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Standpunkte Digitale Lieferketten: Chance in volatilen Zeiten

Janis Bargsten, General Manager bei Flexport International
Janis Bargsten, General Manager bei Flexport International Foto: PR

Die Logistikindustrie gehört zu den Branchen, die von den Auswirkungen der Corona-Pandemie in der Anfangszeit unmittelbar betroffen waren. Auch heute noch sind die Covid-19-Folgen längst nicht ausgestanden, schreibt Janis Bargsten, General Manager bei Flexport International. Im Standpunkt erläutert er, warum die „Retail-Apokalypse“ der letzten Monate die Spielregeln fundamental verändert hat – und was jetzt zu tun ist.

von Janis Bargsten

veröffentlicht am 23.11.2020

aktualisiert am 09.01.2023

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Die vergangenen Wochen und Monate stellten für Logistikentscheider eine erhebliche Herausforderung dar. Sie mussten über ihre Grenzen hinaus und neue Wege gehen: angefangen bei dem Handelskrieg zwischen China und den USA über das Inkrafttreten der neuen IMO-2020-Verordnung bis hin zu Lockdown-bedingten massiv instabil gewordenen Lieferketten und einer weltweit unsicheren Nachfrage. Auch wenn einige wenige Branchen wie der E-Commerce-Bereich oder der Garten- und Heimwerkerbedarf unverhoffte Umsatzsteigerungen verbuchten, sanken die weltweiten Absätze der meisten Unternehmen rapide.

Und auch heute gibt es immer noch viele Unsicherheiten: Konnten zur Pandemie-Hochzeit auf den verbleibenden Passagierflugzeugrouten nur knapp 60 Prozent des üblichen Transatlantik-Warenvolumens transportiert werden, fehlen durch die andauernden und dringenden Corona-bedingten persönlichen Schutzausrüstungstransporte und Personenmaschinenstornierungen weiterhin wichtige Kapazitäten in der Luftfracht. Dies wirkt sich auch auf die verfügbaren Kapazitäten für die Seetransporte aus, welche aktuell ebenfalls knapp und hart umkämpft sind. Nicht zu vergessen sind zudem die in der Anfangszeit der Pandemie aufgetretenen Hafenüberlastungen in Europa und Südostasien, die zu Staus bei der Containerabfertigung und Warenlagerung führten, so dass zeitweise sogar stillgelegte Transportschiffe zu temporären Lagerhallen umfunktioniert werden mussten.

Die Zukunft ist schnell, agil, nachhaltig und kreativ

Was bedeuten diese Erfahrungen nun für die Logistik der Zukunft? Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die sich aus den Covid-19-Turbulenzen ergeben, ist die große Bedeutung von Schnelligkeit. Volatile Marktsituationen machen schnelles Handeln unerlässlich, und die Voraussetzung dafür bilden agile Entscheidungsprozesse und Echtzeitkommunikation. Schon während der Pandemie zeigte sich, dass ein schneller Informationsaustausch zwischen allen beteiligten Akteuren ein probates Mittel ist, um eine Lieferkette in kürzester Zeit neu zu justieren und flexibel auf verfügbare Alternativrouten, zum Beispiel auch auf Schiene oder Straße, umzulegen.

Erfolgreiches Supply-Chain-Management wird daher zunehmend davon abhängen, wie effizient Unternehmen eine solchen agilen Informationsaustausch für sich umsetzen können. Das notwendige Rüstzeug dafür liefern neue auf die Logistik zugeschnittene digitale Technologien, die Echtzeitinformationen und Datenanalysen zum ersten Mal für die gesamte Lieferkette bereitstellen. Die Verfügbarkeit dieser digitalen Instrumente wird sich in der Gesamtbetrachtung zum wichtigsten Wettbewerbsfaktor künftiger Lieferketten entwickeln. Dies geht über den reinen Kostenvorteil hinaus, der sich zum Beispiel aus der dadurch erstmals möglich werdenden Vergleichbarkeit alternativer Routen unter Realtime-Bedingungen ergibt.

