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Energie & Klima

Standpunkte Wie wird Deutschland jetzt eigentlich noch klimaneutral?

Milan Loose ist Referent für Negativemissionen bei Bellona Deutschland
Milan Loose ist Referent für Negativemissionen bei Bellona Deutschland Foto: Referent Negativemissionen bei Bellona Deutschland, Foto: Bellona Deutschland

Die Klimaschutzziele im Landnutzungssektor (LULUCF) scheinen außer Reichweite. Die Abkehr von den Zielen für naturbasierte CO2-Entnahme käme jedoch einer Aufgabe der Klimaneutralität gleich, warnt Milan Loose. Die neue Bundesregierung müsse daher gleichzeitig ihre Bemühungen für Emissionsreduktionen in allen Sektoren und den Ausbau der natürlichen Senken verstärken, betont der Referent für Negativemissionen bei Bellona Deutschland.

von Milan Loose

veröffentlicht am 15.04.2025

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Die neuesten Klimaschutzprojektionen des UBAs zeigen, dass sich die seit Jahren prognostizierte Zielverfehlung im Landnutzungssektor (LULUCF) bis 2045 drastisch auf 75 Millionen Tonnen CO2 erhöht. Laut Klimaschutzgesetz (KSG) Paragraf 3a sollen 40 Millionen Tonnen CO2 von natürlichen Senken aufgenommen werden. Die Zielerreichung wird damit unwahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich. Das stellt die Erreichung der deutschen Klimaschutzziele – Klimaneutralität bis 2045 und Netto-Negativemissionen nach 2050 – fundamental in Frage.

Denn ohne ein ausreichendes Maß an Negativemissionen – natürliche und technische CO2-Entnahme – hätte Deutschland keine Möglichkeit, unvermeidbare Restemissionen aus Landwirtschaft und anderweitig nicht vermeidbare Emissionen aus der Industrie auszugleichen. Bisher werden die Restemissionen in 2045 auf circa 37 bis 76 Millionen t CO2 geschätzt. Der Bedarf an technischer CO2-Entnahme für den Zeitraum ab 2045 ergibt sich theoretisch aus dem, was zusätzlich zu den LULUCF-Zielen ausgeglichen werden muss.

Ein Grund für die Zielverfehlung liegt in der Entwicklung der entscheidenden Senke im Landsektor, dem Wald. Die extreme Trockenheit der Jahre 2018-2022 hat den deutschen Wald vielfältig geschädigt. Hinzu kommt die im Trend seit 1995 um 50 Prozent gestiegene Holzernte, die auf die internationale Nachfrage nach Biomasse zurückzuführen, aber auch temporär durch Schadereignisse gestiegen ist.

Dem Wald wurde so mehr Biomasse entnommen, als für die Erreichung der klimapolitischen Ziele erforderlich wäre und ist somit seit 2018 zu einer Netto-Quelle von Emissionen von jährlich rund 20 Millionen t CO2 geworden. Damit wird der Sektor, statt 2045 als Netto-Senke zu fungieren, 35 Millionen t CO2 ausstoßen.

Die Politik steht damit zu Beginn der neuen Legislatur vor einem klimapolitischen Dilemma. Droht die deutsche Klimapolitik an den Grenzen des Machbaren im Landnutzungssektor zu scheitern oder sind wirksame Maßnahmen zur Erreichung des natürlichen Klimaschutzes vorstellbar?

Anpassung der LULUCF-Ziele an die „Realität“?

Seit einiger Zeit mehren sich die Stimmen aus Wissenschaft und Wirtschaftsverbänden, die nach einer Anpassung der Ziele für natürliche Senken rufen – also einer Absenkung, die der „Realität“ der möglichen CO2-Entnahme entsprechen soll.

Aus klimawissenschaftlicher Sicht ist eine Absenkung der LULUCF-Ziele unverantwortlich. Erst der Erhalt der natürlichen CO2-Entnahme auf globaler Ebene, insbesondere in Wäldern, lässt die Klimaziele wirtschaftlich und einen geordneten Ausstieg aus den fossilen Energien machbar werden. Werden hingegen Maßnahmen, die den Verlust der Speicherfähigkeit der Wälder aufhalten, nicht umgesetzt, könnte das die Kosten des Klimaschutzes in Schlüsselsektoren verdoppeln, so Forschende vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Natürliche CO2-Entnahme auszubauen, hat weitere relevante Gründe: Investitionen in Ökosysteme sind Investitionen in kritische ökosystembasierte „Infrastruktur“ wie die Kühlung der Landschaft, der Zugang zu sauberem Wasser, und die Wiederherstellung der Artenvielfalt. Für die Erreichung der 2045-Ziele wäre die CO2-Entnahme über hauptsächlich technische Lösungen schlicht zu unökonomisch und ihr Potenzial nach dem Stand der Technik zu gering, um auf natürliche CO2-Entnahme verzichten zu können.

