Der Weltklimarat (IPCC) hat es bereits 2014 vorgerechnet: Wenn wir den Ausstoß unserer Treibhausgasemissionen nicht reduzieren, müssen wir bis zum Ende des Jahrhunderts weltweit von einem Temperaturanstieg zwischen 1,6 und 4,7 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit. Mit allen dramatischen Folgen für unseren Planeten, wie extreme Hitzeperioden, starke Unwetter, zahlreiche Naturkatastrophen, großflächige Wasserknappheit und vermehrte Hungersnöte. Das ist keine Angstmacherei, sondern – Stand jetzt – eine wissenschaftlich basierte Prognose.
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wissen sehr genau, was sie tun können, um den Klimawandel mit seinen Konsequenzen zumindest abzuschwächen – Emissionen einsparen, Ressourcen schonen, auf erneuerbare Energien setzen und dort, wo es geht, Klimaneutralität herstellen. Kurzum: Nachhaltiger wirtschaften und leben. Das bedeutet aber nichts weniger als die Transformation aller Lebensbereiche. Eine industrielle Revolution mit gigantischen Ausmaßen.
Banken als Katalysatoren des Wandels
Dennoch haben alle handelnden Akteure diese Herausforderung angenommen und in den vergangenen Jahren zahlreiche tiefgreifende Maßnahmen auf den Weg gebracht. Strukturelle Energieeinsparungen, Ausbau erneuerbarer Energien, Einführung von ESG-Regeln und der Taxonomie sind nur wenige Stichworte, die ich hier nennen möchte. Auch Wirtschaft und Industrie sind mit gutem Beispiel vorangegangen. BNP Paribas beispielsweise war die erste Bank weltweit, die mit eigenen Sector Policies schon vor der Sustainable-Finance-Regulierung ein konsequentes Regelwerk für mehr „grüne“ Investitionen geschaffen hat. Allein 2021 haben wir knapp 20 Milliarden Euro in Projekte zum Ausbau von erneuerbaren Energien investiert. Auch künftig wollen wir weiter Kapitalströme so lenken, dass sie Unternehmen bei der Transformation ihrer Geschäftsmodelle unterstützen. Denn in diesem Prozess nehmen Banken eine Schlüsselfunktion ein. Sie sind Katalysatoren des Wandels und Treiber der Transformation, indem sie Finanzierungen bereitstellen, Unternehmen in ihrem Change-Prozess als Partner umfassend beraten und bei der Weiterentwicklung ihrer Geschäftsmodelle zur Seite stehen.
In der aktuellen Diskussion mehren sich allerdings Stimmen, die die begonnene Transformation hin zu einem nachhaltigeren Wirtschaftssystem hinterfragen. Nicht, weil sie die grundsätzliche Notwendigkeit der Bekämpfung des Klimawandels in Frage stellen. Sondern weil sie angesichts der politischen und ökonomischen Entwicklungen rund um den Russland-Ukraine-Krieg, die Energiekrise und die steigende Inflation eine „realpolitische Kurskorrektur“ fordern. Doch was könnte mehr Realpolitik sein, als die Grundlage unseres Wirtschaftens und Lebens zu sichern und dafür als Gemeinschaft einen nachhaltigeren Weg einzuschlagen? Bundeskanzler Olaf Scholz nannte den Punkt der Geschichte, an dem wir uns derzeit befinden, bei einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages zum Ukraine-Krieg unlängst eine „Zeitenwende“. Damit hat er Recht. Allerdings dürfen wir deshalb nicht die Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit unter dem Gesichtspunkt der Sicherheitspolitik aus den Augen verlieren. Ein Fokus auf „harte“ sicherheits- und geopolitische Realitäten darf nicht dazu führen, dass die Energiewende langsamer vorangetrieben wird.
Aus falschen Abhängigkeiten herauskommen
Denn wir sehen gerade am Beispiel unserer Energieversorgung, dass es sicherheits- und geopolitisch unbedingt geboten ist, aus falschen Abhängigkeiten herauszukommen und vor allem mit dem Ausbau erneuerbarer Energien mittelfristig auf eine dezentrale eigene Versorgung mit Speichermöglichkeiten zu setzen. Das ist nachhaltig, resilient und stärkt die Souveränität Europas. Eine Abkehr von diesem eingeschlagenen Weg würde darüber hinaus noch weiteren Schaden anrichten. Denn ohne mehr Nachhaltigkeit in allen Bereichen kann es keine erfolgreiche vierte industrielle Revolution geben. Der Fortschritt insgesamt würde so in Frage gestellt werden.
