Standpunkte Vereinfachung versprochen, Verwirrung geliefert

Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ist für mittelständische Unternehmen eine Herausforderung. Für die Jacob Waitz Industrie GmbH bot die CSRD jedoch Anstoß und Struktur für die eigene ESG-Strategie, schreibt Sophie von Waitz, zuständig für die Umsetzung der ESG-Strategie und Mitglied der neunten Generation im Familienunternehmen. Ehrenamtlich ist sie Co-Leiterin der AG Wirtschaft bei Transparency International Deutschland.
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Jetzt kostenfrei testenDezentrale Stromversorgung, Maschinen zur Bearbeitung von Hydraulikschläuchen: Mit unseren Produkten verdient die Jacob Waitz Industrie GmbH weltweit dort ihr Geld, wo Menschen etwas aufbauen. Als Hersteller von Investitionsgütern mit 500 Mitarbeitenden sind wir darauf angewiesen, dass das globale Wirtschaftssystem funktioniert und floriert. Umso mehr leiden wir unter geopolitischen Handelsbeschränkungen. Autoritarismus, Korruption und Umweltkatastrophen setzen Lieferanten, Kunden und damit unser Geschäftsmodell unter Druck. Es liegt daher in unserem Interesse, wo wir tätig sind und wo möglich, für integre Institutionen, Menschenrechte und stabile Ökosysteme einzustehen.
Rechtsunsicherheit schadet
Durch die von der EU beschlossene Verschiebung der CSRD um zwei Jahre fallen wir wieder aus dem Anwendungsbereich der CSRD heraus, zusammen mit allen europäischen Unternehmen in der Größenordnung zwischen 250 und 1000 Mitarbeitenden.
Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, diese Änderung im EU-Omnibus zu verstetigen. Jetzt bringt der Hauptverhandler gar ins Spiel, den Anwendungsbereich weiter auf Firmen ab 3000 Mitarbeitenden zu beschränken. Wie die Diskussion ausgeht, wissen wir voraussichtlich erst 2026.
Nun steht unsere Unternehmensgruppe vor hohen Aufwänden für die bisherige Umsetzung, leidet unter der Rechtsunsicherheit und hat Wettbewerbsnachteile, wenn sie weiter freiwillig an ESG-Berichtswesen und Maßnahmen festhält. Ohne Berichte anderer Firmen (umso mehr ohne die Berichtspflicht aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) und aufgrund weltweiter Abschottung lassen sich unsere Lieferketten kaum noch nachvollziehen.
CSRD als Anstoß für ESG-Strategie
Schon vor dem Inkrafttreten der CSRD wurden die Firmen unserer Gruppe von großen Kunden zu ESG-Kennzahlen befragt. Jeder Kunde wollte etwas anderes wissen. Im Leitbild, das alle Mitarbeitenden unserer Unternehmensgruppe gemeinsam erarbeitet haben, steht: „Kein ‚schnelles‘ Geschäft ist es wert, dafür überhöhte Risiken in Kauf zu nehmen, die die Zukunft eines unserer Unternehmen, der Gruppe oder des Umfelds, in dem wir agieren, gefährden.“
Wir hatten also bereits Bedarf, strukturierter auf die Anfragen unserer Kunden reagieren zu können und ESG-Daten im Betrieb zu nutzen, als die CSRD in Kraft trat. Sie bot den Anlass, unsere ESG-Strategie in Angriff zu nehmen.
Seit Ende 2023 bereiten wir den Nachhaltigkeitsbericht gemäß CSRD für das Jahr 2025 vor: Meine beiden Kollegen in der Holding und ich in Teilzeit haben gemeinsam mit einer externen Beraterin für jede Firma der Gruppe Bestandsaufnahme, Wesentlichkeitsanalyse nach dem European Sustainability Reporting Standard (ESRS) und Mitarbeiterbefragung durchgeführt.
Insgesamt fielen dafür Personalkosten in Höhe von 65.000 Euro an. Phasenweise wurden zusätzliche Kapazitäten bei den Führungskräften in den Firmen der Gruppe gebunden. Nun sind sie mit der Datenerhebung für das Jahr 2025 befasst. Sobald die Daten vorliegen, zurren wir unsere ESG-Maßnahmen fest und beginnen mit der Umsetzung.
Weiterentwickeln statt Abschaffen
Die Wesentlichkeitsanalyse mit ihren vielen hundert Fragen und Datenpunkten dauerte länger als veranschlagt. Der Kommunikationsaufwand war groß. Wir diskutieren bis heute: Wie sollen wir negative ESG-Auswirkungen reduzieren, während wir aufgrund geopolitischer Abschottung unsere Lieferketten restrukturieren? Werden wir uns den Aufwand dauerhaft leisten können? Warum Geld in eine Wesentlichkeitsanalyse investieren, das dann nicht für konkrete Maßnahmen zur Verfügung steht?
