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Standpunkte Europa braucht einen Standort zur Arzneimittelproduktion

Foto: privat

Aktuell wird diskutiert, wie Produktionskapazitäten für Arzneimittel mindestens nach Europa, besser aber noch nach Deutschland zurückverlagert werden könnten. Der Fachanwalt für Medizin-, Vergabe- und Verwaltungsrecht, Marc Gabriel, beleuchtet verschiedene Möglichkeiten.

von Marc Gabriel

veröffentlicht am 21.01.2020

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Die zuverlässige Versorgung mit Arzneimitteln ist ein hohes Gut. Wiewohl hat die zunehmend wettbewerbliche Ausschreibung von Arzneimittellieferverträgen, in denen allein der niedrigste Preis über die Vergabe von Verträgen und damit verbundene exklusive Absatzrechte entscheidet, dazu geführt, dass Unternehmen die Produktion von Arzneimitteln in das außereuropäische Ausland verlagert haben. Verunreinigungen bei der Herstellung von Wirkstoffen und dadurch hervorgerufene Lieferschwierigkeiten haben in der jüngeren Vergangenheit das Thema der Arzneimittelversorgungssicherheit erstmals in großer Breite in die öffentliche Diskussion getragen. Gerade die Abhängigkeit Deutschlands von der Zulieferung aus außereuropäischen Produktionsstandorten wird dabei kritisch bewertet.

In der Hauptstadt werden aktuell vor diesem Hintergrund auf Ebene der Bundesregierung wie -gesetzgebung verschiedene Ansätze diskutiert, wie Produktionskapazitäten für Arzneimittel mindestens nach Europa und besser noch nach Deutschland zurückverlagert werden könnten. Ein möglicher Vorschlag wurde Ende des vergangenen Jahres im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens für ein Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) durch den Bundesrat gemacht. Danach sollte § 130a SGB V, die Rechtsgrundlage für Arzneimittelrabattvereinbarungen, um die Anforderung ergänzt werden, dass europäische Produktionsstandorte bei der Ausschreibung dieser Verträge zu berücksichtigen sind, um Versorgungsengpässe bei Rabattarzneimitteln vorzubeugen. Diese Initiative des Bundesrats ist im weiteren Gesetzgebungsverfahren dann mit der Begründung abgelehnt worden, dass diese Änderung nicht mit dem europäischen Vergaberecht in Einklang stehen würde, da Vergabe- und Zuschlagskriterien europäisch harmonisiert seien und keine Vorzugsbehandlung nach geographischem Standort erlauben.

Das sind mögliche Maßnahmen

Die Überzeugungskraft dieser Ablehnung steht jedoch auf tönernen Füßen. Denn tatsächlich gibt es bereits nach geltender Vergaberechtslage gangbare Wege, um europäische Produktionsstandorte zu berücksichtigen. Zudem wäre es für den deutschen Gesetzgeber möglich, eine gesetzliche Förderung europäischer Arzneimittelproduktionsstandorte zu bewirken. In Betracht kommen dafür insbesondere die folgenden Maßnahmen:

In Vergabeverfahren zum Abschluss von Arzneimittelrabattvereinbarungen können europäische Produktionsstandorte bereits nach geltendem Recht durch Anforderungen in Form von Eignungskriterien Berücksichtigung finden. Die für deren Zulässigkeit erforderliche Verbindung mit dem Auftragsgegenstand kann dabei durch das hochrangige Ziel der Versorgungssicherheit und die Möglichkeit zur Kontrolle des Herstellungsprozesses innerhalb der EU begründet werden. Vergleichbare Kontrollmöglichkeiten bestehen bei der Herstellung im außereuropäischen Ausland nicht. Sogar für Zuschlagskriterien sieht das Vergaberecht vor, dass eben dieser Auftragsbezug auch dann anzunehmen ist, wenn sich ein Zuschlagskriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung einer Leistung bezieht.

