Es wird ein europäisches Lieferkettengesetz geben. Nach der Einigung im Trilog der EU-Gremien vom 13. Dezember 2023 steht fest, dass die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) kommt. Die Zivilgesellschaft jubiliert, die Wirtschaft kritisiert. Aber woran scheiden sich die Geister, und warum?
Zunächst gilt: Die CSDDD ist nicht durchweg gleich streng. Die Vorgaben zu den Klimazielen (1,5°) führen nur fort, was die europäische Berichtspflicht zur Nachhaltigkeit begonnen hat. Handeln statt berichten lautet jetzt die Devise. Harter Durchgriff durch Corporate-Governance-Regeln oder strafrechtliche Haftungsdrohung für die Unternehmen gibt es aber nicht.
Pauschale Kritik aus Deutschland unverständlich
Die gleichwohl strengen Pflichten der CSDDD betreffen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in den Lieferketten. Insoweit muss scharfe Kritik aus deutscher Perspektive überraschen, gilt hier doch schon seit einem Jahr das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Unternehmen müssen längst entlang ihrer Lieferketten Risiken für Umwelt und Menschenrechte entgegenwirken.
Dazu schreiben die Artikel 3 - 10 LkSG konkrete Pflichten fest. Die europarechtlichen Sorgfaltspflichten werden trotz mancher Unterschiede im Detail weithin gleichlaufen. Das führt zu Wettbewerbsgleichheit im Binnenmarkt, was im Interesse der deutschen Wirtschaft liegt. Noch besser wäre diesem Ziel zwar mit Vollharmonisierung gedient – aber dazu war die Zeit wohl noch nicht reif.
Es kann bei der Kritik also allein um Mehrbelastungen durch die CSDDD gehen. Doch wo drohen diese? Die Absenkung der Schwelle von 1000 Beschäftigen (LkSG seit 1.1.2024) auf Unternehmen mit 500 Beschäftigen und einem weltweiten Umsatz von 150 Millionen Euro, in Risikobranchen gar auf 250 Beschäftigte und 40 Millionen Euro Umsatz ist sicherlich eine deutliche Ausweitung.
Allerdings soll kleineren Unternehmen geholfen werden, die Lasten zu tragen (Art. 14 CSDDD). Zudem wird durch die Ausweitung der sogenannte „Trickle Down“-Effekt zurückgedrängt. Damit ist die zweifelhafte Praxis gemeint, dass die großen Unternehmen auch solchen Zuliefern, die dem LkSG nicht unterliegen, durch Vertragsklauseln dessen harte Lieferkettensorgfalt aufoktroyieren.
Zivilrechtliche Haftung
Die wesentliche Verschärfung der CSDDD gegenüber dem LkSG ist die zivilrechtliche Schadensersatzhaftung. Eine solche hatte der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmeier im LkSG noch verhindern können – sehr zum Leidwesen der Vertreter der Zivilgesellschaft. Nun wird die Haftung von Brüssel erzwungen.
Wie hoch die damit verbundenen Belastungen sein werden, ist aber nicht pauschal zu prognostizieren. Schon heute droht allerdings global agierenden Unternehmen jedenfalls in den zahlreichen Ländern, in denen sogenanntes „Common Law“ gilt, eine zivile Haftung für Menschenrechtverletzungen nach Maßgabe der Rechtsprechung des englischen obersten Gerichtshofs (Supreme Court) in den Fällen Okpabi versus Shell [2021] und Lungowe versus Vedanta [2019]. Ob Art. 22 CSDDD dieses Risiko maßgeblich erhöht, wird von der konkreten Ausgestaltung der Haftung abhängen.