Aus dem Sustainability Transformation Monitor 2024 geht hervor, dass zwar die Hälfte der befragten 422 Firmen das Verhältnis von Aufwand und Nutzen bei der Umsetzung der CSRD ausgewogen oder gar positiv bewerten. Doch von den beteiligten kleineren und mittelgroßen Unternehmen (KMU) schätzten 77 Prozent die Kosten höher als den Nutzen ein.
Kein Zweifel: Es besteht Verbesserungsbedarf. Aber das ist etwas anderes als die de facto Abschaffung der CSRD für Mittelständler. Sie stehen dem Gesetz weniger skeptisch gegenüber als oft behauptet: In einer kürzlich veröffentlichen Studie der Organisation We Are Europe gaben 61 Prozent von mehr als 1000 befragten mittelständischen Unternehmen aus 26 EU-Ländern an, sie seien mindestens „zufrieden“ mit der CSRD.
Strukturierte Beurteilung von ESG-Risiken wertvoll
Die Umsetzung der CSRD war insbesondere durch die strukturierte Beurteilung von ESG-Risiken wertvoll für uns. Bei der obligatorischen Wesentlichkeitsanalyse wird die Auswirkung des betrieblichen Handelns auf ESG-Themen im Verhältnis zu finanziellen Risiken auf das Geschäftsmodell bewertet.
Wir konnten Stärken identifizieren (Erneuerbare Energien, Einbindung von Menschen mit Einschränkung), profitieren von den Empfehlungen unserer Mitarbeitenden (unter anderem zum Abfallmanagement) und haben klaren Prioritäten für Risikofelder. Die CSRD bot den Rahmen, aber wir haben unseren eigenen Zugang zu ESG entwickelt. Die Gruppe wird weiter freiwillig an Bericht und ESG-Strategie festhalten.
Systematische Vorteile der CSRD fallen weg
Wenn, wie ursprünglich vorgesehen, die meisten Firmen unserer Größenordnung eine Risikoanalyse durchlaufen und berichten, entsteht eine Datenbasis, um systematische Herausforderungen zu identifizieren und sie über Branchen hinweg zielgerichtet zu bewältigen.
Mit einer Einschränkung der CSRD auf sehr große Unternehmen stehen freiwillige Berichte und Maßnahmen wieder für sich allein – bestenfalls als Zeugnis von Selbstwirksamkeit und Vorbild für andere, im schlechtesten Fall als Greenwashing. Systematische Vorteile fallen weg.
Und Unternehmen vergessen nicht, dass sie einmal mit dem Thema hohe „sunk costs“ verbraten haben. Dem Vertrauen in die gemeinsame Bewältigung von geopolitischen Herausforderungen und Klimawandelrisiken wurde durch das Hin und Her ein Bärendienst erwiesen.
Bürokratieabbau auf Abwegen
Im Koalitionsvertrag äußert sich die neue Bundesregierung skeptisch zu jeglicher Regulierung unternehmerischer Sorgfalts- und Transparenzpflichten durch den europäischen Green Deal, darunter auch zur CSRD. Erst kürzlich forderte Bundeskanzler Friedrich Merz die Abschaffung nicht nur des nationalen, sondern auch des EU-Lieferkettengesetzes – obwohl im Koalitionsvertrag die Umsetzung der CSDDD in Form eines neuen Gesetzes für „internationale Unternehmensverantwortung“ festgehalten wurde. All das begründet mit der Notwendigkeit für Bürokratieabbau.
Anstatt die erst kürzlich in Kraft getretenen Gesetze zu unternehmerischen Sorgfalts- und Offenlegungspflichten in Frage zu stellen, sollte sich die Bundesregierung für den Abbau veralteter Normen und Regulierung einsetzen. Denn wie viele andere leiden auch wir unter überbordender Bürokratie – zum Beispiel bei langwierigen Genehmigungsverfahren für den Transport von Aggregaten oder den Bau von Produktionsstätten. Aber überkommene Regulierungen, die es abzubauen gilt, müssen von Gesetzen zum Schutz wirtschaftlicher Grundlagen unterschieden werden.
Zielgerichtete Regulierung unternehmerischer Sorgfalts- und Nachhaltigkeitspflichten steht nicht im Widerspruch zu unternehmerischer Verantwortung und gehört nicht in einen Topf geworfen mit der x-ten veralteten Baunorm. An den Zielen der CSRD sollte festgehalten, ihre Standards vereinfacht und ihre Anforderungen im Lichte der bisher gesammelten Erfahrungen an den ESG-Impact von Unternehmen angepasst werden.
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