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Energie & Klima

Standpunkte Wir brauchen ein Notfallprogramm zur Gaseinsparung

Mathias Koch, Policy Advisor bei E3G, und Brick Medak, Leiter des Berliner Büros von E3G
Mathias Koch, Policy Advisor bei E3G, und Brick Medak, Leiter des Berliner Büros von E3G Foto: E3G

Die bisherige Debatte über die Folgen eines Gasembargos gegen Russland verstellt nicht nur den Blick auf die Kosten der LNG-basierten Strategie der Bundesregierung, sondern auch auf die verpassten politischen Chancen. Um eine höhere geopolitische Unabhängigkeit und eine Beschleunigung der Energiewende zu erreichen, braucht Deutschland ein verpflichtendes, rasch wirksames Notfallprogramm zur Gaseinsparung, schreiben Mathias Koch und Brick Medak vom Thinktank E3G.

von Mathias Koch

veröffentlicht am 18.05.2022

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Die Bundesregierung möchte den Import von Erdgas aus Russland bis 2024 zurückfahren, auf einen Anteil von maximal zehn Prozent des Gesamtverbrauchs. Zwei Drittel der Importe aus Russland sollen durch Flüssiggas (LNG) ersetzt werden; die nötige Infrastruktur versucht die Bundesregierung gerade unter großen Anstrengungen aufzubauen. Einen sofortigen Importstopp hingegen lehnt sie mit Verweis auf unkalkulierbare wirtschaftliche Schäden ab. 

Über die wirtschaftlichen Folgen eines Embargos wurde zuletzt intensiv gestritten. Verloren ging dabei, dass LNG ein auf absehbare Sicht deutlich teurerer Energieträger ist als russisches Pipelinegas. Bereits jetzt kosten 10-jährige LNG-Lieferverträge 75 Prozent mehr als letztes Jahr, ein Trend, der sich angesichts einer prognostizierten weltweiten Angebotslücke von jährlich hundert Millionen Tonnen fortsetzen dürfte. Investitionen in LNG-Infrastruktur verstetigen nicht nur CO2- und Methan Emissionen, sondern auch die sehr hohen Kosten. Haushalte und Industrie werden diese Kosten letztlich tragen müssen, vor denen man sie kurzfristig schützen will.

Bessere Alternative als teures Flüssiggas

Dabei gibt es eine bessere Alternative zum aktuellen Vorgehen: Umfangreiche Einsparungen beim Gasverbrauch. Die bisherige Debatte verstellte nicht nur den Blick auf die wirtschaftlichen Kosten, sondern auch auf die politischen Gründe, die dafürsprechen, die Senkung des Gasverbrauchs deutlich ernster zu nehmen.

1. Strategische Handlungsfähigkeit gegenüber Russland: Nur durch Maßnahmen, die bereits zu Beginn der nächsten Heizperiode wirken, können sich Deutschland und die EU auf alle Eventualitäten vorbereiten, ihren Handlungsspielraum erweitern und russische Druckmittel reduzieren.

2. China und der Globale Süden: China wird genau beobachten, welche Kosten liberale Demokratien in einer sicherheitspolitischen Krise in Kauf zu nehmen bereit sind. Auch die Beziehungen zum Globalen Süden sind betroffen: Diese Länder werden wenig Verständnis für eine Politik aufbringen, die ihnen direkt (durch einen weiteren Anstieg der LNG-Preise) und indirekt (durch eine verpasste Chance für besseren Klimaschutz) schadet.

3. Deutschlands Führungsrolle in der EU: Das Scheitern seiner Erdgaspolitik hat Deutschland viel Führungsstärke und Ansehen in der EU gekostet. Durch rasches und entschlossenes Handeln kann Deutschland das verlorengegangene Vertrauen wiedergewinnen, vor allem bei mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten, die für den Erfolg der Energiewende von großer Bedeutung sind.