Vor diesem Hintergrund muss die „grüne“ Transformation hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft weiter zügig umgesetzt und sogar beschleunigt werden. Das gilt für die europäische Ebene als auch für die einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Es geht um die entscheidende Frage, ob Europa – wie proklamiert – eine Führungsrolle bei der Transformation einnehmen wird. Oder ob wir von den USA und Asien überholt werden. Innovationen, neue Technologien und damit die Arbeitsplätze der Zukunft würden so mittelfristig anderswo entstehen.
Damit Europa diese Chance nicht verpasst, braucht es aus meiner Sicht vor allem drei Dinge, die wir umgehend angehen müssen:
Erstens müssen wir deutlich sagen: All das wird sehr viel Geld kosten. Es ist daher notwendig, neben den positiven Langfristzielen, die wir mit der Transformation erreichen wollen, auch den Weg dorthin offen zu kommunizieren. Und dieser wird herausfordernd sein. Einen grundlegenden Struktur- und Verhaltenswandel bekommt man nicht zum Sparpreis. Wenn viel auf dem Spiel steht, muss in der Regel viel investiert werden. Man wird jedoch nur alle Menschen für eine zügige Umsetzung der Transformation gewinnen können, wenn man klar und ehrlich miteinander spricht. Das ist eine der Grundvoraussetzungen in freiheitlich-demokratischen Gesellschaften, vor allem inmitten einer historischen Zeitenwende.
Staat und Wirtschaft müssen kooperieren
Zweitens, was daraus folgt: Es wird keine reinen Marktlösungen geben. Das ist kein Aufruf zu einem „Subventionsstaat“, ganz im Gegenteil. Es ist lediglich Fakt, dass negative externe Effekte auf Güter, die nicht eingepreist werden können, ausschließlich privatwirtschaftliche Anstrengungen unmöglich machen. Der Staat muss diese Effekte daher kurzfristig abfedern und durch gezielte Förderprogramme den Wandel beschleunigen. Das gilt sowohl im sozialen Bereich als auch für die Wirtschaft. Es gibt Zukunftsprodukte, wie etwa den industriellen 3D-Druck, der für die digitale Fabrik genauso wichtig ist, wie Künstliche Intelligenz oder das Internet der Dinge. Die Umstellung von bestehenden Fertigungsverfahren auf 3D-Druck ist jedoch sehr aufwendig und kostenintensiv, so dass sie häufig nur langsam vollzogen wird. Hier kann der Staat durch befristete Maßnahmen unterstützen. Das ist auch nichts Neues: Große Transformationsphasen und das Anschieben von Sprunginnovationen waren immer schon mit staatlicher Beteiligung verbunden.
Drittens müssen die EU-Mitgliedstaaten und die Wirtschaft öffentliches und privates Kapital kombinieren, damit wir in mehr fortschrittliche, nachhaltige Projekte und Forschung investieren können. Allein werden es weder Wirtschaft noch Staat richten können. Wir sollten uns von diesen oft dogmatischen Positionen endlich lösen. Stärken müssen gebündelt werden, damit sich Europa als führender Standort für nachhaltige Innovationen und Technologien etablieren kann. Etwa durch mehr transparente PPP-Modelle, umfangreiche Fondslösungen, gezielte Steueranreize und die Finalisierung der Banken- und Kapitalmarktunion, um endlich einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt für Finanzierungen und Kapitalströme zu haben. Von den dabei entstehenden neuen Geschäftsmodellen profitieren am Ende alle: Staatshaushalte, Bürger, Unternehmen und Märkte.
Gemeinsam mehr Mut beweisen
Ich bin überzeugt, dass wir die Herausforderung einer nachhaltigeren Wirtschaft und Gesellschaft meistern werden. Deswegen ist es unerlässlich, jedem Versuch, die „grüne“ Transformation aufzuweichen oder diese zu verlangsamen, entgegenzusteuern. Nur eine Beschleunigung des Wandels wird den Klimawandel dämpfen oder stoppen. Die nachkommenden Generationen werden es uns nicht verzeihen, wenn wir jetzt die „grüne“ Transformation nicht konsequent weiter vorantreiben. Wir sollten daher alle gemeinsam mehr Mut beweisen.