen Planungs- und Genehmigungsprozessen. Beim Ausbau der Elektromobilität ein ähnliches Bild: Die nach oben drehende Preisspirale beim Strom droht sich zum Hemmschuh zu entwickeln.
Eine nächste Bundesregierung wird deshalb – so viel kann man heute schon sagen – im Bereich Klimaschutz und Energiewende die Anstrengungen gegen eine drastische Energiepreissteigerung erhöhen müssen. Klimaschutz muss folglich über marktwirtschaftliche Anreize wie dem Emissionshandel adressiert werden.
Solange aber 80 bis 90 Prozent der Strompreisbestandteile in Deutschland nichts mit dem Markt zu tun haben, sondern starre Steuern, Abgaben und Umlagen den Endkundenpreis bestimmen, bleibt das Gelingen der Energiewende gefährdet. So ist die Deckelung und perspektivische Absenkung oder gar Abschaffung der EEG-Umlage ein willkommener, aber bestenfalls nur ein erster Schritt zur marktgerechten Umstellung des Energiesystems.
Wo darüber hinaus weitere Privilegierungen einzelner Stromverbraucher politisch gewünscht sind, ist dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die konsequenterweise auch aus dem Bundeshaushalt finanziert werden muss. Um unabhängiger von internationalen Brennstoffmärkten zu werden, muss die Nachfrage klüger, ressourcenschonender und höchst energieeffizient sein.
Wichtig ist: Es braucht einen Investitionsrahmen, der exakt auf den Mittelstand zugeschnitten ist. Die Investitionen selbst müssen aufgrund der komplexen Herausforderungen an nachhaltigem Wirtschaften professionell geplant und begleitet werden. Dies wirft die Frage auf, ob die Wirtschaft über ebendiese Expertise bereits verfügt. Bei näherem Hinsehen wird rasch klar: Die Defizite sind erheblich.
Qualifizierungsoffensive dringend notwendig
Gerade in mittelständischen Unternehmen, die mit über 95 Prozent aller Unternehmen in Deutschland den Löwenanteil der Wirtschaft stellen, droht Überforderung, wenn nicht rasch und systematisch Expertenwissen aufgebaut und flächendeckend weitergegeben wird. Als Mittelstandsverbund setzen wir uns für eine solche Qualifizierung mit dem Projekt „Klimaverbund“ ein, das von der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gefördert wird. Hierbei wurden 15 junge Menschen zu „Klimaprofis“ qualifiziert und geschult, Unternehmen mit dem Fokus auf Ressourcen- und Energieeinsatz fit zu machen. Und das sollte nur ein erster Testlauf einer großflächigen Qualifizierungskampagne sein. Nachhaltiges Handeln muss grundsätzlich im Einklang mit den ökonomischen Zielen stehen.
Zeiten extrem steigender Strom- und Gaspreise erfordern konsequentes Handeln in den Unternehmen. Es ist ein Irrglaube, dass hohe Strompreise nur den industriellen Mittelstand belasten. So arbeiten auch die Mittelständler im Lebensmittelhandel und vielen anderen Segmenten sehr energieintensiv, werden aber von der Politik allzu oft übersehen und profitieren nicht von bestehenden Entlastungen. Das ist ungerecht und wirtschaftlich fatal. Es darf nicht sein, dass die Bemühungen des Mittelstandes durch zunehmend höhere Strompreise konterkariert werden. Verlässliche Rahmenbedingungen bei der Energieversorgung sind entscheidend, damit die mittelständischen Unternehmen bei der ökologischen und digitalen Transformation ihrer Geschäftsprozesse nicht nur Schritt halten, sondern langfristig erfolgreich sein können.
An den sachgerechten Rahmenbedingen für die
Entwicklung der Energiemärkte – sowohl auf der Erzeugungs- als auf der
Nutzerseite – wird sich aber gerade auch die neue Bundesregierung messen lassen
müssen. Denn hierbei geht es um elementare Fragen wie Generationengerechtigkeit
und den Erhalt unserer mittelständischen Wirtschaft in einem wachsenden
wettbewerbsstarken internationalen Umfeld.