4. Nationale Klima- und Energiepolitik: Eine schnelle Reduzierung des Gasverbrauchs verhindert Fehlinvestitionen in nicht erforderliche LNG-Infrastruktur. Die frei gewordenen Kapazitäten können stattdessen in Einklang mit den Klimazielen genutzt werden, indem ohnehin notwendigen Anpassungen beschleunigt werden.

Aus diesen Gründen sollte die Bundesregierung ihrer Anstrengungen darauf konzentrieren, den im kommenden Herbst und Winter ansteigenden Gaskonsum zu reduzieren. Die Verbrauchskurve, die im Januar ihren Höhepunkt erreicht, würde so abgeflacht („flatten the curve“). Der Fingerzeig auf Covid-19 ist nicht zufällig: Auch in der Energiekrise braucht es eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung und die Einsicht, dass es auf die Mitwirkung aller ankommt. Erneut wird es nicht ohne Einschränkungen gehen, die politisch eingeordnet und ausgeglichen werden müssen. Doch auch in dieser Krise gibt es eine dauerhafte Lösung: Der „Impfstoff“ der Energiekrise ist der massive Ausbau der erneuerbaren Energien und diesen treibt die Bundesregierung richtigerweise stark voran.

Die Anstrengung im Bereich der Einsparungen hingegen entsprechen bei weitem noch nicht der geo- und sicherheitspolitischen Lage und den deutschen Klimazielen. Der gestern von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorgestellte „Arbeitsplan Energieeffizienz“ enthält keine verpflichtenden, kurzfristig wirksamen Maßnahmen. Auch eine Zielvorgabe für kurzfristige Erdgaseinsparungen fehlt. Frühere Berichte der Bundesregierung legen nahe, dass sie in den kommenden zwei Jahren weniger als zwei Prozent Gas einsparen möchte. Demgegenüber stehen Studien, die zeigen, dass Einsparungen von 15 bis 20 Prozent innerhalb eines Jahres technisch möglich sind.

Notfallprogramm zur Senkung des Gasverbrauchs notwendig

Anstatt Appellen und Beratungsangeboten benötigt Deutschland ein ambitioniertes Notfallprogramm zur Nachfragereduzierung, das einen wesentlichen Teil dieses Potenzials schon innerhalb der nächsten Heizperiode ausschöpft. Das Programm sollte stufenweise gestaltet sein, sowohl freiwillige als auch verpflichtende Maßnahmen enthalten und sich an Industrie und Haushalte richten. Zu den möglichen Maßnahmen zählen neben „no regret“ Lösungen wie dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Einsatz von Wärmepumpen: die moderate Reduzierung der Raumtemperatur in Industrie, Gewerbe und Haushalten; die temporäre Produktionsreduktion in bestimmten Industriezweigen bei gleichzeitiger Elektrifizierung und Effizienzverbesserung; der zeitlich streng limitierte Brennstoffwechsel im Stromsektor und der Industrie; rasche Verbesserungen der Gebäudedämmung; und die kurzfristige Nutzung von effizienteren Armaturen und Geräten.

Klar ist: Ohne Belastungen der Haushalte und Industrie wird es nicht gehen. Wer ein entschiedenes Handeln im vorgeschlagenen Sinn allein deshalb ablehnt, suggeriert, dass es durch den Umstieg auf LNG zu weniger oder keinen Belastungen kommt. Das ist zumindest äußerst zweifelhaft, wenn nicht sogar unehrlich. Der entscheidende Grund aber, jetzt ein umfassendes Paket zur Einsparung vorzulegen, ist politisch: Nur so nehmen wir das Heft des Handelns wieder in die Hand, steigern unsere geopolitische und europäische Handlungsfähigkeit und machen zugleich einen großen Schritt zur Beschleunigung der Energiewende. Daher müssen wir nun gemeinsam die Kurve abflachen.    

Mathias Koch ist Policy Advisor bei E3G, Brick Medak leitet das Berliner Büro des Thinktanks.

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