Seit Wochen bin ich auf meinen privaten Accounts in einer Social-Media-Blase gefangen und werde mit Trainingstipps und Erfahrungsberichten aus der Läufer-Szene bombardiert. Ganz vorne in meiner Timeline ist Running-Influencerin Paula Enzweiler, die im April ihren ersten Halbmarathon gelaufen ist. Die in Berlin lebende Enzweiler hat einen enormen Einfluss auf ihre Running-Community – und auf mich. Als faszinierend empfinde ich, inwieweit sich der Einblick in die Welt des Laufens auf Veränderungsprozesse im kommunalen Kontext übertragen lässt. Ähnlich wie sich Läuferinnen und Läufer auf ihrem Weg zu neuen Zielen vorbereiten, müssen sich auch kommunale Verwaltungen stetig verändern, um mit den Anforderungen einer sich wandelnden Gesellschaft Schritt zu halten.
Chief Digital Officers und Digitalisierungsbeauftragte müssen bei der Umsetzung von nachhaltigen Strategien und Smart-City-Projekten oftmals auf Anhieb einen Marathon meistern. Die Ausgangslage zur Gestaltung des digitalen Wandels vor Ort ist wie am Beispiel unserer Stadt intrinsisch motiviert gewesen, eingerahmt in eine übergeordnete und zwischen Politik und Verwaltung definierte Vision für die Entwicklung Bad Salzuflens.
Bloßes Abschreiben lohnt sich nicht
Um den Zielzustand der Digitalisierung bestimmen zu können, bedarf es aus meiner Sicht einer intensiven Auseinandersetzung mit der Frage, was der Begriff konkret für die jeweilige Kommune bedeutet. Hier sollte von der Theorie auf die Praxis abgeleitet werden, welche Strategien, Rahmenbedingungen, Alleinstellungsmerkmale und Zukunftsbilder bestehen. Bloßes Abschreiben von den Nachbarkommunen oder Pionieren lohnt sich nicht, auch wenn sich die Ziele und Begriffsdefinitionen oftmals ähneln. Den Gesprächsraum für Fragen der Digitalisierung und eine Diskussion mit den relevanten Akteuren vor Ort zu öffnen, schärft das gemeinsame Verständnis, legt den Grundstein für ein verändertes Mindset und eröffnet die Möglichkeit, verstaubte und vermeintlich unantastbare Gegebenheiten hinterfragen zu dürfen.
Ähnlich wie beim Langlauf bedarf es Grundlagen, die für die künftige Umsetzung konkreter Maßnahmen essenziell sind. Neben einem einheitlichen Verständnis von Digitalisierung sollte auch die Verankerung von Digitalkompetenzen durch eine verantwortliche Organisationseinheit forciert werden – und das kontinuierlich. In Bad Salzuflen obliegt diese Aufgabe dem Stab für Strategie, Innovation und Digitalisierung. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen erarbeiten wir mit Mitarbeitenden anderer Organisationseinheiten, wie ihre Prozesse besser und einfacher gemacht werden können.
Das ständige Hinterfragen setzt voraus, dass die Führungskräfte mehr Innovation einfordern sowie die Fähigkeit der Fachexperten, mögliches Potenzial durch technischen Fortschritt zu erkennen und zu benennen. Schon jetzt ist ein solider Digitalgrad im Alltag unserer Stadtverwaltung erreicht worden: von der einheitlichen Ausstattung aller Arbeitsplätze mit Laptop und Dockingstation, über Desk Sharing, digitale Zeiterfassung bis hin zu digitaler Kommunikation und Angeboten wie unser zuletzt etabliertes „Wissenshäppchen to go – Digitale Tools, Tipps und Tricks“. Auch unsere Mitarbeitendenkarte steht auf Wunsch als Wallet für das Smartphone zur Verfügung.
Mit Zwischenschritten und Mut ins Ziel
Um den Zielzustand zu erreichen, sollten Etappenziele definiert werden. Das Rad muss nicht immer neu erfunden werden, manche Methoden haben sich bewährt. Es ist kein Geheimnis, dass einzelne Projekte unserer Digitalstrategie bereits vorab im Ideenpool vorhanden waren. Die Einführung der Nachbarschaftsplattform „Dorf Funk“ ist in Bad Salzuflen eines dieser Projekte gewesen, die durch den Strategieprozess mit ähnlich gelagerten Digitalisierungsprojekten offengelegt und schließlich stärker priorisiert wurden. So können wir zwei Jahre nach der Verabschiedung der Strategie erste Etappenziele vorweisen. Es muss nicht immer nur der digitale Zwilling oder die urbane Datenplattform sein, um in der eigenen Kommune Fortschritte im digitalen Wandel zu machen. Entscheidend ist, den tatsächlichen Bedarf vor Ort zu erheben – und zwar nicht aus dem eigenen Büro heraus, sondern im Zuge von Beteiligung und Vernetzung mit identifizierten Stakeholdern. Und ja, nicht alle werden die Vorhaben so derbe abfeiern und hypen wie die eigene Community.
Was mir im bundesweiten Austausch zu Smart-City-Projekten zu kurz kommt, sind derzeit die konkreten Lehren aus der Umsetzung. Wie schafft man es, Interessenskonflikte und Widerstände zu lösen und wo darf ehrlich zugegeben werden, dass ein Projekt nach hinten losgegangen ist? Diese Hürden dürfen benannt werden, wenn wir Veränderungsprozesse in der Kommune glaubwürdig vorleben und durchleben wollen.
Neben der Kommunikation von Fortschritten bedarf es vor allem eines: Mut. Den Mut, Routinen zu hinterfragen und mit Unsicherheit umzugehen. Mut, mit Widerständen umzugehen und Fehler anzuerkennen. Mut, trotz der Gegebenheiten beharrlich zu sein und auf einer langen Durststrecke trotzdem das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Und so wird es vorkommen, dass sich viele Chief Digital Officers und Digitalisierungsbeauftragte ähnlich wie beim Laufen komplett verausgaben und zwei, drei Tage danach einfach nur leer sind. Und dann meldet man sich zum nächsten Marathon an.
Lena Sargalski arbeitet als Chief Digital Officer bei der Stadtverwaltung Bad Salzuflen in Ostwestfalen-Lippe. Seit Januar 2024 leitet sie kommissarisch den Stab Strategie, Innovation und Digitalisierung. Neben den Aufgabenbereichen Strategieentwicklung, interne Digitalisierung und interkommunale Zusammenarbeit liegt ein Fokus auf der aktiven Ausgestaltung des digitalen Wandels in der Stadtgesellschaft. Von ihr bisher in dieser Rubrik erschienen: Von ihr bisher in dieser Rubrik erschienen: „Auf die Haltung kommt es an“, „Mehr Mutausbrüche in der Verwaltung“, „Think smart: Silos aufbrechen, aber wie?“, „Digitale Kompetenzen brauchen Training“, „Gesucht: Influencer für die digitale Verwaltung“, sowie „OZG 2.0: Und täglich grüßt das Murmeltier?“