Standpunkte Booster oder Ballast




Der EU Space Act legt Mindestanforderungen für Weltraumaktivitäten fest, die vor allem auf den Schutz vor den Gefahren durch Weltraumschrott, Cyberrisiken und eine nachhaltige Nutzung des Weltraums zielen. Doch dichte Detailvorgaben, komplexe Regelungen und ein Gemisch aus Zuständigkeiten der EU und nationaler Stellen sorgen für Fragen bei Weltraumakteuren, insbesondere bei kleinen Unternehmen und Start-Ups.
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Jetzt kostenfrei testenWeltraumtechnologie ist längst ein integraler Bestandteil des Alltags: Satelliten-Navigation, Kommunikation, Wettervorhersagen und Erdbeobachtung sind essenziell für Klimaschutz, Katastrophenmanagement, Energieversorgung und Sicherheit. Die europäische Raumfahrtindustrie beschäftigt mehr als 60.000 Menschen, generiert Milliardenumsätze und ist Wirtschaftsfaktor und Technologiemotor. Angesichts der Abhängigkeit von den USA und der strategischen Bedeutung eines autonomen Zugangs zum All sieht die EU in einem einheitlichen Rechtsrahmen eine Voraussetzung für ihre Wettbewerbsfähigkeit.
Bereits im Jahr 2023 wurde ein EU-Weltraumgesetz angekündigt. Ein erster Entwurf wurde im April 2024 vor seiner Veröffentlichung gestoppt. Seitdem wurde unter großer Vertraulichkeit an dem nun veröffentlichten Entwurf gearbeitet (Tagesspiegel Background berichtete).
Für erhebliche Diskussionen sorgt bereits die Form, als unmittelbar geltendes und gegenüber nationalem Recht vorrangiges EU-Recht. Von manchen wird die Kompetenz der EU für eine solche Harmonisierung infrage gestellt. Eine Reihe von Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland und Italien, hatten sich dagegen im Vorfeld für mehr Spielraum bei der Umsetzung von EU-Zielvorgaben starkgemacht.
Anforderungen für die Genehmigung von Weltraumaktivitäten
Kern-Inhalt des Entwurfs sind die ab 2030 geltenden Anforderungen für die Genehmigung von Weltraumaktivitäten in der EU. Unmittelbar betroffen sind zum Beispiel Satellitenbetreiber, Launcher-Unternehmen, und alle sonstigen Akteure, die unter Nutzung des Weltraumes Dienstleistungen in der EU anbieten. Über weitergereichte Anforderungen sind aber auch Zulieferer und über entstehende Mehrkosten auch die Kunden betroffen.
Die zentralen Vorgaben betreffen Bereiche: Erstens schreibt der Entwurf neue Sicherheitsstandards für Satelliten und Weltrauminfrastruktur vor – etwa verpflichtende Risikoanalysen, Schutzkonzepte und die Meldung von Vorfällen – um insbesondere Cyberangriffe abzuwehren, analog zur bereits bestehenden NIS2-Richtlinie für bodengebundene kritische Infrastruktur. Zweitens soll die Nutzungssicherheit im All verbessert werden, indem Betreiber verpflichtet werden, Maßnahmen zur Vermeidung von Weltraumschrott umzusetzen, etwa durch Vorgaben zur Lebensdauer und zum kontrollierten De-orbiting von Satelliten. Drittens enthält der Entwurf erstmals eine verbindliche Umweltverträglichkeitsanalyse, die den ökologischen Fußabdruck entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Raumfahrtprojekten erfasst.
Auch Akteure außerhalb der EU sind den im Entwurf beschriebenen Anforderungen zu Resilienz, Safety und Umweltbewusstsein im All – weitgehend – ebenfalls unterworfen, wenn und soweit sie Leistungen innerhalb der EU anbieten. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zum Ausschluss vom Unions-Markt. Damit setzt die EU ein klares Signal: Wer in der EU mitspielen will, muss sich an die EU-Regeln halten.
Was bedeutet der Entwurf für Deutschland?
