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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Deutschland kann beim Ausbau der Ladeinfrastruktur von Skandinavien lernen

Anders Bergtoft, CEO von Charge Amps
Anders Bergtoft, CEO von Charge Amps Foto: Charge Amps/Maria Cruseman

E-Mobilität spielt trotz steigender Zulassungszahlen auf deutschen Straßen nach wie vor eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu Skandinavien, schreibt Anders Bergtoft. Im Gastbeitrag erläutert der CEO eines schwedischen Ladeinfrastrukturunternehmens, was die Bundesrepublik von Schweden und Norwegen lernen kann.

von Anders Bergtoft

veröffentlicht am 27.09.2021

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In Norwegen und Schweden hat E-Mobilität eine deutlich höhere Marktdurchdringung als in Deutschland. 88 Prozent der in Norwegen verkauften Neuwagen sind E-Autos. In Schweden sind es 50 Prozent. Hierzulande aktuell rund 20 Prozent. Warum ist der deutsche Verbraucher beim Kauf von E-Autos so zögerlich?

Als wesentlicher Grund ist die unzureichende Ladeinfrastruktur zu nennen. Sie ist notwendig, um mit E-Fahrzeugen flexibel und ohne unzumutbaren (Lade-)Aufwand mobil zu sein. Was einfach klingt, ist komplex. Denn Ladestationen, das Herzstück der Ladeinfrastruktur, haben eine umfangreiche Peripherie an Funktionen und Dienstleistungen, wie die Zugangskontrolle zur Station, Abrechnungs- und Zahlungssysteme sowie Softwarelösungen für Verwaltung und Steuerung des Ladevorgangs zur Vermeidung einer Überlastung des Stromnetzes. Damit diese Systeme und Funktionen reibungslos ineinandergreifen, ist Interoperabilität unverzichtbar. Der Aufbau einer durchdachten und funktionierenden Ladeinfrastruktur ist also ein interdisziplinärer Vorgang mit Beteiligung unterschiedlicher Industrien, wie Automobilhersteller, Energieversorger und Software- sowie Hardwareentwickler.

Dass der Ausbau dennoch gelingen kann, zeigt das Beispiel Norwegen. Laut EAFO-Studie hat das Land mit 18.500 Ladepunkten im Jahr 2020 zwar weniger als Deutschland mit 44.500. Bei der Pro-Kopf-Abdeckung performen die Norweger allerdings deutlich besser. Deutschland liegt mit 0,53 Ladestationen pro 1.000 Einwohner im Jahr 2020 abgeschlagen hinter Schweden (0,92) und Norwegen (3,4). Beide Länder haben früh die Weichen in Richtung E-Mobilität gestellt. Hierzu zählen neben staatlichen Anreizen auch die Förderung grüner Energie und allgemein wirtschaftliche Agilität.

Staatliche Anreize und Regulatorik

Bereits im Juni 2015 wurde im Rahmen der Förderrichtlinie Elektromobilität der Aufbau von Ladepunkten gefördert, unter anderem für kommunale und gewerbliche Flotten wie Taxis und Sharingdienste. Diese punktuelle Förderung ist aber wenig geeignet, die E-Mobilität wesentlich voranzubringen. Eben so wenig wie das Förderprogramm für öffentlich zugängliche Ladepunkte, beispielsweise auf Kundenparkplätzen und an Tankstellen.

Um eine funktionierende Ladeinfrastruktur aufzubauen, müssen Lademöglichkeiten in unterschiedlichen Räumen parallel gefördert und geschaffen werden. Diese greifen dann wie Zahnräder ineinander und sichern in ihrer Gesamtheit eine lückenlose Ladeinfrastruktur. Neben dem öffentlichen Raum spielt der private Bereich für die Ladung zuhause eine wichtige Rolle.

Ebenso der halböffentliche Raum, insbesondere Firmengelände von Arbeitgebern. Denn 80 Prozent der Ladevorgänge finden zuhause oder beim Arbeitgeber statt. Der Grund: Beide Standorte fügen sich nahtlos in den Alltag ein und bieten so eine besonders bequeme Lademöglichkeit. Man lädt dort, wo das Auto eh steht. Wer zuhause Strom tankt, hat außerdem einen Kostenvorteil, da hier kein Nutzungsentgelt für die Ladestation seitens eines Betreibers anfällt. Wer den Aus- und Aufbau der Ladeinfrastruktur zielgerichtet fördern will, muss diese Standorte in den Fokus rücken.