Bei Vergabeverfahren zum Abschluss von Arzneimittelrabattvereinbarungen entspricht es zudem der gängigen Ausschreibungspraxis, die Anzahl der Verträge, die ein Unternehmen erhalten kann, zu limitieren, um eine Versorgungsabhängigkeit von einzelnen Unternehmen zu vermeiden. Die Zulässigkeit einer solchen sogenannten Loslimitierung ist anerkannt. Ebenso wäre es deshalb denkbar, derartige Vereinbarungen nur dann für einen Zuschlag im Vergabeverfahren auszuwählen, wenn die in Betracht kommenden Unternehmen den Wirkstoff von unterschiedlichen, auch lokalen Wirkstoffzulieferern beziehen.

Eine effektive Förderung lokaler Produktionsstandorte könnte darüber hinaus durch eine geringfügige Ergänzung der schon existierenden und praktisch eingespielten Substitutionspflicht der Apotheken erreicht werden. Durch den Gesetzgeber des SGB V könnte die bestehende Substitutionsregelung dahingehend ergänzt werden, dass bei der Abgabe eines Arzneimittels aufbauend auf den bereits bekannten Substitutionskriterien eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen ist, das nach Kenntnis der Apotheke in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union produziert worden ist. Bei der Ausschreibung von Rabattvereinbarungen müsste diese gesetzliche Regelung sodann von der ausschreibenden Stelle genauso berücksichtigt und umgesetzt werden, wie das schon heute bei der Apothekensubstitution der Fall ist.

Open-House-Verträge

Schließlich könnte eine Vorgabe zur Berücksichtigung lokaler Produktionsstandorte in Bezug auf den Abschluss von sogenannten Open-House-Verträgen vorgesehen werden. Derartige Verfahren haben in den letzten Jahren eine enorme praktische Bedeutung im deutschen Arzneimittelmarkt erlangt. Dabei unterliegen derartige Vertragsabschlussverfahren nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht dem Vergaberecht. Ebenso wie bei einer Änderung der gesetzlichen Substitutionsregel müsste sich eine gesetzliche Regelung von Vorgaben für Rabattvereinbarungen mittels Open-House-Verfahren daher von vornherein nicht am deutschen oder europäischen Vergaberecht messen lassen müssen, da dieses hierfür keine Anwendung findet.

In anderen Wirtschaftsbereichen stehen die Förderung des Standorts Europa und die Wettbewerbsfähigkeit in Europa hergestellter Waren schon seit einiger Zeit auf der Agenda des Gesetzgebers. Im Rüstungsbereich haben sich die EU-Mitgliedstaaten bereits vor mehr als einem Jahrzehnt auf die Förderung einer wettbewerbsfähigen europäischen rüstungsindustriellen Basis verständigt, die unter anderem in der Einführung spezieller Vergabevorschriften für diesen Sektor mündete und es öffentlichen Auftraggebern erlaubt, die Herkunft von Produkten, Lieferketten und die Versorgungssicherheit bei der Auftragsvergabe besonders zu berücksichtigen. Im Energiebereich ist es seit Jahren gesetzgeberisches Programm, Versorgungsabhängigkeiten von ausländischen Bezugsquellen zu reduzieren und eine lokale Produktion durch gezielte Maßnahmen zu fördern. Nur im deutschen Gesundheitswesen und dem für die Gesundheit der Bevölkerung wichtigen deutschen Arzneimittelmarkt werden diese Möglichkeiten bislang nicht genutzt. Es ist daher am Gesetzgeber, diese Entwicklung endlich in Gang zu bringen. Diese Gelegenheit wurde in dem 2019 in Kraft getretenen GSAV verpasst. Die Möglichkeit der nächsten Gesetzesnovellierung, die derzeit in Gestalt eines Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken vor der Tür steht und in dessen Gesetzgebungsverfahren der Bundesrat abermals denselben Vorschlag zur Ergänzung von § 130a SGB V wie bereits zuvor anlässlich des GSAV eingereicht hat, sollte nicht erneut versäumt werden.

Marc Gabriel ist Fachanwalt für Medizinrecht, Vergaberecht und Verwaltungsrecht sowie Partner im Berliner Büro der internationalen Rechtsanwaltskanzlei Baker McKenzie. 


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