An dieser Stelle muss man sich zuerst im Klaren darüber werden, wofür eigentlich gehaftet werden soll. Oft wurde argumentiert, es dürfe kein zweites „Rana Plaza“ geben, also Fälle, bei denen mangels Sorgfalt hunderte oder tausende Menschen sterben. Das unterscheibt heute jeder. Aber nicht alle Rechtsverletzungen sind Menschenrechtsverletzungen. Auch hierzulande gibt es tödliche Arbeitsunfälle, wie erst kürzlich an der Baustelle des Elbtower in Hamburg. Das sind aber keine Fälle für die CSDDD.
So tragisch jede Rechtsverletzung für das Individuum auch sein mag: Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, auf denen sowohl LkSG als auch CSDDD aufbauen, haben Fälle vor Augen, in denen Menschenrechte systematisch mit den Füßen getreten werden. Jonathan Ruggie, Autor der UN-Leitlinien, ging es nicht um das überladene Tuk-Tuk im Straßengraben. Dies ist aber nicht allen Akteuren bewusst.
Stattdessen wird beschwichtigt: Die Lieferkettensorgfaltspflichten seien Bemühenspflichten. Sie stünden unter dem Vorbehalt der Angemessenheit und erlaubten Priorisierung der Risiken.
Haftung auf schwerwiegende Risiken begrenzen
Doch Hand aufs Herz: Welches Gericht wird wegen „unangemessener Weite der Sorgfaltspflicht“ die Klage einer Witwe abweisen, deren Mann im südindischen Chennai von Paletten erdrückt wurde? Wer will der querschnittsgelähmten Avocadopflückerin eine abweichende Priorisierung entgegenhalten? Die genannten Einschränkungen werden das Papier nicht wert sein, auf dem sie gedruckt sind, wenn es vor unsere Zivilgerichte geht, wo schon leichteste Fahrlässigkeit zur Haftung genügt („Siemens/Neubürger“).
Wenn sich Unternehmen aufgrund überhöhter Haftungsrisiken dann aus Märkten zurückzögen, erfreut sich zwar deren „reines“ Gewissen. Doch die reine Vernunft kritisiert den hohen Preis: Entweder ist das Geschäft vor Ort verloren. Oder es wird von weniger skrupulösen Unternehmen übernommen. Beides hilft weder den Menschen noch den Menschenrechten. Um sie sollte es aber doch gehen, nicht um die Eröffnung von Geschäftschancen für Berater und Klageindustrielle. Daher muss die zivilrechtliche Haftung nach Art. 22 auf nach Art und Umfang schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen reduziert werden, an denen das pflichtige Unternehmen einen maßgeblichen Anteil hatte. Nur so ist eine Überlastung unserer Unternehmen zu vermeiden.
Ausschluss der Finanzbranche sinnvoll
Noch ein Wort zum (vorläufigen) Ausschluss der Finanzwirtschaft. Obsiegt haben hier nicht dunkle Mächte in der Lobby, sondern der gesunde Menschenverstand. Seine Lieferketten kann nur das produzierende Unternehmen überwachen, weil es über Wissen und Marktmacht verfügt. Banken mögen Compliance-Systeme und allgemeine Geschäftspolitik ihrer Kunden prüfen. Die Ausübung aktiver Lieferkettensorgfalt ist ihnen nicht sinnvoll möglich. Sie wäre wesentlich komplexer als Gender-Quoten durchzuboxen, wie das der US-Fondsriese Blackrock macht. Wer mit Berthold Brecht die Gründung einer Bank für schlimmer hält als den Überfall auf eine Bank, mag ihnen wohl das Haftungsrisiko gönnen. Für die Menschenrechte ist dadurch aber nichts gewonnen.
Abschließend sei gesagt: Die CSDDD statuiert das Verbot, von der Ausbeutung und Unterdrückung zu profitieren. Sie symbolisiert ein Umdenken unserer Gesellschaft. Die Geduld mit pragmatischen Ansätzen („Wandel durch Handel“) ist aufgebraucht. So verständlich das ist: Die zivile Haftung muss sinnvoll begrenzt werden. Niemand ist geholfen, wenn der Meilenstein CSDDD zum Mühlstein wird.