Das Laden zuhause über eine haushaltsübliche Schuko-Steckdose mit nur 2,3 kW Ladeleistung ist allerdings eine Notlösung. Bei einer Batteriegröße von 37,9 kWh würde das über 15 Stunden dauern. Ladestationen oder Wallboxen für zuhause mit 11 kW Ladeleistung sind die bessere Wahl. Hier beträgt die Ladedauer im Beispiel nur 3,5 Stunden. Außerdem verfügen smarte Wallboxen über einen Überlastungsschutz. Der Gesetzgeber hat die Bedeutung der privaten Ladung erkannt. Aber erst spät. So wurde eine entsprechende KfW-Förderung in Höhe von 900 Euro erst im November 2020 ins Leben gerufen.

Schnelllader gefragt 

Auch andere regulatorische Änderungen kamen spät, wie beispielsweise das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz im Dezember 2020. Es regelt, dass Wohnungseigentümer die Genehmigung für Ladestationen auf dem Gelände ihrer Wohnanlage verlangen können. Auch das Mietrecht wurde erst vor Kurzem dahingehend angepasst, dass Mieter die Zustimmung zur Installation einer Wallbox verlangen können.  

Neben dem Ausbau der privaten und halböffentlichen Ladestruktur ist ein Netz frei zugänglicher Ladestationen im öffentlichen Raum relevant. Insbesondere, um eine flexible Mobilität außerhalb der Alltagsmobilität und für längere Fahrten zu ermöglichen. Da öffentliche Ladepunkte nur zum „Stromtanken“ aufgesucht werden, sind sie nur attraktiv, wenn der Ladevorgang sehr schnell geht. DC-Schnelladestationen und Supercharger spielen daher in diesem Bereich eine wichtige Rolle. Im vorgenannten Beispiel würde die Ladung mit einer DC-Ladesäule mit 50 kW Ladeleistung lediglich 40 Minuten dauern (Ladestand 80 Prozent).

Zusammenfassend kann man sagen, dass die aktuelle staatliche Förderung gut ist aber zu spät kam, um eine führende Rolle einzunehmen.

Elektromobilität ist sinnvoll, wenn die Ladung mit grünem, nachhaltigem Strom erfolgt. Folgerichtig fördert die KfW private Ladestationen, sofern der Zugang zu grünem Strom nachgewiesen ist. Der Ausbau von Elektromobilität und erneuerbarer Energiequellen muss parallel erfolgen. Hier scheitert Deutschland aber oft an der Bürokratie.

Mehr Grünstrom-Anlagen, mehr Agilität bei Innovationen

Genehmigungsverfahren für Windräder oder Stromtrassen zum Transport von Öko-Strom von Nord nach Süd können Jahre dauern. Eine unbefriedigende Situation. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Ausbau des Stromnetzes, um der künftigen Nachfrage und Belastung Stand halten zu können. Je mehr Menschen ihre Autos mit Strom beladen, desto mehr Kapazitäten muss das Netz bereitstellen. Zur Vermeidung einer Überlastung sind außerdem intelligente Steuerungsmöglichkeiten der Ladevorgänge unverzichtbar.

Möchte Deutschland seine Rolle als führende Wirtschaftsnation behaupten, muss das Land aufgeschlossener und agiler gegenüber Zukunftstechnologien agieren. Das betrifft neben der Digitalisierung oder dem Ausbau des schnellen Internets auch Elektromobilität. Deutsche Automobilhersteller konzentrierten sich lange darauf, Zeit zu gewinnen. Es dauerte, bis alle an den Wandel glaubten. Der schwedische Autokonzern Volvo kündigte hingegen schon 2017 die Wende hin zur Elektromobilität an. Damit war er einer der ersten Hersteller, der bekannt gab, künftig nur noch Modelle mit elektrischem Antrieb vom Band laufen zu lassen.

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