Ein nationales deutsches Weltraumgesetz würde durch den EU Space Act auch ab 2030 weder obsolet noch ausgeschlossen. National können – in begründeten Fällen – höhere Anforderungen gestellt werden als im Entwurf vorgesehen. Erfordernisse und Befugnisse im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und insbesondere Fragen der Haftung- und Haftungsdeckung können zudem ohnehin weiterhin national geregelt werden. Es ist daher davon auszugehen, dass die Bundesregierung die Entwicklung eines nationalen deutschen Weltraumgesetzes vorantreiben wird.
Soweit es die Entwicklung der deutschen Raumfahrtindustrie betrifft, wäre ein loserer Regulierungsrahmen unter Umständen eher dienlich. In Deutschland gibt es zwar weltweit anerkannte Akteure, im internationalen Vergleich – vor allem zu Frankreich oder Italien – jedoch verhältnismäßig mehr kleine und mittlere Unternehmen. Diese sind naturgemäß sensibler gegenüber dichten Detailanforderungen.
Der Entwurf selbst geht von einem merklichen Kosten-„Impact“ für alle betroffenen Unternehmen, jedoch besonders von einer Betroffenheit von Start-ups und KMU aus. Für die Auswirkungen auf die deutsche Raumfahrtindustrie kommt es daher besonders auf die im Entwurf vorgesehenen Schutz- und Fördermaßnahmen für solche Unternehmen an. Im Entwurf werden punktuell vereinfachte Zulassungsverfahren und reduzierte Gebühren für kleinere Unternehmen angekündigt. Zudem sollen spezielle Beratungsportale helfen. An verschiedenen Stellen des Entwurfs sind schließlich nach Unternehmensgröße und Risikoprofil der Aktivität gestaffelte Vorgaben vorgesehen.
Zweifel an der Booster-Wirkung
Eine gleiche Ausgangslage für alle Marktteilnehmer ist wichtig für fairen Wettbewerb. Die Relevanz der Resilienz gegen Angriffe und der Sicherheit der Weltraumnutzung kann zudem niemand ernsthaft bestreiten. Dies direkt in die Form eines ab 2030 unmittelbar geltenden EU-Rechts des jetzt vorliegenden Umfangs zu gießen ist allerdings mutig. Ob eine solche Form der Detailregulierung ein besserer Booster für alle verfolgten Ziele darstellt als positiv incentivierte Zielvorgaben, wird vermutlich von vielen bezweifelt werden.
Selbst wenn man die Form der Regelung beiseitelässt, stellen sich hinsichtlich der Belastung der Akteure Fragen. Die EU-Kommission betont, dass standardisierte, weitgehend digitale Verfahren den Aufwand minimieren und eine regelmäßige Evaluierung ebenfalls vorgesehen sei. Die Anforderungen aus mehr als 100 Artikeln, zzgl. weiterer künftiger Verordnungen, sind jedoch dicht und hochkomplex.
Handreichungen werden kaum ausreichen, die tatsächliche Belastung gerader kleiner und mittlerer Unternehmen auszugleichen. Es wird im weiteren Verfahren genau zu untersuchen sein, an welchen Stellen weitergehende Entlastungen oder Ausnahmen möglich oder ein Lastenausgleich notwendig sein werden. Zum Beispiel auch durch begleitende Anpassungen des Vergaberechts und des europäischen und nationalen Investitionsumfeldes. Es wird von der Gesamtheit der Maßnahmen abhängen, ob sich ein einheitliches EU-Weltraumrecht als Booster oder Ballast herausstellt.
Die finale Version bedarf dann der Zustimmung des Europaparlamentes und danach des Europarates der Mitgliedsländer. Es ist zu hoffen, dass dabei Hinweise der Betroffenen berücksichtigt werden, und anzunehmen, dass noch einige Anpassungen erfolgen werden. Die momentan vorgesehenen langen „Übergangsfristen“ bis 2030 (und punktuell sogar länger) dienen der Planung von technischen Anpassungen, die nicht von heute auf morgen umsetzbar sind.
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