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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Bike-Sharing muss ernst gemeint sein

Jean-Michel Boëz, International Development Director beim französischen Sharing-Anbieter Fifteen
Jean-Michel Boëz, International Development Director beim französischen Sharing-Anbieter Fifteen Foto: PR

Der Umstieg vom Auto aufs Fahrrad wird entscheidend sein für das Gelingen eines zukunftsfähigen innerstädtischen Verkehrs. Kein anderes Fortbewegungsmittel ist so kostengünstig und CO2-effizient. Kommunale Bike-Sharing-Systeme machen Fahrräder für alle zugänglich und spielen damit eine essenzielle Rolle bei der Umsetzung der Mobilitätswende. Dazu sind mehr Förderprogramme nötig.

von Jean-Michel Boëz

veröffentlicht am 09.12.2024

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Klimaneutralität ist ein Ziel, das sich inzwischen alle deutschen Städte gesetzt haben. Vorreiter wie Mannheim, München, Frankfurt am Main, Leipzig, Dortmund, Dresden, Münster, Aachen und Heidelberg streben dieses Ziel sogar bereits bis 2030 an. In Städten macht der Verkehr mit 30 bis 35 Prozent einen riesigen Anteil der CO2-Emissionen aus. Ohne eine signifikante Reduzierung der Verkehrsemissionen wird eine Klimaneutralität nicht möglich sein. Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation in Deutschland stellt sich dabei mehr denn je die Frage, wie die notwendige CO2-Einsparung kosteneffizient umgesetzt werden kann.

Fakt ist: Das Fahrrad hat sich weltweit als das umweltfreundlichste Verkehrsmittel in der Stadt etabliert. Es ist effizient, platzsparend und verursacht keine schädlichen Emissionen. Wer einen Kilometer mit dem Auto fährt, verursacht laut European Climate Foundation (ECF) durchschnittlich 271 Gramm CO2-Emissionen. Im Betrieb ist das Fahrrad emissionsfrei. Rechnet man alle indirekten Faktoren wie Produktion, Auslieferung, Reparatur oder erhöhten Kalorienbedarf mit ein, kommt das Fahrrad auf nur 21 Gramm pro Kilometer.

Im Vergleich zum privaten Fahrrad bietet Bike-Sharing den Vorteil der Flexibilität und spontanen Nutzung. Eine größere Investition oder (kosten-)aufwendige Wartung ist für den Zugang zu einem Fahrrad nicht notwendig. Damit Bike-Sharing jedoch noch stärker in Anspruch genommen wird, ist eine flächendeckende Verfügbarkeit und nutzerfreundliche Integration in das bestehende öffentliche Verkehrsnetz entscheidend.

Bike-Sharing als Teil des öffentlichen Nahverkehrs

Beim öffentlichen Nahverkehr in Form von Bussen, U-Bahnen oder Trams ist der kommunale Betrieb eine Selbstverständlichkeit in allen deutschen Städten. Zwar sind diese auch von monetären Verteilungskämpfen betroffen, aber ein grundlegender Konsens hinsichtlich des deutlichen gesellschaftlichen Mehrwerts besteht. Kommunales Bike-Sharing erfüllt sozial- und umweltpolitisch sehr ähnliche Vorteile wie die bereits etablierten öffentlichen Verkehrsmittel. Nur können insbesondere kürzere Distanzen besser abgedeckt werden und durch die individuelle zeitunabhängige Nutzung ist ein höheres Maß an Flexibilität gegeben. In vielerlei Hinsicht stellt das Bike-Sharing also eine wichtige Ergänzung zum ÖPNV-Angebot dar, beispielsweise auch durch Mobilitätshubs.

Dennoch ist kommunales Bike-Sharing immer noch nicht selbstverständlich in deutschen Städten. Viele kleinere Städte verfügen über kein Bike-Sharing – auch in Großstädten sind die Angebote noch stark ausbaufähig. Kritik bezieht sich meist auf zu niedrige Nutzerzahlen und die daraus resultierende fehlende Kostendeckung, hierbei handelt es sich jedoch vor allem um eine Frage der Umsetzung.

Effizienz durch flächendeckende Verfügbarkeit

Der internationale Vergleich erfolgreicher Systeme zeigt eindeutig, je mehr Fahrräder zur Verfügung stehen desto besser wird das Angebot angenommen. Die Nutzungsquote pro Fahrrad steigt und somit auch der Einfluss auf die nachhaltige Mobilität und die Kostendeckung.

Eine Studie der Cycling Industries Europe (CIE) beziffert das Einsparpotenzial allein durch eine Vergrößerung der Bike-Sharing-Flotten in europäischen Großstädten auf 250.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, empfiehlt die Studie den Städten, sich an kommunalen Systemen wie in Paris zu orientieren. Um die gleiche Menge an CO2-Einsparungen in der Mobilität mit anderen Mitteln zu erreichen, wären Investitionen von 240 Milliarden Euro erforderlich.

Für die von der CIE empfohlene Vergrößerung der Bike-Flotten wäre hingegen nur eine Investition von 240 Millionen Euro notwendig. Bike-Sharing ist also eine äußerst kosteneffiziente Alternative. Die eventuell höheren Kosten für den kommunalen Betrieb eines solchen Systems stehen in keinem ernsthaften Verhältnis zu den langfristigen Vorteilen. Städte sind also gut beraten, Bike-Sharing als festen Bestandteil ihres öffentlichen Nahverkehrs zu betrachten. Beispielsweise durch eine Integration der städtischen Fahrräder in die Tarife des ÖPNV.

Vereinzelt gibt es auf Bundesebene Förderungen, die auch auf Bike-Sharing Konzepte angewendet werden können, wie etwa das Modellprojekt „AktionsplanVerkehrsVerlagerung“ vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Die Förderung erhalten Projekte des öffentlichen Personennahverkehrs, die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich durch ein attraktiveres Angebot nachhaltig reduzieren. Auf dieser Basis ist ein neues Bike-Sharing System in der Stadt Augsburg entstanden. Mit 700 und ab 2025 sogar 1400 Fahrradstationen setzt das System für Deutschland neue Maßstäbe im Hinblick auf flächendeckende Verfügbarkeit und mobile Flexibilität.

Angesichts der CO2-Einsparmöglichkeiten im Personennahverkehr durch Bike-Sharing sind jedoch eigene Förderprogramme mit entsprechenden Mitteln notwendig. Deutschland hat im kommunalen Bike-Sharing noch erhebliches ungenutztes Potenzial. Natürlich ist momentan das Geld für Förderprogramme auf Bundesebene knapp, aber gerade deshalb ist es umso wichtiger, die richtigen Prioritäten zu setzen.

Ob mit oder ohne Fördermittel, wichtig ist, dass Bike-Sharing ernsthaft umgesetzt wird. Zaghafte Angebote sind für die Nutzer nicht praktisch und werden dementsprechend schlecht angenommen. Nur mit einem flächendeckenden Angebot, welches fest in das Stadtbild und die Mobilitätskultur integriert ist, kann Bike-Sharing sein Potenzial entfalten. So werden die positiven Effekte auf den Verkehr, die Luft- und Lebensqualität klar erkennbar und eine wertvolle und nachhaltige Infrastrukturmaßnahme entsteht.

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