Streicht man also die LULUCF-Ziele und den Beitrag der Wälder zum natürlichen Klimaschutz aus der Gleichung, ist die Eingrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf deutlich unter 2 Grad Celsius durch Deutschlands Beitrag sehr unwahrscheinlich.

Diese klimapolitische Tragweite und gangbare Alternativvorschläge werden oft nicht hinreichend reflektiert oder ausgeblendet.

Trotzdem werden die deutschen Klimaschutzziele im LULUCF-Sektor nicht allein am Wald gesunden – sie könnten es aber durch einen intelligenteren Umgang mit Biomasse und den Landflächen.

Fokus auf klima- und umweltverträgliche Biomassenutzung

Was es daher jetzt braucht, ist ein verstärkter politischer Fokus auf den Zusammenhang aus Biomassenutzung und Klimaschutz. Dafür müssen Politikinstrumente entwickelt werden, die den Biomassekonsum so eingrenzen, dass die Ziele von Klima- und Biodiversitätsschutz und Ernährungssicherheit erreichbar werden. Denn eine reine, wenn auch notwendige, Veränderung der gesetzlichen Grundlage für das Management von Wäldern und Böden greift zu kurz, um eine sozialverträgliche und ökonomisch sinnvolle Transformation des Landnutzungssektor zu ermöglichen.

Eine Veränderung der Ernährungsweisen hin zu einer stärker pflanzenbetonten Kost, die große gesundheitliche Vorteile bietet, ließe Flächen für Renaturierung, Aufforstung oder Agroforst frei werden und würde zur Senkung der Emissionen aus der Produktion tierischer Lebensmittel führen.

Der Ausbau von wirklich erneuerbarer und auf Elektrifizierung basierter Wärme kann, da sie günstiger und sauberer ist, den zu hohen Einsatz von energetischer Biomassenutzung in privaten Haushalten durch attraktive Angebote ersetzen. Diese hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt bis verdreifacht und steht im derzeitigen Ausmaß inklusive der Nutzung in Kraftwerken den Klimaschutzzielen entgegen. Hier braucht es eine stärkere Kohärenz der Klimapolitik und eine systemische Analyse der energetischen Nutzung einschließlich der Absenkung der Kohlenstoffvorräte im Landnutzungssektor.

Die Substitution von fossil basierten Stoffen in der Chemieindustrie durch Biomasse kann unter Umständen einen systemischen Klimanutzen haben, wenn dadurch der bereits bestehende Bedarf an Biomasse nicht weiter steigt.

Der Aufbau einer zirkulären Bioökonomie durch konsequente Wiederverwendbarkeit etwa bei Verpackungen oder in der Vermeidung von Abfällen bei Lebensmitteln hat ebenfalls Potenziale für den natürlichen Klimaschutz, da der Primärrohstoffeinsatz und die damit verbundenen Emissionen in den Lieferketten reduziert werden können.

Eine Biomasse-Strategie ist nötig

Um die damit verbundenen Zielkonflikte und Handlungsbedarfe in ihrer Komplexität politisch verhandel- und steuerbar zu machen, braucht es die Formulierung einer Biomasse-Strategie, die europäisch eingebettet wird.

Priorität muss dabei weiterhin die unverzügliche Reduktion der Emissionen haben. Nur bei möglichst niedrigen Restemissionen besteht überhaupt eine realistische Chance, diese durch naturbasierte und technische CO2-Entnahmen ausgleichen zu können.

Statt die LULUCF-Ziele infrage zu stellen, muss die Politik sich jetzt daher weiterhin zu ihnen bekennen und bereits beschlossene und weitere Maßnahmen für deren Erreichung umsetzen. Dafür braucht es auch die Entwicklung und Umsetzung neuer Instrumente für einen wirklich nachhaltigen, intelligenten und wertschöpfenden Umgang mit Biomasse.

Milan Loose ist Referent für Negativemissionen bei Bellona Deutschland.

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