Unternehmen, die sogenannte ESG-Daten messen und entsprechende Maßnahmen zur Minimierung von Nachhaltigkeitsrisiken ergreifen und Chancen daraus nutzen, können ihre Geschäftskosten senken und sogar den Umsatz steigern. Die Wettbewerbsfähigkeit wird also klar verbessert. Eine aktuelle Studie von IBM belegt dieses Phänomen: Unternehmen, die Nachhaltigkeitsprinzipien integrieren, verzeichnen eine um 16 Prozent höhere Umsatzwachstumsrate erzielen und haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, die Konkurrenz in puncto Rentabilität abzuhängen. Diese Erfolge lassen sich auf Kosteneinsparungen wie beispielsweise den Umstieg auf erneuerbare Energien, den Aufbau klimaresistenter Lieferketten und die Reduktion von Schadstoffen im Produktionsprozess zurückführen.
Der Wettbewerbsvorteil nachhaltiger Unternehmen
Die Europäische Union fördert mit der Einführung der Nachhaltigkeitsberichterstattungs-Richtlinie für Unternehmen, CSRD, ein Klima der Transparenz und Vergleichbarkeit. Es ermöglicht Unternehmern, ihr Geschäft auszubauen. Viele Umfragen haben bewiesen, dass eine Erfolgsbilanz in Sachen Nachhaltigkeit Wettbewerbsvorteile verschafft. Investoren und Kreditgeber betrachten Nachhaltigkeit zunehmend als einen wichtigen Faktor bei ihren Entscheidungen, Gelder zu vergeben; immer mehr Arbeitnehmer möchten für Unternehmen mit starken Nachhaltigkeitsprogrammen arbeiten; und Kunden verlangen von ihren Lieferanten immer häufiger Informationen zum Thema Nachhaltigkeit.
Herr Draghi fordert in seinem in der vergangenen Woche vorgelegten Wettbewerbsbericht außerdem neue Investitionen in Höhe von jährlich 800 Milliarden Euro in der EU, um die Unternehmen und die EU-Wirtschaft als Ganzes wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Ein Teil dieses Kapitals würde zweifellos an die Firmen gehen, die grüne Referenzen nachweisen können.
Herr Draghi versäumt es aber zu erwähnen, dass die CSRD auch Auswirkungen auf Unternehmen außerhalb der EU haben wird: Etwa 10.000 international tätige Unternehmen mit bedeutendem Geschäft in der EU werden künftig die gleichen Daten wie europäische Unternehmen melden müssen. Diese erhöhte Transparenz für die außereuropäische Konkurrenz wird die Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen angleichen und Unternehmen – unabhängig von ihrer geografischen Lage – dazu veranlassen, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um sich als besser für Investoren, Verbraucher und Arbeitnehmer zu positionieren.
Verhältnismäßigkeit, größere Effizienz und bessere Anleitung
In einem Punkt hat Herr Draghi mit seiner Kritik an der CSRD recht: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist derzeit für viele Unternehmen kaum zu bewältigen: zu kompliziert, zu viele Fragen nach Daten – die Berichterstattung sollte eigentlich ein Beschleuniger für die Nachhaltigkeitsstrategien von Unternehmen sein. Doch allzu oft ist sie das genau nicht, eher das Gegenteil.
Das bedeutet jedoch nicht, dass wir uns von der Offenlegung von Nachhaltigkeitsdaten in der EU verabschieden sollten. Der Schwerpunkt sollte stattdessen auf einer effizienteren Datenerfassung, Datentransformation sowie Berichterstattung liegen. Indem man wegkommt von Tabellenkalkulationen und stattdessen modernste Technologien einsetzt, einschließlich künstlicher Intelligenz, die auch Mario Draghi in seinem Bericht erwähnte.
Draghi kritisiert darin die Belastung für mittelständische Unternehmen, die Inkonsistenz zwischen einigen Vorschriften in der CSRD. Zudem weist Draghi auch auf den Bedarf für bessere Leitlinien von den Aufsichtsbehörden für CSRD-Berichterstatter hin. In all diesen Punkten hat er Recht.
Die größte Hebelwirkung für Fortschritte im Bereich Nachhaltigkeit liegt bei großen – und insbesondere globalen – Unternehmen. Die Berichtspflichten für die einzelnen Unternehmen sollten in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Wirkungspotenzial stehen. Es ist deshalb wichtig, die Strenge der Vorschriften beizubehalten und gleichzeitig die Effizienz für kleinere Unternehmen zu steigern.
Die schlechtere Alternative
Es lohnt sich, einen Schritt zurückzutreten und Alternativen zur CSRD zu betrachten. Herr Draghi betont die Notwendigkeit, die Vorschriften zu harmonisieren und die Politik in der gesamten EU zu koordinieren. Ohne die CSRD – sowie andere aktuelle Nachhaltigkeitsvorschriften, die aus Brüssel in den vergangenen Jahren vorangetrieben worden sind – wwären Unternehmen mit einem Flickenteppich aus nationalen Berichtsvorschriften konfrontiert – was die Einhaltung der Vorgaben erschweren, die Berichterstattung verkomplizieren und die Kosten erhöhen würde.
So gesehen ist die CSR-Richtlinie auch der EU ein Versuch, die bestehenden nationalen Vorschriften und verschiedene freiwillige Berichtsrahmen zu harmonisieren – und damit gerade ein Stück weit für Entbürokratisierung zu sorgen.
Die Wettbewerbsfähigkeit ist eine existenzielle Herausforderung für die Zukunft der EU. Aber wir dürfen die andere existenzielle Herausforderung nicht aus den Augen verlieren, wegen der die EU auch die CSRD geschaffen hat: den Klimawandel. Die Regulierungsagenda soll dazu dienen, Unternehmen und Regierungen mit hochwertigen Daten ausstatten, um effiziente Klimaschutzmaßnahmen ergreifen zu können. Die EU sollte stolz auf ihre Führungsrolle und die globale Wirkung ihrer Regulierung sein.
Es wäre ein Fehler, den Draghi-Bericht über die Wettbewerbspositionierung zu lesen und daraus zu schließen, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung ein Wachstumshemmnis darstellt. Die EU kann beides: Die Effizienz der Nachhaltigkeitsberichterstattung verbessern und eine wettbewerbsfähige, nachhaltige wirtschaftliche Zukunft einläuten.