Ein weiterer wichtiger Faktor in der Logistikindustrie wird zudem der Klimaschutz. Durch Bereitstellung maßgeschneiderter digitaler Tools lässt sich schon heute transparent berechnen und veranschaulichen, wie viel CO2-Emissionen pro Sendung auf jeder spezifisch gewählte Route ausgestoßen werden.

Auch schafft die Digitalisierung Fortschritte und wird künftig eine wichtige Voraussetzung für die Lieferkette der Zukunft bilden. Durch cloudbasierte Softwaretechnologien schaffen moderne Logistikplattformen diese Möglichkeiten heute für jedes Unternehmen. Sie ermöglichen nicht nur einen Grad an kollaborativer Zusammenarbeit, in dem alle Supply-Chain-Akteure jederzeit unabhängig von Zeit und Raum in einem einheitlichen System direkt miteinander kommunizieren, sondern auch einen zentralen und digitalen Zugriff auf alle wichtigen Sendungsinformationen. Durch die Verknüpfung mit modernen Prognose-Tools auf Basis intelligenter Datenanalysen eröffnen sich dadurch selbst in schwierigsten Marktbedingungen alternative Handlungsoptionen, die sich unter Berücksichtigung aller Informationen umfassend und vor allem in Echtzeit bewerten lassen.

Kreativer Transportmix durch datengestützte Planung

Eine weitere Folgerung aus der Covid-19-Erfahrung ist die Notwendigkeit, im intermodalen Transport künftig auf noch kreativere Lösungen zu setzen. Händler werden sich auch im Jahr 2021 mit höheren Raten, weiter bestehenden Kapazitätsengpässen und  längeren Transitzeiten in der Luft durch reduzierte Passagierflugkapazitäten arrangieren müssen, die sich laut Prognosen nicht vor 2024 wieder auf das Vorkrisen-Niveau einpendeln werden.

Ähnliche Herausforderungen bestehen bei der Beförderung von Gütern auf dem Seeweg – teure Raten, Equipment- Knappheit und geringe Verfügbarkeiten werden hier vor allem die Handelsroute von Asien nach Europa beeinflussen. Aktuell bieten Carrier zwar verstärkt die profitable Route zwischen Asien und USA an, aber in Asien und China deutet sich bereits an, dass die Auslastung des Schienenverkehrs als alternative Transportmethode zur See vorangetrieben wird. Auch wenn noch nicht klar ist, was der Brexit letztendlich für Europa und die damit zusammenhängenden Handelswege bedeuten wird, sollten Unternehmen sich hier neben zolltariflichen Veränderungen auf neue Tarife einstellen. Gleichzeitig gilt: Bei der strategischen Planung künftiger intermodaler Transporte im Zusammenspiel mit Carriern werden Datenanalysen und Prognose-Tools eine entscheidende Rolle spielen.

Agile Lieferketten machen Unternehmen handlungsfähig

Es ist absehbar, dass die Volatilität im Markt zur neuen Normalität wird. In einer Situation, in der sich sowohl die Nachfrage als auch das Angebot auf absehbare Zeit eher instabil zeigen werden, müssen Lieferketten so aufgestellt sein, dass sich Lead-Times weiter verkürzen und Warenbestände so kreativ, intermodal und effizient wie möglich an den Ort der Nachfrage bringen lassen. Logistikentscheidern müssen die Möglichkeit haben, ihre Handels- und Transportstrategien jederzeit flexibel und schnell an aktuelle Gegebenheiten anpassen zu können. Die künftige Wettbewerbsfähigkeit wird daher davon abhängen, ob Unternehmen heute die Chancen der Digitalisierung progressiv nutzen. Die gute Nachricht ist: Von der Ende-zu-Ende-Transparenz über Echtzeit-Datenanalysen bis hin zur transparenten Kommunikation – die Instrumente liegen schon bereit.

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