Nach heftigem Tauziehen haben sich die EU-Mitgliedsstaaten im März auf einen Entwurf für das sogenannte EU-Lieferkettengesetz geeinigt. Nach der finalen Verabschiedung müssen die Länder die Richtlinie binnen zwei Jahren in nationales Recht überführen.
Die deutsche Wirtschaft betrachtet diese Entwicklung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits begrüßt man, dass der aktuelle Sonderweg des deutschen Lieferkettengesetzes und damit verbundene Wettbewerbsnachteile durch zumindest ähnliche Regeln für alle EU-Staaten ersetzt werden. Andererseits besteht die Befürchtung, dass der deutsche Gesetzgeber auf Basis der EU-Richtlinie die bereits bestehenden Anforderungen nochmals verschärfen muss oder sogar darüber hinausgeht.
Klar ist, dass die in der Richtlinie enthaltenen Überwachungspflichten sehr ambitioniert sind und per se bereits umfangreicher als die Vorgaben des bestehenden deutschen Gesetzes. Daher konzentriert sich die Diskussion in den Führungsetagen aktuell darauf, ob und wie Unternehmen diesen erweiterten Ansprüchen im Geschäftsalltag gerecht werden können.
Diese Fragen sind zweifellos enorm wichtig. Allerdings wird ein weiterer Aspekt in dem umfangreichen Entwurf leicht übersehen, der erhebliche juristische Sprengkraft birgt: Künftig werden nämlich Einzelpersonen, die von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden betroffen sind, vor deutschen Zivilgerichten auf Schadensersatz klagen können.
Attraktives Betätigungsfeld für Prozessfinanzierer
Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen. Betroffene Personen können nämlich nicht nur ein individuelles Verfahren anstoßen oder sich der Sammelklage beispielsweise einer NGO oder Gewerkschaft anschließen, sondern auch ein Unternehmen beauftragen, das sich auf die Finanzierung von Prozessen spezialisiert hat. Solche Gesellschaften, die im Erfolgsfall einen Anteil an der erstrittenen Schadensersatzsumme erhalten, treten in Deutschland immer häufiger auf.
Dabei führt der naheliegende Vergleich mit US-amerikanischen Sammelklagen, in denen Anwaltskanzleien für ihre Mandanten und sich selbst exorbitante Summen erstreiten, etwas in die Irre. Zum einen kennt das deutsche Recht dieses Konzept des „strafenden Schadensersatzes“ nicht, und auch die EU-Richtlinie schließt dies explizit aus. Stattdessen muss in jedem Einzelfall der individuell entstandene konkrete Schaden nachgewiesen werden.
Zum anderen ist es Anwälten hierzulande untersagt, an Schadensersatzleistungen zu partizipieren; mit einem Unternehmen, das den Prozess finanziert, kann der Kläger aber ein Erfolgshonorar vereinbaren. Das ist ein profitables und völlig legales Geschäftsmodell. Die sehr weitgefassten Überwachungspflichten der EU-Richtlinie, deren Erfüllung angesichts hochkomplexer globaler Lieferketten immer wieder Schwachpunkte aufweisen dürfte, bieten hier ein attraktives Beschäftigungsfeld – zumal die Richtlinie die Position von Klägern durch diverse Beweiserleichterungen und verlängerte Verjährungsfristen nochmals stärkt. Deshalb dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis eine entsprechende Klagewelle über hier ansässige Unternehmen hereinbricht.
Minutiöse Vorbereitung ist unabdingbar
Unternehmen, die nach Größe und Umsatz unter die Kategorien der Verordnung fallen, bleibt zunächst einmal nur die Option, sich bestmöglich vorzubereiten. Diese Vorbereitung verläuft üblicherweise in zwei Phasen.
Dabei werden zunächst die vorhandenen Prozesse innerhalb der eigenen Organisation analysiert und schrittweise an den neuen Pflichtenkatalog angepasst, um beispielsweise die verlässliche Erhebung aller nötigen Daten sicherzustellen. Die zweite Phase beschäftigt sich mit der Frage, wie die zuvor definierten Abläufe und Ergebnisse im Geschäftsalltag solide und nachweisbar dokumentiert werden.
Anschließend beginnt die Umsetzung, wobei zum Beispiel Zuständigkeiten und Berichtslinien definiert, robuste Prozesse installiert sowie die passenden Ressourcen und Kompetenzen aufgebaut werden. Es ist gut vorstellbar, dass Zertifizierungsunternehmen und Branchenverbände hier in naher Zukunft entsprechende Nachweise und Risikoanalysen anbieten.
Vorlaufzeit bis zur nationalen Umsetzung nutzen
All dies erfordert Zeit und Ressourcen, sodass man die verbleibende Zeit bis zur Umsetzung der Richtlinie effektiv nutzen sollte. Eine umfassende Beratung kann dabei helfen, das zwingend notwendige Niveau an Compliance zu definieren und herzustellen.
Vollständige Klarheit wird allerdings erst dann herrschen, wenn feststeht, wie die Bundesregierung das bestehende Lieferkettengesetz konkret an die EU-Vorgaben anpasst, und ob sie möglicherweise über dessen Mindestanforderungen noch hinausgeht. Gegebenenfalls müssen Unternehmen dann noch einmal gewisse Anpassungen vornehmen.
Ebenfalls spannend bleibt die Frage, wie das künftige Sanktionsregime ausgestaltet wird. Derzeit kontrolliert das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) die Einhaltung des deutschen Lieferkettengesetzes. Obwohl die Behörde über erhebliche Sanktionsmöglichkeiten verfügt, die von hohen Bußgeldern bis zum zeitweiligen Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen reichen, hat sie bislang mit viel Augenmaß agiert. Ob dies so bleibt oder ob konkrete Fragen, wie die künftigen Verpflichtungen einzuhalten sind, eher im Rahmen der zivilrechtlichen Unternehmenshaftung geklärt werden, bleibt abzuwarten.