Wenn wir es ernst meinen mit den gesetzlich vereinbarten Klimaschutzzielen für 2030 und der Treibhausgasneutralität bis 2045, braucht es umfassende, schnelle Anpassungen in den Bereichen Energie, Mobilität, produzierende Wirtschaft und besonders im Gebäudesektor. Wir wissen, dass 30 Prozent der Treibhausgasemissionen Deutschlands allein auf diesen Bereich zurückgehen, hier besteht also dringender Handlungsbedarf. Doch setzt die gesetzliche Grundlage, das Gebäudeenergiegesetz (GEG), dazu wirklich alle Hebel in Bewegung? Zahlreiche Studien und Stimmen aus der Fachplanung legen nahe: Die Klimaneutralität des Gebäudesektors ist mit diesem Gesetz noch nicht zu erreichen.
Hebel Nummer 1: CO2-Zielwert als neue Bezugsgröße
Aktuell stellt das GEG Anforderungen an die Gebäudehülle und den Primärenergiebedarf mit dem Ziel, den Energiebedarf der Gebäude im Betrieb zu reduzieren. Doch die reine Betrachtung des Energiebedarfs im Betrieb greift zu kurz. Es braucht die Verankerung eines CO2-Ziels. Das bedeutet, neben Regulierungen der CO2-Emmissionen im Betrieb muss das GEG auch CO2-Emissionen für die Herstellung der Baukonstruktion und technischen Anlagen (graue Energie) berücksichtigen.
Denn: Betrachtet man die CO2-Emissionen eines Neubaus des Jahres 2021, sind die Betriebsemissionen durch den Stand der Technik bereits soweit reduziert, dass nunmehr die graue Energie (also der Bau selbst und nicht dessen Betrieb) die Hälfte der Emissionen über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes ausmachen. Dies macht deutlich, dass das Ziel der Klimaneutralität im Gebäudesektor nur durch die Berücksichtigung beider Emissionsquellen, also Bau und Betrieb, zu erreichen ist.
Das GEG sieht zwar die Angabe der CO2-Betriebsemissionen im Energieausweis vor, allerdings hat dies einen rein informativen Charakter und ist an keinen Zielwert geknüpft. In der Novellierung des GEG (2023) bedarf es daher einer bindenden Verankerung eines CO2-Zielwertes sowohl für die Herstellung als auch den Betrieb von Gebäuden.
Hebel Nummer 2: Bestandssanierung steigern
Der große Hebel, die Emissionen im Gebäudesektor zu reduzieren, liegt im Bestand. Daher muss die Verankerung eines CO2-Zielwertes sowohl für Neu- als auch für Bestandsgebäude erfolgen. Fast 90 Prozent der Wohngebäude sind nur teilweise- oder gar unsaniert, die Sanierungsrate stagniert seit Jahren bei einem Prozent. Um diesen Hebel zu aktivieren, müssen realistische Forderungen an den Bestand gestellt und Anreize durch Förderungen geschaffen werden. Auch die Risiken, die sich durch den Bau im Bestand ergeben können, müssen durch reibungslose Genehmigung von Sonderlösungen verringert werden.
Das GEG hätte hier Regelungsmöglichkeiten, indem es klare Forderungen an einen flächenbezogenen CO2-Zielwert stellt. Zur Erreichung dieses Zielwertes können gängige Sanierungsmaßnahmen wie die Verbesserung der thermischen Gebäudehülle und die Effizienzsteigerung der Anlagentechnik gewählt werden. Doch wo eine energetische Optimierung der Gebäudehülle an ihre Grenzen stößt, sind nun neuartige Quartierslösungen und die Versorgung mehrerer Gebäude in zum Beispiel einem Nahwärmenetz sowie Kompensation von geringem Dämmstandard mit regenerativer Anlagentechnik möglich. Mit dieser Erweiterung an Optionen wären Eigentümer:innen dazu befähigt, ihren Bestand klimaneutral zu ertüchtigen und die Sanierungsrate könnte auf einen zielkonformen Wert von zwei Prozent steigen.
Hebel Nummer 3: CO2-Schattenpreis für Fördermittelvergabe
Derzeit ist der Abriss und Neubau gegenüber der Bestandssanierung oftmals wirtschaftlicher und mit weniger Risiken verbunden. Um die Vorteile der Bestandssanierung gegenüber einem Neubau wirtschaftlich abzubilden, besteht die Möglichkeit, einen CO2-Schattenpreis in die Herstellungs- und Betriebskosten einzupreisen. Zum Beispiel könnte dieser 195 Euro pro Tonne betragen in Anlehnung an die Umweltbundesamt-Klimakostenschätzung. Dieser Schattenpreis ist fiktiv und berücksichtigt die Folgekosten einer emittierten Tonne CO2 für die Gesellschaft.
Er würde bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Projekten mit langer Betriebsdauer herangezogen. Dies ermöglicht, die ökologischen Folgen des Abrisses, des Abfallaufkommens sowie der erforderlichen grauen Energie zur Herstellung des Neubaus abzubilden. Attraktive Förderangebote ließen sich an den flächenbezogenen Schattenpreis koppeln und würden sicherstellen, dass die durch Steuermittel bereitgestellten Förderungen im Sinne der klimaneutralen Transformation des Gebäudesektors verwendet werden.
Es braucht eine Förderlandschaft, die zielkonforme Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität attraktiver macht. Denn Förderungen sind neben gesetzlichen Anforderungen ein weiteres Instrument die Sanierungsrate zu steigern und stellen gleichzeitig sicher, dass die Kosten der Maßnahmen sozialverträglich nicht allein von Mieter:innen getragen werden.
Hebel Nummer vier: Jetzt handeln
Eine Novellierung des GEG ist für das Jahr 2023 geplant, doch die Chance und Notwendigkeit starke Impulse für einen klimaneutralen Gebäudesektor zu setzen ist jetzt. Jetzt muss der Gesetzgeber mutige Entscheidungen treffen. Über Zusatzverordnungen auf Bundes-, Landes- oder Stadtebene können und sollten notwendige Transformationsprozesse schon heute eingeleitet werden.
Angesichts des durchschnittlichen Lebenszyklus eines Gebäudes von circa 50 Jahren, gilt es vorausschauend zu planen und dabei die CO2 Emissionen über den gesamten Lebenszyklus zu betrachten. Technische Lösungen und Energiekonzepte zum Erreichen der Klimaziele sind vorhanden. Diese Pionierarbeit wird in Kooperation ambitionierter Baubeteiligter bereits heute geleistet und geht so mit großen Schritten voran. Doch nur durch entsprechende Vorgaben und Anreize im GEG lassen sich diese Lösungen und Konzepte auf den über 21 Millionen Gebäude umfassenden Bestand Deutschlands übertragen.
Robert
Abromeit ist Engineer im Sustainability & Physics Team des Ingenieur-und Beratungsbüros Buro Happold
in Berlin.